Schüler sitzen an ihren Abiturprüfungen Foto: dpa

51 Gymnasien wollen nach den ­­Ferien wieder neunjährige Züge einführen. Doch nur 22 dürfen.

Stuttgart - Der Elternabend endete mit einer Überraschung: Zu Beginn der Diskussion darüber, ob man an der Schule wieder neunjährige Gymnasialzüge einführen sollte, sprachen sich die meisten Mütter und Väter dafür aus. Doch als ihnen der Schulleiter erklärte, dass es nicht um eine Rückkehr zum bisherigen G 9 gehe, sondern um einen befristeten Schulversuch mit ungewissem Ausgang, winkte die Mehrheit ab. Von Schulversuchen hätten sie jetzt genug. Vielleicht sei es dann doch besser, wenn sich alle darauf konzentrierten, das achtjährige Gymnasium künftig schülerfreundlicher zu gestalten.

Nicht alle der rund 380 Gymnasien im Land haben so entschieden. 51 Schulen wollen vom Herbst an wieder G-9-Züge anbieten. Das Kultusministerium sprach am Dienstag anfangs von 49 Schulen, korrigierte diese Zahl jedoch am Abend nach oben. Insgesamt hätten 45 Kommunen Anträge eingereicht. In den nächsten Tagen werden Kultusministerin Gabriele Warminski-Leitheußer, Staatssekretär Frank Mentrup (beide SPD) und Ministerialdirektorin Margret Ruep darüber entscheiden, welche Gymnasien am Schulversuch teilnehmen. Eine große Rolle bei der Bewertung spiele die Qualität der pädagogischen Konzepte der einzelnen Schulen, sagte ein Sprecher des Ministeriums. Zudem werde darauf geachtet, dass unterschiedliche Modelle erprobt werden und dass die Versuchsschulen ausgewogen regional verteilt und gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar sind.

Nicht alle Schulen erfüllen die Kriterien

Nicht alle Schulen erfüllen die Kriterien, auf die sich der Ministerrat im Januar geeinigt hat. Demnach sollen die Versuchsgymnasien mindestens vierzügig sein. Weil sich dann aber in einigen Regionen keine Schule bewerben könnte, wurden Ausnahmen zugelassen. Von den 51 Bewerbern haben 28 Schulen vier oder mehr Klassen pro Jahrgang, 18 sind dreizügig, vier zweizügig, und eine ist einzügig. Alle Kandidaten seien öffentliche Schulen, sagte ein Sprecher des Ministeriums. Unterdessen geht die Diskussion in der Regierungskoalition um den sogenannten Schulversuch weiter. „An der SPD wird im Zuge der Antragsbewertung eine stärkere Berücksichtigung von Schulen nicht scheitern“, erklärte der bildungspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion Christoph Bayer. „Das berechtigte Interesse vieler Eltern, Lehrer, Schüler und Kommunen an einem G-9-Angebot sollte gehört werden.“ Unterstützt werden sie vom Landeselternbeirat und vom Städtetag Baden-Württemberg. Letzterer war zunächst gegen den Schulversuch. Da er aber nun beschlossen sei, müsse er auch ordentlich umgesetzt werden, sagte Schulreferent Norbert Brugger.

Im Dezember hatten sich SPD und Grüne im Landtag nach Diskussionen darauf geeinigt, an insgesamt 44 Gymnasien Schulversuche zu genehmigen – 22 starten zum Schuljahr 2012/13, weitere 22 sind für das darauffolgende Schuljahr geplant. Die SPD wollte bis zu einem Drittel der Gymnasien zulassen, die Grünen lediglich etwa 20.

„Das G8 hat sich bewährt“

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat am Dienstag eine Ausweitung des Schulversuchs abgelehnt. Die Begrenzung auf 44 Versuchsschulen sei richtig, sagte er. Auch die Grünen-Fraktion sprach sich erneut gegen mehr Versuchsschulen aus. „Bereits jetzt haben Schüler die Möglichkeit, das Abitur in neun Jahren zu erreichen“, sagte Sandra Boser, bildungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion. Dafür gebe es in Baden-Württemberg flächendeckend berufliche Gymnasien. Auch über die neuen Gemeinschaftsschulen ist das Abitur nach neun Jahren möglich. Boser forderte einen regionalen Schulentwicklungsplan: „Wir müssen dafür Sorge tragen, dass überall im Land die Schulstruktur weiterentwickelt wird und die Kinder beste Bedingungen vorfinden.“

Auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft lehnt G-9-Züge ab. „Statt für mehr Modellversuche brauchen wir das Geld dringender, um die Gymnasien zu echten Ganztagsschulen auszubauen, für kleinere Klassen und für die Unterstützung von Schüler/innen“, sagte die Landesvorsitzende Doro Moritz. „Das G 8 hat sich bewährt und soll pädagogisch weiterentwickelt werden. Dort, wo es in der Umsetzung noch Probleme gebe, wäre die Regierung gut beraten gewesen, diese zu beheben, anstatt mit Modellversuchen zu einem früheren System den Haushalt und die Lehrer zu belasten“, erklärte der bildungspolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Landtag, Georg Wacker. Sein FDP-Kollege Timm Kern forderte, auf das „kostspielige Experiment“ zu verzichten. „Mit den beruflichen Gymnasien im Anschluss an die mittlere Reife gibt es im Übrigen bereits eine neunjährige Alternative zum achtjährigen Gymnasium in Baden-Württemberg.“