Arbeiter verladen Getreide im Hafen der Stadt Ismajil. Foto: dpa/Andrew Kravchenko

Obwohl Russland das Getreideabkommen gekündigt hat, fahren Schiffe ungehindert. Nach der Eroberung einer kleinen Insel kann die Ukraine die Transporte über Nato-Gebiet militärisch sichern.

„Resilient Africa“, „Aroyat“ und „Azara“ transportieren Getreide und beweisen gerade, dass die Ukraine auch ohne russische Zustimmung ihre Produkte über das Schwarze Meer exportieren kann. Die drei Frachter und andere Schiffe haben in den vergangenen Tagen ohne Zwischenfälle einen neuen Seekorridor zwischen ukrainischen Häfen und dem Bosporus in Istanbul passiert. Zwei Monate, nachdem Russland das Istanbuler Getreide-Abkommen aufkündigte, schwindet die Macht der russischen Kriegsmarine im Schwarzen Meer.

„Der Korridor funktioniert – Schiffe kommen und fahren“, beobachtet der Istanbuler Sicherheitsexperte Yörük Isik. Inzwischen fahren auch Schiffe mit nicht landwirtschaftlicher Ladung wie Roheisen durch den neuen Korridor, wie Isik unserer Zeitung sagte. Die „Resilient Africa“ und die „Aroyat“ erreichten in den vergangenen Tagen den Bosporus. Die „Azara“ und mindestens zwei weitere Schiffe sind unterwegs.

Russland bedroht jedes Schiff

Russland hatte im vergangenen Jahr mit seiner Schwarzmeerflotte ukrainische Häfen blockiert. Im Istanbuler Getreide-Abkommen vom Juli 2022 verpflichtete sich Russland dann, keine Getreidefrachter anzugreifen: Die Ukraine konnte dadurch mehr als 30 Millionen Getreide exportieren. Doch nach einem Jahr stieg Russland aus dem Vertrag aus, weil es Nachteile für die eigenen Exporte sah, und greift seitdem ukrainische Häfen und Getreidesilos an. Jedes Schiff, das ukrainische Häfen ansteuere, könne militärische Ladung an Bord haben und gelte als legitimes Angriffsziel, droht Moskau. Bemühungen der Türkei, das Istanbuler Abkommen wiederzubeleben, blieben bisher erfolglos.

Die USA dachten sich nun mit der Ukraine und befreundeten Staaten in der Region einen neuen Seekorridor aus. Entscheidend für die neue Lösung war, dass die Ukraine im Juni die kleine Schlangen-Insel vor ihrer Südwestküste von den Russen zurückerobern konnte. Damit kann die Ukraine die Fahrt von Schiffen aus ihren Häfen in ihrem Hoheitsgebiet militärisch sichern und sie durch die Hoheitsgewässer der Nato-Länder Rumänien, Bulgarien und Türkei zum Bosporus schicken; russische Angriffe auf zivile Schiffe im Nato-Gebiet sind sehr unwahrscheinlich.

Dass die russische Marine die Schiffe ziehen lassen muss, liegt laut Isik an der erfolgreichen ukrainischen Taktik gegen die Schwarzmeerflotte. „Die Ukraine hat zwar kaum eine eigene Marine, verbindet aber den klugen Einsatz landgestützter Lenkraketen mit dem von Flugdrohnen und extrem gefährlichen Wasserdrohnen“, sagte Isik. Das diene der Abschreckung und ziele auf den „Kampfwillen“ der Russen. Vorige Woche beschoss die Ukraine das Hauptquartier der russischen Schwarzmeerflotte mit Raketen

Der Weltmarkt reagiert erfreut

Die UNO begrüßte den neuen Seekorridor, und auch der Weltmarkt reagieren erfreut: Die Weizenpreise bleiben stabil; Schiffsversicherer haben sich nach einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters mit der ukrainischen Regierung auf eine Versicherungslösung für die Getreidefrachter geeinigt. „Die Ukraine hat die Situation im Schwarzen Meer verändert – und zwar, ohne Kompromisse mit Russland einzugehen“, sagt Isik.

In der Türkei trifft der neue Korridor auf Skepsis. Ankara argumentiert, die Sicherheit der Schiffe sei nicht garantiert. Eine Zusammenarbeit mit Russland sei unerlässlich. Unter dem Druck der USA und als Staat, der zwischen Russland und der Ukraine neutral bleiben will, kann die Türkei den ukrainischen Korridor aber nicht ablehnen.

Wie die UNO will sich Präsident Recep Tayyip Erdogan weiterhin dafür einsetzen, den ursprünglichen Getreidedeal neu zu beleben. Russland sei kein Land, das man ignorieren könne, sagte er vor wenigen Tagen. Nach seinem Besuch bei der UN-Vollversammlung in New York beklagte Erdogan vor türkischen Journalisten, er habe bei anderen Spitzenpolitikern „eine negative Haltung“ gegenüber Kremlchef Wladimir Putin festgestellt, mit der er nicht einverstanden sei.