Einen Monat vor den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen wächst die Unruhe im

Einen Monat vor den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen wächst die Unruhe im Lager von Ministerpräsident Jürgen Rüttgers: Die CDU sucht intensiv nach

einem Maulwurf in den eigenen Reihen - und stellt Strafanzeige.

Von unserem Korrespondenten

Johannes Nitschmann, Düsseldorf

DÜSSELDORF. Alfons Pieper gibt sich unerschrocken. "Wir werden uns von Ihnen, Herr Krautscheid, nicht kriminalisieren lassen", schreibt der Chef-Blogger von Wir in NRW an den Generalsekretär der nordrhein-westfälischen CDU. "Sie müssen ja mächtig Respekt vor einem unabhängigen Journalismus haben." Pieper, pensionierter Vize-Chefredakteur der "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung", ist das Gesicht eines Journalisten-Blogs, der seit etlichen Wochen den Landtagswahlkampf an Rhein und Ruhr aufmischt. Pieper und seine Kollegen, die anonym unter Pseudonymen wie Theobald Tiger, Peter Panter, Kaspar Hauser und Ignaz Wrobel schreiben, haben den nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten und CDU-Landesvorsitzenden Jürgen Rüttgers mit brisanten Enthüllungen in arge Bedrängnis gebracht.

Der Blog wird offenkundig von einem Maulwurf aus der Düsseldorfer CDU-Zentrale regelmäßig mit vertraulichen Partei- und Regierungsdokumenten versorgt. Am 24. Februar veröffentlichte Wir in NRW einen vierseitigen "Vermerk für Herrn Dr. Rüttgers", in dem dessen engster Berater Boris Berger nur eine Woche nach der gewonnenen Landtagswahl 2005 vertraulich die Regierungsstrategie für die fünfjährige Legislaturperiode fixiert hatte: "Ziel muss es sein, in Zeiten, wo aufgrund großen Reformbedarfs die Politik den Menschen keine materiellen Wohltaten mehr zukommen lassen kann und aufgrund der zu erwartenden Einsparungen im Landeshaushalt, die zwangsläufig zu Protesten und Widerstand führen wird, Ihnen als MP immer wieder die Rolle des Kümmerers zu geben, der die Seele des Landes kennt, versteht und streichelt."

Im September 2009 war ein E-Mail-Verkehr bekanntgeworden, aus dem hervorging, dass maßgebliche Strategen der NRW-CDU in ihre umstrittene Videobeobachtung der Wahlkampfaktivitäten von SPD-Herausforderin Hannelore Kraft frühzeitig die Staatskanzlei von Regierungschef Rüttgers eingebunden hatten. Wenige Wochen später wurde der inzwischen zurückgetretene CDU-Generalsekretär Hendrik Wüst aufgrund parteiinterner Dokumente überführt, jahrelang doppelte Krankenkassenzuschüsse von der Landes-CDU und dem Düsseldorfer Landtag kassiert zu haben. Schließlich landeten Werbebriefe der NRW-CDU bei Journalisten, in denen spendablen Sponsoren Vieraugengespräche bei Rüttgers offeriert wurden.

Längst hat in der Landes-CDU eine hektische Suche nach dem Leck eingesetzt. Generalsekretär Andreas Krautscheid erstattete am 1. März dieses Jahres Strafanzeige, weil "in strafbarer Weise Daten und E-Mails von CDU-Mitarbeitern ausgespäht" worden seien. Seit vier Wochen ermittelt die Staatsanwaltschaft Düsseldorf wegen des Verdachts der "Ausspähung von Daten".

Für die CDU laufen die Strafermittlungen offenkundig zu lasch und zu langsam. Wenige Wochen vor der nordrhein-westfälischen Landtagswahl am 9. Mai stricken christdemokratische Strategen kräftig an der Legende, der regierungskritische Journalisten-Blog werde von einem sozialdemokratisch durchsetzten Wirtschaftsimperium unterstützt. "Die Spur führt zu Gelsenwasser", titelte die regierungsnahe "Bild"-Zeitung Mitte vergangener Woche und berichtete, dass Dokumente, die von Wir in NRW ins Netz gestellt wurden, "in der fünften Etage" des Gelsenkirchener Trinkwasserversorgers gescannt worden seien. Für das Blatt war der Fall klar: Gelsenwasser gehöre den Dortmunder und Bochumer Stadtwerken, deren Namensliste der Aufsichtsräte sich "wie das Who"s who der Ruhrgebiets-SPD lese". Einen Tag später machte die "Rheinische Post" aus einem einzigen Scan-Vorgang die Gelsen-Gate-Affäre - in Anlehnung an die Watergate-Affäre, bei der Abhörwanzen im Weißen Haus angebracht wurden.

Das Unternehmen ist über die Verdächtigungen entsetzt. "Es kann nicht sein, dass politische Parteien, die nach Maulwürfen in ihren eignen Reihen suchen, auf dem Rücken von Unternehmen und ihren Mitarbeitern Ablenkungsmanöver versuchen, die Formen einer Wahlkampagne tragen", heißt es in einem unserer Zeitung vorliegenden Schreiben der von Gelsenwasser beauftragten Anwälte an CDU-Generalsekretär Krautscheid. Doch der Rüttgers-Vertraute attackiert das Unternehmen ungerührt weiter.

Die Anwälte von Gelsenwasser hatten zuvor versichert, es gebe "keine personellen, sachlichen oder finanziellen Unterstützungen" für den geheimnisumwitterten Journalisten-Blog. Auf dem Flur der fünften Etage in der Unternehmenszentrale befänden sich "mehrere scannfähige Geräte", zu denen "zahlreiche Mitarbeiter, mehrere Abteilungen, gelegentlich auch Gäste des Unternehmens Zutritt" hätten. Dass Mitarbeiter des Blogs in den letzten Wochen bei Gelsenwasser waren, räumt dessen Frontmann Pieper unumwunden ein. Auch aus den Umständen macht er kein Geheimnis. Seine Kollegen hatten bei dem Unternehmen, das in der Vergangenheit auch mit Repräsentationsständen auf Veranstaltungen der NRW-CDU vertreten war, die Hintergründe der Sponsoring-Affäre um "Rent-a-Rüttgers" recherchiert. "Dass man dabei Dokumente einsieht, kopiert oder scannt, sind ganz normale Arbeitsvorgänge", erläutert Pieper.

Nicht so für die Landes-CDU. Sie sieht in dem Journalisten-Blog, der eng und systematisch mit "Datendieben" zusammenarbeite, eine kriminelle Verschwörung gegen ihren Ministerpräsidenten. Zuletzt enthüllte der heimliche Blog-Star Theobald Tiger Spesenquittungen über die "genusspolitischen" Aktivitäten der teuren Rüttgers-Berater, die sich auf Kosten der Parteikasse schon mal 20 feine Macanudo-Zigarren zu 136 Euro in die Parteizentrale kommen lassen. Regierungschef Rüttgers hat nach den andauernden Sticheleien des CDU-Maulwurfs erkennbar die Contenance verloren.

Seinem General Krautscheid hat der CDU-Landeschef die strikte Vorwärtsverteidigung befohlen - mit offenkundigen Verdächtigungs-Attacken gegen Journalisten und Unternehmen. Zwei Hacker-Angriffe mit Trojanern und "vergifteten E-Mails" hat der Blog Wir in NRW nach eigenen Angaben bereits überstanden.