Polizei-Aktion gegen Islamisten im Südwesten: Fahnder haben am Donnerstag in Pforzheim mehrere Wohnungen durchsucht und Beweise gesichert. Das radikale Netzwerk erstreckt sich von Baden-Württemberg über Bosnien bis nach Syrien.
Pforzheim - Eben saß Bilal Bosnic noch in seinem Campingstuhl und biss genussvoll in frisch gegrillte Hackfleischröllchen. Jetzt redet er sich mit einer Stimme in Rage, die jeder Regisseur wählen würde, um damit eines von Walt Disneys Eichhörnchen sprechen zu lassen: „Überall auf der Welt machen uns die Ungläubigen fertig. Terroristen sind wir für die. Verrückte. Unmenschen“.
Sein rechter Zeigefinger ficht durch die Luft. Krümmel des Cevapcicis landen auf seinem arabischen Gewand. Das unterstreicht den schwarzen Rauschebart des Bosniers. „Es kommt die Zeit, wo die Unterdrückten sich erheben wird“, wütet er, „und sie ist nicht mehr fern“.
Für den Krieg in Syrien und im Irak rekrutiert
Das sahen Staatsanwälte in Bosnien-Herzegowina offenbar auch so – und nahmen den früheren Elitekämpfer des bosnischen Bürgerkrieges im vergangenen Herbst fest. Der Vorwurf: Bosnic habe junge Männer und Frauen für den Krieg in Syrien und im Irak rekrutiert – nicht nur auf dem Balkan, sondern überall in Westeuropa.
Immer wieder tauchte der selbst ernannte Gelehrte samt grimmig dreinblickender und muskelbepackter Gefolgschaft auch in Pforzheim und Stuttgart auf, um von seiner Vision des Heiligen Krieges zu predigen: „Wir sind in der Zeit, in der sich das Schicksal der Menschheit entscheidet. Es ist unsere Aufgabe, die Ungläubigen überall dort zu töten, wo wir sie finden. Es ist unsere Aufgabe, den Willen des Allmächtigen umzusetzen.“ In Pforzheim drosch er seine Parolen in der „Al-Baraka-Moschee“ in der Franziskusstraße.
Worte, die offenbar Eindruck im Badischen hinterließen: Im Mai 2012 schwenkte der Pforzheimer Munir Ibrahim bei Ausschreitungen in Bonn noch jene Fahne, die heute zum Sinnbild des Islamischen Staates geworden ist. Im Internet verweist er auf Websites, auf denen die fit gemacht werden, die in ihren Heiligen krieg ziehen wollen. Ein Video, in dem zu sehen ist, wie Dschihadisten einen gefangenen Syrer zu Tode foltern, kommentiert er: „Wie schön, so wollte es Gott.“ Er gesteht, er brenne darauf, sein „Leben im Kampf gegen die Ungläubigen hinzugeben“. Im Frühjahr 2013 reiste er auf die Schlachtfelder Syriens. Monate später stöberten Reporter unserer Zeitung den Kämpfer in der Metropole Aleppo auf.
Kämpfer aus der Stuttgarter Region kamen dazu
Die Stadt, die auch eine bosnisch-stämmige Kampfgruppe gegen die Truppen und Milizen des syrischen Diktators Baschar al-Assad verteidigen wollte. Den Kämpfern schlossen sich auch Muslime an, die überwiegend das „Islamische Bildungs- und Kulturzentrum Mesdschid Sahabe e.V.“ in der Stuttgarter Regerstraße besuchten. Ermittler in Bosnien-Herzegowina gehen inzwischen davon aus, dass der frühere Balkan Mudschahed Bilal Bosnic den Aufmarsch der bosnischen Kämpfer in der Levante organisierte.
Eine Aufgabe, für die Bosnic bestens ausgebildet ist: Mit der 7. Mudschaheddin-Brigade kämpfte er während des bosnischen Bürgerkrieges Mitte der 1990er-Jahre in der Umgebung seiner Heimatstadt Zenica. Die war zu einem Aufmarschraum von El-Kaida-Kämpfern aus aller Welt geworden. Sie unterstellten sich dem Kommando von Abdel kader Moktari, dem Feldmarschall des Terrorchefs Osama bin Laden in Europa. Bilal Bosnic befehligte die Spezialkräfte des Verbandes.
Nach dem Ende des Krieges 1995 blieb der Veteran dem Terrorismus verbunden: 2010 zündete Enes Causevic vor der Polizeistation der zentralbosnischen Stadt Bugojno eine Autobombe. bei der Flucht versuchte er, sich den Weg freizuschießen. Ein Polizist starb, sechs wurden zum Teil lebensgefährlich verletzt, bevor sie den Attentäter überwältigen konnten. Vor anderthalb Jahren verurteilte ihn der oberste Strafgerichtshof Bosniens zu einer 45 Jahre langen Gefängnisstrafe. In der Verhandlung drohte er, solange „gegen die Ungläubigen zu kämpfen, wie noch ein Tropfen Blut“ in ihm sei. Schmallippig räumte der Terrorist ein, enge Verbindungen zum reisefreudigen Prediger Bilal Bosnic zu unterhalten.
„Formfehler und mangelhafte Übersetzungen“
Causevics Bruder Enes tritt immer wieder als Vorbeter in der Moschee im Stuttgarter Stadtteil Botnang auf. Verwandte des Geschwisterpaares gehören zur radikalisierten Islamistenszene Pforzheims und Augsburgs. Der in dem bosnischen Terrorverfahren Mitangeklagte Edis S. lebt unbehelligt in Ulm. Auslieferungsersuchen des bosnischen Generalstaatsanwalts wies das deutsche Justizministerium in Berlin bislang zurück. Die Ministerialen fanden bislang „Formfehler und mangelhafte Übersetzungen“ in den Schreiben der Ermittler und Ankläger vom Balkan.
Das hindert weder Edis S. noch die Familie der Causevic-Brüder, sich in Baden-Württemberg für den Krieg in Syrien einzusetzen: Im September 2013 nahmen sie an einer Benefizveranstaltung in Stuttgart-Feuerbach teil, bei der Sachspenden und Geld gesammelt wurden. Offiziell sollten damit notleidende Menschen im Kriegsgebiet unterstützt werden.
Mindestens zwei Besucher der Stuttgarter Spendengala reisten wenig später in die Levante, um dort in ihrem Heiligen Krieg zu kämpfen. Einer von ihnen: Elvis Hajric. Der Ditzinger schloss sich dem Islamischen Staat an. Er kämpfte erst nördlich von Aleppo und starb im vergangenen Oktober bei den Kämpfen um die Kurdenstadt Kobane an der Grenze zur Türkei.
Martyrer wie ihn erwarteten im Paradies „72 Jungfrauen, die Allah eigens geschaffen hat, um den Löwen zu Diensten zu sein“, doziert derweil Bilal Bosnic wieder mit normaler Stimme. Er lächelt. Seine Mundwinkel glänzen vom Öl. Mit dem rechten Zeigefinger schnippt er die Krümel der Hackfleischröllchen von seinem Gewand.