Elisabeth Hartmann geht freitags immer auf den Markt. Und auch sonst ist einiges los bei ihr. Foto: Caroline Holowiecki

Am 1. Januar 2021 feiert Elisabeth Hartmann im Augustinum in Stuttgart-Riedenberg einen besonderen Geburtstag. Allerdings unter Coronabedingungen und ohne großes Fest. Verzagt ist die muntere Dame trotzdem nicht.

Riedenberg - Elisabeth Hartmann nimmt um Schlag 10 Uhr den Hörer ab, wie verabredet. Eine Stunde habe sie Zeit, stellt sie als Allererstes klar. Sie sagt es nicht drängelnd, sondern freundlich und bestimmt. Um 11 Uhr werde besinnliche Musik gespielt, danach gehe es zum Essen. 99 Jahre ist Elisabeth Hartmann alt, doch wer glaubt, die Seniorin habe nichts zu tun, der irrt. Im Augustinum in Riedenberg, wo sie seit 14 Jahren in einer Zwei-Zimmer-Wohnung im fünften Stock wohnt, hat die Pandemie vieles verändert.

Die Essenszeiten sind fix, die meisten Konzerte, Vorträge und sportlichen Übungen indes gestrichen. Doch auch so wird es der Seniorin nicht langweilig, wie sie sagt. Am Freitag ist Markt. Den lässt sie sich nicht entgehen. „Ich habe zwei Stöcke, das funktioniert gut“, sagt sie. Auch das Grab ihres Mannes pflegt sie selbst. Vor 15 Jahren hat er in Sillenbuch auf dem Ostfilderfriedhof seine letzte Ruhe gefunden. „Am Weg nach Heumaden, nach der alten Heimat.“

Der Sohn lebt in Brasilien, die Tochter am Atlantik

Am 1. Januar wird Elisabeth Hartmann 100. Erwartet habe sie das nicht. „100 war für mich eigentlich gar nicht zu denken. Und jetzt ist es so schnell gegangen“, sagt sie am Telefon. Persönlich kann das Interview nicht stattfinden. Besuche sind im Altenheim nicht erlaubt. Entsprechend muss die Jubilarin am Neujahrsgeburtstag auf ein rauschendes Fest verzichten. „Überhaupt niemand“ werde kommen, glaubt sie. Reisen seien ja quasi nicht möglich. Der Sohn lebe in Brasilien, die Tochter am französischen Atlantik. Die fünf Enkel seien ebenfalls weit verstreut. Allein fühle sie sich trotzdem nicht. „Ich sitze jeden Tag am Laptop“, sagt sie munter. Sie schreibe viel. Auch mit Videoanrufen kenne sie sich aus. „Das ist gar nicht so schlimm“, sagt sie.

Elisabeth Hartmanns Stimme klingt fröhlich. Sie erzählt lebhaft und detailreich. Von ihrer Kindheit am Bodensee, den sie so sehr liebt. Von der Zeit im schönen Heumaden, wo sie Ende der 1950er mit ihrem Mann in einem „hart ersparten“ Reihenhäuschen gewohnt habe, und von den netten Nachbarn, zu denen sie bis heute eine Freundschaft pflege.

Sie erzählt von ihrer Berufszeit, in der sie Kinder fürs Jugendamt in Kliniken und Erholungsheime begleitet habe, „an die Nordsee und nach Österreich. Das war eine sehr schöne und gute Aufgabe“. Am Liebsten erzählt sie aber von ihrer Familie. Stolz schwingt in ihrer Stimme mit, wenn sie die Enkel in Frankreich oder in Dänemark erwähnt. Die Familie sei eng, „wir haben alle eine gute Beziehung“. Das vierte Urenkele sei unterwegs. „Davon erwarte ich, dass mir das Schwung gibt“, sagt Elisabeth Hartmann und lacht.

Trost spendet der Glaube

Schwung scheint die kleine Frau mit den wachen Augen mit ihren fast 100 Jahren noch ausreichend zu haben. Doch auch an ihr ist das Alter freilich nicht spurlos vorübergegangen. „Ich habe einiges hinter mir“, erzählt sie. Einen Schlaganfall habe sie überstanden. Ihre drei Geschwister seien schon gestorben. „Ich bin die Letzte“, sagt sie. Viele Weggefährten habe sie in ihrem langen Leben ebenfalls verloren. „Das ist schon etwas, das bewegt, wenn es immer kleiner wird“, bekennt sie. Trost spendet ihr der Glaube. Elisabeth Hartmann war stets in der evangelischen Kirche aktiv, in Heumaden war sie lang Kirchengemeinderätin und engagierte sich im Vorbereitungskomitee für den Frauenkreis.

Den Gesprächskreis für Frauen besucht sie immer noch. Zu Fuß, betont Elisabeth Hartmann. „Das tut mir gut.“ Auch der Kirche sei sie treu, studiere die Bibel. „Es ist schön, viel zu lesen und durchzublicken.“ Wieder klingt ihre Stimme beschwingt. Elisabeth Hartmann ist eine, der man lang lauschen kann. In ihrem hohen Alter hört sie nur nicht mehr so gut. „Drum schreibe ich gern“, sagt sie. Auch ihr Französisch versuche sie „aufzumöbeln“. Das belebe den Geist. „Man ist dauernd irgendwo am Lernen, das hält lebendig.“ In diesem Sinne verabschiedet sie sich am Telefon. Es ist kurz vor 11 Uhr. Der nächste Termin ruft. Die fast Hundertjährige, die immer in Bewegung ist, muss weiter.