Die Verlässlichkeit der S-Bahn hat im Jahr 2014 weiter gelitten. Die Verspätungen nahmen trotz Gegenmaßnahmen der Bahn zu. Foto: dpa

Die S-Bahnen in Stuttgart und der Region haben im vergangenen Jahr bei der Pünktlichkeit den Negativrekord des Jahres 2013 eingestellt. Im Tagesdurchschnitt erreichten nur noch 85,8 Prozent der Züge ihr Ziel mit weniger als drei Minuten Verspätung.

Stuttgart - Mit rund 390 000 Fahrgästen an jedem Werktag bildet die Schnellbahn in der Region Stuttgart das Rückgrat des Nahverkehrs. Die seit 2010 wachsenden Probleme mit der Pünktlichkeit haben sich aber trotz aller Beteuerungen und Bemühungen der Deutschen Bahn AG und zweier „S-Bahn-Gipfel“ mit dem für das System zuständigen Verband Region Stuttgart (VRS) nicht gebessert. Sie haben sich erneut verschärft: Noch nie war die S-Bahn so unpünktlich wie im Jahr 2014.

Im Tagesdurchschnitt erreichten 2014 nur noch 85,8 Prozent aller Züge ihr Ziel mit unter drei Minuten Verspätung. Der Bestwert lag 2004 bei 93,9 Prozent, der vorgeschriebene Zielwert liegt bei 94,5 Prozent.

Bei der auch gemessenen Verspätung von unter sechs Minuten im Tagesdurchschnitt wurden 95,6 Prozent erreicht. Bestwert 2004 und 2005: 98,7 Prozent. Die Zielzahl liegt hier bei 98 Prozent.

Die Verspätungswerte werden überhaupt erst seit 2004 erfasst. Die Bahn muss, wenn sie die Zielzahlen nicht erreicht, maximal 62 000 Euro Strafe an den VRS zahlen. Werden die Vorgaben bei den auch von einem externen Institut erfassten Themen Sicherheit und Sauberkeit übererfüllt, verringert dies die Zahlung. Ganz ausgefallene Züge werden gar nicht erfasst.

Die Monatswerte für den Tagesdurchschnitt werden von der Bahn seit 2012 im Internet (www.s-bahn-stuttgart.de) veröffentlicht. Die Pünktlichkeitswerte für die Hauptverkehrszeit finden sich dort aber nicht. Sie liegen jeweils deutlich unter den Tagesdurchschnitten, bei unter 75 Prozent (bis drei) und 92,5 Prozent (bis sechs Minuten Verspätung). „Keine Frage, die Pünktlichkeit in der Hauptverkehrszeit ist noch schlechter“, sagt der VRS-Verkehrsdirektor Jürgen Wurmthaler.

In der Hauptverkehrszeit treffen die Verspätungen vor allem Pendler. Weil die Fahrpläne eng getaktet sind, werden Anschlüsse verpasst. Die Werte für die Hauptverkehrszeit werde man zum nächsten S-Bahn-Gipfel veröffentlichen. „Zuerst sprechen wir mit der Bahn über diese Zahlen“, sagt Wurmthaler. Die Plattform www.s-bahn-chaos.de hat noch schlechtere Werte als VRS und Bahn errechnet. Die Linien S 1 bis S 3 schneiden besonders schlecht ab.

Bei den Monatswerten des Jahres 2014 fällt vor allem der Oktober völlig aus dem Rahmen. „Während des Cannstatter Wasens gab es diverse Vorfälle mit Personen im Gleis und metallbeschichteten Luftballons an Stromleitungen“, erinnert Thomas Hachenberger, Geschäftsführer des Verkehrsverbunds Stuttgart (VVS), an Zwangsunterbrechungen im Betrieb. Außerdem notierte der Verbund Streiktage der Lokführer, die die Stabilität des Nahverkehrs erschütterten.

Verkraften müsse das System S-Bahn auch einen seit Jahren anschwellenden Kundenzustrom. „Wir hatten in der Summe in den letzten vier Jahren einen Fahrgastzuwachs von deutlich mehr als zehn Millionen Menschen“, sagt Hachenberger. Das System schreibt trotzt der Pünktlichkeitsmisere seine Erfolgsstory fort. Wegen des Fahrgastzuwachses und mehr Zügen fahre das System „an seiner Kapazitätsgrenze“, sagt ein Bahnsprecher.

Um die Pünktlichkeit zu heben, soll die Bahn beim nächsten Gipfeltreffen eine Analyse vorlegen. Verbesserungen an den Fahrzeugen, dem Zustieg an den hoch frequentierten Bahnsteigen in der Innenstadt und der Infrastruktur sind vereinbart und teils umgesetzt worden. Die grundlegende Verbesserung der Infrastruktur sie keine schnell zu bewältigende Aufgabe, sagt Wurmthaler: „Die Bahn ist ein großer Tanker, eine Kursänderung dauert.“

Verband und Bahn wollen keine Aussage machen, bis wann frühere, bis zu 14 Prozentpunkte bessere Pünktlichkeitswert wieder erreicht werden könnten. Das hat Grüne. Beim neuen Zugtyps ET 430 zum Beispiel sollen die störanfälligen und daher außer Funktion gesetzten Schiebetritte bis 2017 wieder eingesetzt werden. Das könnte dann wieder Zeit kosten.

2013 hatten klemmende Schiebetritte der Bahn in ähnlicher Weise die Pünktlichkeitsbilanz verhagelt wie 2010 das Thema Stuttgart 21. Damals war ein Signal für die S-Bahn-Einfahrt von Bad Cannstatt in die City abgebaut worden. Es dauerte Monate, bis der Notbetrieb wieder aufgehoben werden konnte. 2011 war die S-Bahn dann wieder pünktlicher. Aus heutiger Sicht nur ein Zwischenhoch vor dem noch tieferen Fall.