Firmen fürchten Bürokratie und teureren Strom, Arbeitnehmer hoffen auf sozialere Politik.

Stuttgart - Zwischen etlichen Firmen und den Grünen gab es in den vergangenen Wochen gegenseitige Annäherungsversuche - schließlich setzen auch viele Unternehmen zunehmend auf Umwelttechnologien. Doch der Machtwechsel bereitet Vertretern der Wirtschaft Unbehagen.

Der Göppinger Maschinenbauer Schuler war bisher nicht für umstürzlerische Umtriebe bekannt. Doch im Herbst legte der Weltmarktführer bei großen Pressen einer Grünen-Delegation unter Vorsitz des Fraktionschefs Winfried Kretschmann etwas nahe, was man einem bodenständigen Mittelständler kaum zugetraut hätte. "Fordern Sie die Industrie heraus", sagte Vorstandsmitglied Joachim Beyer. Die Öko-Partei solle sich für strengere Umweltnormen starkmachen. Dann könne sich die anspruchsvolle Umwelttechnologie der Südwest-Firmen besser durchsetzen.

Doch nun, da tatsächlich eine Regierung unter Führung der Grünen die Macht übernimmt, fallen die Reaktionen in der Wirtschaft eher verhalten aus. Wird es noch mehr Bürokratie geben? Wie teuer wird künftig der Strom? Solche Überlegungen dominieren die Stellungnahmen von Firmen und Verbänden, die von unserer Zeitung um eine Bewertung gebeten worden sind. Freude dominiert dagegen bei Vertretern der Arbeitnehmer. Sie hoffen auf einen Einsatz gegen prekäre Beschäftigung.

Die Industrie- und Handelskammer (IHK) der Region sagte, sie habe nun "klare Erwartungen". Ihr Präsident Herbert Müller erklärt, die neue Landesregierung müsse "sicherstellen, dass Wachstum, Wohlstand und Arbeitsplätze in Baden-Württemberg langfristig gesichert werden".

Sehr skeptisch äußert sich der Chef der Stiftung Familienunternehmen, Brun-Hagen Hennerkes. "Ich glaube nicht, dass das Land unter Rot-Grün auf Dauer die Wirtschaftskraft halten kann, die es heute hat", sagt der Stuttgarter Wirtschaftsanwalt. "Ich schätze Herrn Kretschmann zwar als einen Mann mit Augenmaß, bin aber nicht sicher, ob er nicht von seinen eigenen Leuten überrollt wird." Zudem appellierte er an die neue Regierung, sich bei Projekten wie der Erhöhung der Erbschaftsteuer oder der Wiedereinführung der Vermögensteuer zurückzuhalten. Auch Hans-Eberhard Koch, Präsident des Landesverbands der baden-württembergischen Industrie, meint, die Wirtschaft benötige "weiter ein günstiges Investitionsklima und angemessene Rahmenbedingungen in Baden-Württemberg".

Deutlich freundlicher wird die neue Regierung vom Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) im Land empfangen. "Die neuen Koalitionspartner sind uns nicht fremd", erklärte VDMA-Landeschef Christoph Hahn-Woernle. "Dabei gab es - insbesondere mit dem SPD-Vorsitzenden Nils Schmid - bemerkenswerte Übereinstimmungen bei notwendigen Infrastrukturinvestitionen in den Bereichen Bildung, Forschung, Verkehr." Kretschmann kenne man beim VDMA als "wertkonservativen Grünen, dem sehr viel an der Bewahrung unserer natürlichen Lebensgrundlagen liegt". Er kenne die Bedürfnisse der mittelständischen Unternehmen und werde sich "darum bemühen, diesen Betrieben auch in seiner Regierungsverantwortung eine Zukunft zu geben". Auch der Bundesverband mittelständische Wirtschaft Baden-Württemberg schlägt hoffnungsvolle Töne an. "Viele mittelständische Energieerzeuger haben uns ihre Unzufriedenheit mit der Atompolitik und der Energiekonzern-freundlichen Politik geschildert, da ihre Marktchancen eingeschränkt sind", lässt Landesgeschäftsführer Ulrich Köppen verlauten. Mark Bezner, Chef des Hemdenherstellers Olymp in Bietigheim-Bissingen, erklärt dagegen, er erwarte "noch den Nachweis der notwendigen Infrastruktur-, Bildungs- und Wirtschaftskompetenz für die Bewältigung der anstehenden Herausforderungen".

Erich Klemm, Gesamtbetriebsratschef von Daimler, freut sich über den Regierungswechsel - "auch wenn ich Rot lieber vor Grün gesehen hätte. Wir hoffen, dass die Grünen in der Landesregierung nicht nur ökologische und energiepolitische Themen vorantreiben, sondern sich auch engagiert für eine moderne Industriepolitik und damit für Arbeitsplätze im Land einsetzen".

Auch Porsche-Betriebsratschef Uwe Hück begrüßt natürlich das Ergebnis. Die SPD müsse jetzt die "Voraussetzungen schaffen, dass junge Menschen vom Aufschwung profitieren und die Chance auf eine gute Zukunft haben". Verdi-Landesbezirksleiterin Leni Breymaier hält den Wahltag für "einen guten Tag für Arbeitnehmer/innen im Land, weil wir davon ausgehen, dass die neue Regierung ein Tariftreue-Gesetz verabschieden wird, das Schluss macht mir Lohndumping im Staatsauftrag". Sie forderte zudem ein "Mitbestimmungsgesetz, das diesen Namen auch verdient", und eine "anständige Finanzierung" der Krankenhäuser.