Psychoaktive Stoffe, die mitten in Stuttgart aus einem Automaten verkauft werden? Was hinter den Tütchen steckt, wie sie wirken und wie ein Suchtexperte die Substanzen einschätzt.
Es ist ein Automat in Stuttgart, der unauffällig in einer Ecke vor einem Dönerimbiss an der Stadtbahn-Haltestelle Rotebühlplatz steht. „LSD Pappe“ und „HHC Gras“ wird hier angeboten. Teenager, die von der Schule kommen, ein Mann mit Einkaufstüten und Frauen, die mit kleinen Kindern auf dem Arm unterwegs sind, laufen vorbei. Rund um die Uhr ist es möglich, hier LSD-ähnliche Substanzen zu kaufen. Aber wie kann es sein, dass sie hier legal verkauft werden? Und was steckt in den Tütchen?
Nicht nur am Rotebühlplatz, auch in Stuttgart-Ost und an acht anderen Orten in Deutschland bietet die Firma „Mein CBD Deutschland“ mit Sitz in Bensheim bei Darmstadt solche Substanzen aus dem Automaten an. Wer hier etwas kaufen will, muss nur seine Volljährigkeit – etwa mit dem Ausweis – nachweisen. Mit der Legalisierung von Cannabis hat all das nichts zu tun. Seit Monaten sollen die halbsynthetischen Substanzen in Stuttgart schon verkauft werden. LSD und THC fallen unter das Betäubungsmittelgesetz. Auch wenn sich bei Cannabis die Rechtslage zum 1. April 2024 geändert hat, gibt es weiterhin einen Graubereich für Joints und Nanogramm THC. Doch die Stoffe, die hier verkauft werden, wie etwa 1D-LSD, werden bislang wegen ihrer Molekülform nicht vom Gesetzgeber erfasst. Die Bundesregierung spricht von „neuen psychoaktiven Stoffen“ – kurz NpS.
Sowohl der Stuttgarter Polizei als auch der Staatsanwaltschaft in Stuttgart sind die Automaten bekannt. Details dazu könne man aber nicht nennen. Ein Sprecher des Gesundheitsministeriums erklärt, die Bundesregierung beobachte generell das Auftreten solcher psychoaktiven Stoffe, in der Vergangenheit auch oftmals „Legal Highs“ genannt. Sie werden „von den Akteuren des Drogenmarktes hergestellt und zu Missbrauchs- und Rauschzwecken in den Verkehr gebracht“, erklärt das Ministerium. Verbote werden schlichtweg umgangen. Die Empfehlungen des zuständigen Sachverständigenausschusses hinsichtlich solcher Substanzen wie 1D-LSD würden allerdings momentan überprüft.
Der Firmeninhaber von „Mein CBD Deutschland“, der hinter dem Automaten in Stuttgart steckt, will sich auf Anfrage nicht äußern. Die Leiterin des Shops in Bensheim, Elena Marek, gibt am Telefon allerdings Auskunft über die Produkte. „1D-LSD wird erst im Körper selbst zu LSD und wirkt ganz ähnlich“, sagt sie. Manche ihrer Kunden nehmen das auf Partys, andere erzählten, es mache kreativ, sagt die Angestellte. Sie selbst nehme die Substanzen nicht zu sich. Marek erklärt, die Branche rechne bereits mit Verboten. „Die sind bereits dran, Alternativprodukte auf den Markt zu bringen“, sagt sie. Behörden und Produzenten spielen bisher offenbar ein Katz-und-Maus-Spiel.
1D-LSD wird im Körper zu LSD
Aber welche Wirkung und Gefahren geht von den NpS aus? „Es gibt kaum medizinische Untersuchungen und wissenschaftliche Arbeiten über die Substanzen“, sagt Maurice Cabanis, der Ärztliche Direktor für Suchtmedizin am Klinikum Stuttgart. Das mache es schwierig, Stoffe wie HHC und 1D-LSD zu beurteilen. Neu seien diese Stoffe nicht. „Sie sind seit Jahrzehnten bekannt, aber erst seit Kurzem auf dem Markt“, sagt Cabanis. Zeitweise sei 1D-LSD in Deutschland verboten gewesen. Bei einer Gesetzesänderung kam es aber offenbar zu einem Fehler, nun sind die Substanzen wieder legal auf dem Markt, erklärt er. Er geht davon aus, dass sich das schon bald wieder ändert. „Bei solchen Substanzen und dem Zugang über entsprechende Automaten ist sicherlich die Gefahr, dass sie von jungen Menschen mit wenig Erfahrung genommen werden. Nach dem Motto: Wenn das legal ist, dann kann es ja nicht so schlimm sein“, sagt Cabanis.
Stoff aus LSD-Automat in Stuttgart wie normales LSD
Aber wie wirken die Stoffe? „Die Wirksamkeit solcher Substanzen wird sehr unterschiedlich beschrieben“, sagt Cabanis. Das habe mit der Dosis und der Erfahrung der einzelnen Konsumenten zu tun. HHC werde etwa in Gummibärchen oder zum Inhalieren angeboten – die Aufnahme durch den Körper spiele eine Rolle. „Manche verspüren eine starke Wirksamkeit, andere stellen überhaupt keine fest.“ In Hinblick auf 1D-LSD müsse man davon ausgehen, dass der Stoff ähnlich wirke wie LSD. Doch auch hier sei vor allem die Dosis ganz entscheidend.
In Internetforen beschreiben Nutzerinnen und Nutzer den LSD-Rausch. Die Wahrnehmung verändere sich, wenn die Dosis zu hoch sei, dann könne es zu einer „Ich-Auflösung“ kommen. Ein Mann meint, er sei bei seinem Begräbnis gewesen. Was manch einer beschreibt, klingt nach einem echten Horrortrip. Einige warnen davor, solche Substanzen alleine einzunehmen.
Leichtfertig sollte man mit solchen Substanzen wie 1D-LSD in keinem Fall umgehen, rät auch der Ärztliche Direktor. „Man setzt sich damit sicher einem Risiko aus“, sagt er. Doch davor nur zu warnen, findet er nicht sinnvoll. „Ich halte nichts von einem Abstinenzdogma.“ Auch der Konsum von anderen legalen Drogen sei nicht gesundheitsförderlich, trotzdem gehörten sie zum Alltag vieler, wie etwa Alkohol. Maurice Cabanis rät vor allem dazu, sich in Drogenberatungsstellen zu informieren, bevor man zu solchen Substanzen greift – auch wenn sie legal im LSD-Automaten um die Ecke erhältlich sind.
Hinweis: Dieser Artikel erschien online am 1.3.2024 in Stuttgarter Zeitung und Stuttgarter Nachrichten. Multimedia-Elemente und Links wurden im Juni aktualisiert. Seit 1. Juli 2024 ist LSD als gesamte "Stoffgruppe" verboten. Der Verkauf per Automat wurde in Stuttgart wenige Tage zuvor eingestellt.