So sah das Levée der Marschallin (Krassimira Stoyanova, am Tisch Foto: Rittershaus/Festspiele

Die dritte Salzburger Opernpremiere dieses Jahres galt am Freitagabend dem zweiten Hausgott des Festivals, Richard Strauss. Dessen Oper über Wien, den Walzer, Mozart und Maria Theresia lebte vor allem von der Musik und den Musikern.

Salzburg - Sie sind alle schon da. Die reife Frau, die spürt, wie vergänglich Liebe, Macht und Jugend sind. Ihr junger Geliebter, der sein Herz einer anderen schenken wird. Der selbstverliebte, saturierte Adlige, der alle Frauen besitzen, aber keine Verantwortung tragen will. Seine bürgerliche Braut, die von Liebe und von sozialem Aufstieg träumt. Dazu ihr Vater, der sich für das Glück seiner Tochter selbst erniedrigt. Außerdem: Bedienstete, Intriganten, ein italienischer Tenor. Sie alle haben eine Stimme. Sie tollen herum, sie lachen, sie leiden. Dabei ist der Vorhang im Salzburger großen Festspielhaus noch geschlossen, der Saal noch ganz dunkel.

Sie sind alle in der Musik: die Marschallin, Octavian, Baron Ochs, Sophie und Faninal. Am Pult der Wiener Philharmoniker steht Franz Welser-Möst, und der macht im Orchestergraben mächtig Theater. Der Beginn der Ouvertüre ist so rasant, dass selbst die Wiener Spitzenmusiker das erste, auffahrende Motiv leicht verstolpern, das für den jungen Grafen steht. Der Dirigent schärft die Kontraste: Nur mit Musik fächert er das Themenfeld eines Stücks auf, in dem sich Alt und Jung, Beharren und Aufbruch, Maskerade und Wahrhaftigkeit, Tragödie und Komödie, Volkston und Kunstmusik knapp vier Stunden lang aneinander abarbeiten.

Es ist ein Glück, dass Franz Welser-Möst seinen Streit mit Festspiel-Intendant Alexander Pereira offenbar beigelegt hat. 2013 hatte der Dirigent noch aus Wut über die aus seiner Sicht zu eng terminierten Proben für „Così fan tutte“ sein Mitwirken am Mozart-Zyklus abgesagt: Festspiel-Niveau, so Welser-Möst damals, sei unter derart schlechten Probenbedingungen nicht zu erreichen. Sein „Rosenkavalier“ beweist jetzt nicht nur, dass der Zeitrahmen 2014 ausgereicht hat, sondern er steht mit seiner Präzision und mit seinen klug herausgearbeiteten Gesten und Klangfarben auch auf der Haben-Seite einer Produktion, die szenisch meist nur schön bebilderten Leerlauf bietet.

Die Kehrseite des selbstbewussten Dirigats ist allerdings auch nicht zu überhören: Im Verhältnis zu den Sängern wirkt Richard Strauss’ riesig besetztes Orchester oft viel zu laut. Die schwierige Akustik des großen Festspielhauses mag daran eine Mitschuld tragen, aber das hätte der Mann am Pult entweder wissen müssen, oder man hätte es ihm sagen sollen. So können sich vor allem die lyrischeren Stimmen und Passagen gegen die vielfarbig tönende instrumentale Übermacht oft nur schlecht behaupten, und vor allem der feine Sopran der als Sophie wieder exzellent besetzten Mojca Erdmann geht anfangs schier in den Klangwogen unter. Auch Sophie Koch als Octavian hat immer wieder (anfangs auch intonatorisch) mehr Mühe, als man es von ihrem schlanken, genau geführten Mezzo sonst gewohnt ist. Und Krassimira Stoyanova als Marschallin braucht die zurückhaltender instrumentierten Passagen, braucht auch die klangliche Zartheit ihres Zeit-Monologs, um ihre Stärken ausspielen zu können: das edle Timbre, die detailliert durchdachte Textgestaltung, die verhaltenen Farben, die leise Melancholie. Dann ist sie großartig. Am besten aber kann sich Günther Groissböck als Ochs durchsetzen, der bei seiner Darstellung der großen Komödienfigur des Stücks lustvoll die Sau rauslässt, ohne jemals Abstriche bei Textaussprache und Tonformung zu machen.

Aus dieser Figur und mit diesem wundervoll wandelbaren Bass hätte auch die Inszenierung mehr machen können. Der Regisseur Harry Kupfer indes hat die Personen nur arrangiert, nicht geführt. Ihre Träume und Nöte werden höchstens gezeigt, nie aber gedeutet, und selbst die politische Umbruchsituation, die das Stück rund um die Marschallin Marie Theres alias Maria Theresia beschreibt, hinterlässt keine sichtbaren Spuren auf der Bühne. So werden von den Bildern dieses „Rosenkavaliers“ vor allem die monumentalen Fotografien von Wiener Adelspalästen und Parkalleen bleiben, die Hans Schavernoch auf den Bühnenhintergrund projizieren lässt.

Vor diesen Fassaden-Ansichten und neben überdimensionalem Bühnen-Mobiliar wie etwa einer riesigen Tür und einem riesigen Spiegel zeigen sich zwar ebenjenes „Gewimmel der kleinen Figuren“ und jenes ungreifbare Changieren zwischen Realem und Fantastischem, das Hugo von Hofmannsthal als Strauss’ genialer Textbuch-Autor für die Oper imaginierte. Weiter jedoch reicht die Aussage nicht. Die Figuren gehen von rechts nach links und von links nach rechts, ohne zu wissen, warum. Die eingefahrenen Gesten und Aktionen der Spieloper werden abgenudelt. Im zweiten Akt gibt es zwar viel Action, aber keine Handlung. So wenig Zauber wie hier hatte die Rosenübergabe wahrscheinlich selten – bloß ein schlagartiger Wechsel des Bildhintergrundes verweist auf die Besonderheit der Situation.

Und die Komödie, die das Stück auch sein will, kommt trotz putzigen Prater-Ambientes und trotz allerlei spukhaften Mummenschanzes im dritten Akt eindeutig zu kurz. Am Ende immerhin (man wird ja bescheiden) stört kein Getue und Gehabe die wunderschönen weiblichen Abschiedsszenen. Das Orchester lässt den Sängerinnen Raum, hinter der Szene liegt eine Parklandschaft im Dunst, und so hört man das Duett der jungen Liebenden, die fast schon nicht mehr da sind: Ist ein Traum, kann nicht wirklich sein.