Packende Szenen sind garantiert bei der Rugby-WM in England. Foto: Getty Images

In England startet an diesem Freitag die Rugby-Weltmeisterschaft – kuriose Geschichten liefert das Turnier bereits vor der ersten Partie. Topfavorit sind die All Blacks aus Neuseeland.

London - Für die einen ist es das größte Sportereignis des Jahres, für die anderen womöglich die längste Sauforgie ihres Lebens. So oder so wird die an diesem Freitag beginnende Rugby-Weltmeisterschaft in England und Wales ein Turnier der Superlative werden. 28 Jahre nach der ersten WM scheint die Zeit reif, in neue Dimensionen vorzustoßen. Bislang wurden 2,4 Millionen Karten für die 48 Spiele abgesetzt, wodurch der bisherige Rekord bereits um 200 000 Tickets überboten wurde. Die Veranstalter erwarten Einnahmen in Höhe von 545 Millionen Euro. Und auch die teilnehmenden Verbände werden fürstlich entlohnt, nachdem der Titelverteidiger Neuseeland damit drohte, andernfalls gar nicht erst anzutreten.

Die Entwicklung ist rasant, schließlich galt Rugby bis 1995 als reiner Amateursport. Kommerzialisierung bedeutet allerdings nicht immer Professionalisierung. Die Franzosen etwa, Mitfavorit auf den WM-Pokal, sind bereits vor ihrem Auftaktspiel auf der Suche nach einem neuen Quartier. Sie hatten versäumt, ihre Luxusbleibe im Süden Londons exklusiv für sich zu buchen – und waren schockiert ob der Lautstärke einer Hochzeitsgesellschaft, die direkt unter den Zimmern der Spieler feierte. Und die Südafrikaner sind froh, überhaupt in England angekommen zu sein.

Weil Nationaltrainer Heyneke Meyer zuletzt vorwiegend weiße Spieler eingesetzt hatte, strengte eine Oppositionspartei ein Gerichtsverfahren an, das zur Einbehaltung der Reisepässe von sämtlichen Nationalspielern hätte führen können. Erst auf den letzten Drücker lenkte der Verband ein und verpflichtete sich, ein knappes Drittel von dunkelhäutigen Spielern für die WM zu nominieren. Meyers Vorgänger Pieter de Villiers wütete dennoch: „Er hat das Land in die achtziger Jahre zurückversetzt.“ Die Springboks zählen trotz der Querelen zum erweiterten Favoritenkreis, ebenso wie die Engländer. Dabei verzichten die Gastgeber auf zwei ihrer besten Spieler.

In Neuseeland wird die Sperrstunde aufgehoben

Jungstar Manu Tuilagi wurde in der vergangenen Woche wegen Körperverletzung gegen zwei Polizistinnen zu einer Geldstrafe verurteilt und daraufhin vom Verband bis Januar 2016 suspendiert. Steffon Armitage, im vergangenen Jahr zu Europas bestem Spieler gekürt, wurde ebenfalls nicht nominiert. Sein Fehltritt: Er spielt für einen französischen Verein. Tatsächlich bestehen viele Verbände darauf, keine Legionäre einzusetzen. Die Japaner dagegen gehen den entgegengesetzten Weg. Die Asiaten, bislang ein verlässlicher Punktelieferant, haben gleich acht Spieler aus Neuseeland, Australien und Fidschi eingebürgert – mit Blick auf die Heim-WM 2019.

Für die Fans in Neuseeland finden die meisten WM-Spiele aufgrund der Zeitverschiebung lange vor dem Morgengrauen statt. Und weil man die All Blacks nur im Pay-TV oder in der Kneipe zu sehen bekommt, sah sich die Regierung sogar zu einer Gesetzesänderung gezwungen. Für Bars, die die Spiele live übertragen, wird die Sperrstunde aufgehoben. Kritiker befürchten, dass die WM so zu einem Trink-Exzess verkommt, doch ihre Stimmen werden überhört. Rugby ist schließlich eine nationale Angelegenheit. Das zeigt sich nicht nur daran, dass der WM-Kader im Parlament bekanntgegeben wurde, sondern auch daran, dass die Rugby-Mannschaft der Abgeordneten auf Sponsorenkosten für zwei Wochen nach Großbritannien reist. Dass auch zwei Minister dabei sind und dafür auf Parlamentssitzungen verzichten, hat keine allzu große Empörung ausgelöst. Schließlich gehört es für Premierminister John Key zum guten Ton, sich regelmäßig nach den Spielen in der Kabine der All Blacks einzufinden. Rugby ist in Neuseeland seit jeher eben größer als Politik, und das liegt nicht zuletzt an den Erfolgen der All Blacks. Sie prägen den Sport wie kein anderes Team, was auch darin zum Ausdruck kommt, dass acht von 20 WM-Teilnehmern einen neuseeländischen Trainer haben. Doch bei all dem Kult um die All Blacks: Ebenso legendär wie ihr Kriegstanz, der Haka, ist ihre Unfähigkeit, den Titel fern der Heimat zu holen.

Zweimal haben sie ihn in Auckland gewonnen, sechsmal sind sie anderswo vorzeitig gescheitert. Diesen Bann wollen sie nun brechen und zugleich das erste Team werden, das seinen Titel verteidigt und sich zum dritten Mal die Krone aufsetzt. Vorsorglich allerdings stellt Trainer Steve Hansen klar, dass seine Mannschaft nicht mehr viel mit den Weltmeistern von 2011 gemein hat. Schließlich stehen 17 Akteure im 31-Mann-Kader, die damals nicht dabei waren. Hansen selbst war damals nur Assistenz-Coach. Deshalb sagt er: „Wir wollen den Titel nicht verteidigen, weil er uns nicht gehört. Wir wollen ihn gewinnen.“

Die Rugby-WM

20 Teams nehmen an der Endrunde der Rugby-WM teil, die vom 18. September bis zum 31. Oktober in England ausgetragen wird. Nach der Vorrunde mit vier Fünfergruppen qualifizieren sich jeweils die beiden Erstplatzierten für das Viertelfinale.

Gespielt wird in zwölf Stadien in England sowie im walisischen Cardiff. Das Eröffnungsspiel am Freitag (England-Fidschi/21 Uhr/Eurosport) und das Finale finden im Londoner Rugby-Tempel Twickenham statt. Der TV-Sender Eurosport überträgt 26 der 48 WM-Partien live.

Das deutsche Team ist nicht qualifiziert, es unterlag im Mai in der europäischen Qualifikationsrunde Russland knapp. Drei deutsche Konzerne gehören dagegen zu den WM-Hauptsponsoren. (sid)