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Mittlerweile sind viele Juristen damit beschäftigt, zu klären, ob der Befehl zum Angriff rechtens war.  

Berlin - Mit der Rücktrittsforderung sieht sich Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) mit der politischen Komponente der Kundus-Affäre konfrontiert. Oberst Georg Klein, der den Angriff militärisch verantwortet, bekommt dagegen die juristische Seite zu spüren.

Am 4. September 2009 befahl der Bundeswehr-Oberst Georg Klein zwei US-Kampfjets, zwei auf einer Sandbank festsitzende Tanklastzüge zu bombardieren, die von Taliban entführt worden waren. Klein wird vorgeworfen, seine Vorgesetzten nicht informiert und gegen die Nato-Einsatzregeln verstoßen zu haben, weil er Bomben werfen ließ, ohne die Lage aufzuklären. Es gab 142 Opfer, darunter viele Zivilisten.

Warum wird erst jetzt ermittelt?

Anfangs war die Generalstaatsanwaltschaft Dresden an Kleins Heimatstandort zuständig. Sie beauftragte die Bundesanwaltschaft zu prüfen, inwieweit es sich in Afghanistan um einen bewaffneten Konflikt handle und welche völkerstrafrechtlichen Konsequenzen sich aus Kleins angeordnetem Luftangriff ergäben. Seither gilt der Einsatz als "nichtinternationaler bewaffneter Konflikt im Sinne des Völkerstrafgesetzbuches".

Was heißt das?

In solchen militärischen Konflikten müssen sich die beteiligten Truppen an Regeln halten. Klein muss sich fragen lassen, ob er durch den "Einsatz verbotener Methoden der Kriegsführung" den Tod der Zivilisten billigend in Kauf genommen hat. Konkret heißt das: ob der Luftangriff mit zwei 250-Kilo-Bomben verhältnismäßig war, um zwar Taliban zu "vernichten" (Klein), aber eben auch "als sicher zu erwarten", dass Zivilpersonen getötet oder verletzt werden. Paragraf 11 Abs.1 Ziff.3 des Völkerstrafgesetzbuchs sieht Freiheitsstrafen von mindestens drei Jahren vor, wenn die Folgen "außer Verhältnis zum militärischen Vorteil" stehen. Sterben durch einen unverhältnismäßigen Einsatz Zivilisten oder werden sie schwer verletzt, muss der Täter fünf Jahre ins Gefängnis. Führt er deren Tod vorsätzlich herbei, kann er auch zu lebenslang verurteilt werden. Klein musste davon ausgehen, dass mindestens ein Zivilist durch das Bombardement bedroht sein würde: Er wusste, dass einer der beiden entführten Lastwagenfahrer von den Taliban erschossen worden war; das Schicksal des zweiten war unklar. 

Was passiert mit Klein?

Wird Klein angeklagt?

 Juristen rechnen nicht damit. Zunächst werden Zeugen vernommen, was in einem reinen Ermittlungsverfahren nicht möglich ist. Nach den Regeln des Völkerstrafrechts müsste Klein nachgewiesen werden, dass er den Tod der Zivilisten gezielt und wissentlich in Kauf genommen hat; das streitet er vehement ab. Auch Fahrlässigkeit würde nicht zur Verurteilung wegen eines Kriegsverbrechens reichen. Beim geringsten Zweifel an Kleins Schuld gilt ohnehin die Unschuldsvermutung. Rainer Arnold, SPD-Obmann im zuständigen Untersuchungsausschuss, erwartet einen regen Aktenaustausch mit der Bundesanwaltschaft. "Karlsruhe wird auch die politische Frage berücksichtigen, welche Auswirkungen es auf die Truppe hat, wenn ein Soldat nach dem Völkerstrafrecht juristisch belangt wird." Möglich auch, dass nach der erwarteten Einstellung des Verfahrens jemand den Fall vor dem internationalen Strafgerichtshof in Den Haag verhandeln lassen will.

Ist Klein zivilrechtlich zu belangen?

Die Frage der Fürsorgepflicht kann noch eine Rolle spielen. Schließlich gibt es erhebliche Zweifel daran, dass er die Situation an der Sandbank überhaupt richtig einschätzen konnte. Klein hatte auf eigene Aufklärer verzichtet, wahrheitswidrig behauptet, eigene Bodentruppen seien zuvor am Ort gewesen. Die Nato-Einsatzregeln verlangen, sich erst über mögliche anwesende Zivilisten zu vergewissern, bevor aus Tausenden Meter Höhe Bomben abgeworfen werden dürfen. Allerdings soll es bei den Isaf-Einsätzen üblich sein, mit falschen Behauptungen schneller an Luftunterstützung zu kommen. An der zivilrechtlichen Prüfung messen sich dann auch Schadenersatzansprüche von Opfern und Hinterbliebenen.

Warum gibt es kein Disziplinarverfahren der Bundeswehr gegen Klein?

Das Bundesverteidigungsministerium hat bislang kein Disziplinarverfahren gegen den deutschen Oberst Klein eröffnet. Trotz aller Widersprüche und Verfahrensfehler bei dem möglicherweise ersten Kriegsverbrechen im Namen der Bundeswehr vor mittlerweile sechs Monaten gebe es intern keinen Anlass, Klein einem Disziplinarverfahren zu unterziehen, heißt es.