Ringer Frank Stäbler am Ziel seiner Träume. Foto: dpa

Der Musberger Ringer Frank Stäbler hat das erste deutsche WM-Gold im griechisch-römischen Stil seit 21 Jahren geholt. Damals siegten Alfred Ter-Mkrtychyan und der Aalener Thomas Zander – nun setzte sich der Musberger die Krone auf.

Las Vegas/Stuttgart - Der Weg zum WM-Titel führte übers Hotelzimmer. Es lief zwischendurch gar nicht rund für Frank Stäbler (26) in Las Vegas, und nach dem Achtelfinale gab’s nur ein Ziel: schlafen. Irgendwie runterkommen, abschalten, damit es nach der Mittagspause besser klappt auf der Ringermatte. „Das klingt vielleicht blöd“, sagte Stäbler hinterher, „aber ich fühlte mich in den ersten Kämpfen platt, hatte einen schlechten Tag erwischt. Erst nach dem Viertelfinalsieg war der Bann gebrochen.“

Wohl dem, der solche Probleme hat und sie so leicht löst. Frank Stäbler Weltmeister – dieser Gedanke dominierte seit Jahren die Welt des Ringers, und wer die Geschichte des Griechisch-römisch-Spezialisten kennt, der weiß, wie groß die Genugtuung nach dem Titelgewinn in der Klasse bis 66 Kilogramm ist. „Seit meiner Kindheit träume ich von diesem WM-Gürtel“, sagte Stäbler, „vor acht Jahren hatte ich wirklich einen Traum, wie mich mein Heimtrainer Andreas Stäbler auf den Schultern über die Matte trägt.“ Genau das passierte nun in Las Vegas. Stäbler trägt Stäbler – es ist ein Bild für die Ewigkeit.

Unmittelbar zuvor schlug Frank Stäbler, der mit Andreas nicht verwandt ist, die Hände vors Gesicht und sank auf die Knie. Das Finale gegen den südkoreanischen Weltmeister von 2013, Hansu Ryu, war eine klare Sache. 5:1 hieß es am Ende für Stäbler, und der begriff erst nach und nach, was er geschafft hatte. Als er wieder aufstand, nahm er eine schwarz-rot-goldene Fahne in die Hand und fasste die ersten klaren Gedanken. „Das ist der Wahnsinn“, sagte Stäbler, der nicht nur für den ersten deutschen WM-Titel im griechisch-römischen Stil seit 21 Jahren sorgte. Der Musberger erreichte auch seinen ganz persönlichen Gipfel – nach einem Weg, der mit einigen Hindernissen gepflastert war. Am heftigsten ins Schleudern geriet der Ringer vor fünf Jahren, und das im wahrsten Sinne.

Erst in Vegas gelingt der ganz große Wurf

Rückblick: Der Musberger fährt im Juni 2010 von einem Wettkampf aus Dortmund zurück, am Steuer sitzt ein Freund. Stäbler schläft auf der Rückbank, seine Freundin Sandra sitzt neben ihm. Als Stäbler aufwacht, schläft seine Freundin immer noch – und der Kumpel liegt auf dem Lenkrad. Das Auto hat sich zuvor mehrfach überschlagen, es flog über die Leitplanke. „Wir hatten großes Glück“, sagt Stäbler. Die Insassen erleiden Gehirnerschütterungen, aber später wird klar, dass Stäblers Hüftknochen angebrochen ist – und die WM vor fünf Jahren ohne ihn stattfinden wird.

Zwei Jahre später, bei den Olympischen Spielen in London, versagen Stäbler im ersten Kampf die Nerven, über die Hoffnungsrunde schafft er es dennoch noch in den Kampf um Platz drei. Am Ende wird er Fünfter. Keine schlechte Platzierung – doch Stäbler weiß, dass bei den kommenden Großereignissen noch Luft nach oben ist. Mit seinem Management heckt er nach den Spielen in London einen Plan mit konkreten Vorgaben aus. Erstes Ziel: Weltmeister werden. Zweites Ziel: Olympiagold holen. Teil eins ist erledigt, in Rio soll im nächsten Jahr der nächste Coup gelingen. Oder, wie es Frank Stäbler selbst sagt: „Dort will ich das Mosaik komplett machen.“

Der Musberger hatte ja schon zuvor mit guten Ergebnissen bei großen Wettkämpfen aufhorchen lassen. Europameister 2012, Bronze bei der WM 2013 in Budapest und Platz drei bei der EM 2014 in Finnland, das alles waren starke Leistungen, nur der ganz große Wurf blieb eben aus bisher – bis zum denkwürdigen Abend in Las Vegas, bei dem Stäbler auch von der Unterstützung auf der Tribüne profitierte.

Was einfach klingt und für jeden anderen Sportler irgendwie normal zu sein scheint, ist für Stäbler eine Grundbedingung für den Erfolg. Nur wenn er seine Lieben um sich hat, kann er seine Leistungen abrufen. Nur wenn er sich wohlfühlt, sind große Kämpfe drin. In Las Vegas waren nicht nur Freundin Sandra und seine Familie dabei – auch etliche Kumpels fanden den Weg ins glitzernde Zockerparadies. 22 Freunde aus der Heimat bildeten Stäblers kleinen, aber lautstarken Fanblock. „Sie geben mir unheimlich viel Kraft“, sagte Stäbler, „es ist schön, dass ich ihnen jetzt so viel zurückgeben konnte.“

Ein Trip durch Kalifornien zur Belohnung

Auch im Trainingsalltag ist es Stäbler stets wichtig, die Menschen seines Vertrauens um sich zu scharen. Stäbler braucht Nestwärme, und wenn der Deutsche Ringerbund sein Trainingslager vor der WM wie in diesem Jahr in Musberg abhält, ist das für die Form des Lokalmatadors sicher kein Nachteil. So kann er seinen schier unbändigen Ehrgeiz ausleben – und in der vertrauten Atmosphäre auch jene Lockerheit aufsaugen, die er zwischendurch braucht. Nach dem Titelgewinn plant die Stäbler-Entourage übrigens noch einen Trip durch Kalifornien und Nevada, erst am 26. September geht es dann zurück in die Heimat.

Bis dahin wird der Ringer sicher auch wieder einen gesunden Schlaf gefunden haben – im Gegensatz zum Nachmittag des WM-Triumphes. Im Hotel scheiterte Stäbler beim Vorhaben, ein Nickerchen abzuhalten. „Bei dem Adrenalin im Körper konnte ich kaum schlafen, nur etwas ruhen“, sagte Stäbler später am Abend und lachte. Am Ende ging trotzdem alles gut – oder, um es mit den Worten des Weltmeister zu sagen: „Es hat einfach alles gepasst – die Sterne standen richtig.“