Katharina Axtmann und Frank Dittel entwerfen die Zukunft des Handels. Foto: Lichtgut

Sind bald autonome Mobilität und Einkaufen miteinander verknüpft? Darüber und andere Strategien für den Handel und die Gastronomie macht sich der Stuttgarter Architekt Frank Dittel Gedanken.

Stuttgart - Im Handel gibt es Todsünden, die dem Azubi schon am ersten Tag erklärt werden: Lass den Kunden immer über rechts den Laden betreten, platziere die Kasse nie in der Mitte und bau die Regale nicht bis an die Decke, damit die Menschen die Orientierung behalten. Einfache Regeln – und doch werden sie mitunter in Läden außer Kraft gesetzt. Solche Händler sind in der Regel keine Kunden von modernen Architekten, die sich auf Wohlfühlorte spezialisiert haben. Nichts anderes soll nämlich der Laden von heute und morgen sein. Der Stuttgarter Architekt Frank Dittel beschäftigt sich seit dem Jahr 2005 mit diesem Thema und lernt dabei jeden Tag dazu. Inzwischen weiß er auch: der Architekt im Bereich Handel und Gastronomie, ist heute auch Berater und Psychologe.

„Wir müssen wissen, wie die Menschen ticken und welche Bedürfnisse sie haben“, sagt er. Was will der Kunde? Knappe Antwort: immer neue Reize. Aber allein die Stimulierung reiche nicht aus. „Ein guter Raum im Verkauf muss heute die Erwartungen der neuen Konsumentengeneration erfüllen, die freiheitsliebend und individuell ist“, sagt Dittels Kollegin Katharina Axtmann. „Bedarfsdeckung geht heute übers Internet. Der Shop muss das sein, wo man sich seine Inspiration holt, einem bei der Entscheidung geholfen und Erlebnis geboten wird.“

Sein Auftrag: Wohlfühlzonen schaffen

Mit diesen Faktoren entwirft Dittel nicht nur Zonen und Lounges bei Breuninger oder den neuen Laden von Mußler/Notino im Gerber. Er überträgt seine Ideen auch auf viele Lokale im Dorotheen-Quartier. Etwa die Sansibar, das Enso Suhsi und das Eduard’s. Im Prinzip gelten im Handel und in der Gastronomie die gleichen Anforderungen. Von Dittel auf den Punkt gebracht: „Hospitality ist das neue Retail.“ Auf deutsch: Gastlichkeit ist das Zauberwort im Verkauf: „Daher glaube ich auch nicht, dass der stationäre Handel tot ist. Er muss nur die Bedürfnisse der Menschen verstehen und erfüllen.“ Er selbst hat das in seiner Zeit in London erlebt. Dort spielte sich das Leben kaum in den eigenen vier Wänden ab. Gleiches sieht er nun hier: „Der Wohnraum ist knapp, die Leute sind fast nur noch zum Schlafen zu Hause. Sie wollen raus und sich unterhalten.“ Darauf könne der Einzelhändler eingehen, wenn er sich architektonisch und konzeptionell darauf einstellt. Soll heißen: weite und überschaubare Räume, Orientierung und Angebote zum Verweilen. Der Mensch als soziales Wesen müsse im Mittelpunkt stehen.

Täglich beschäftigen er und sein Team sich daher damit, wohin die Reise in Zukunft geht. Manches davon wirkt fremd und skurril. „Aber wir nehmen selbst schwachsinnige Ideen als Brücke für Entwürfe in die Gegenwart.“ Ein solches Szenario ist eine Idee, die autonome Mobilität und Einkaufen verbindet. Konkret: der Kunde bestellt nicht nur das Fahrzeug, sondern einen fahrenden Laden mit. Hintergrund dieser abenteuerlichen Gedanken sind wieder der Mensch und seine Bedürfnisse sowie der Trend zur (Selbst-) Optimierung: „Wer so handelt, hat Zeit gewonnen. Zeit, die jeder heutzutage maximal nutzen will“, sagt Dittel.

Der Trend geht zur (Selbst-)Optimierung

Diese Anforderungen, denen Menschen heute bei der Arbeit ausgesetzt sind oder sich selbst stellen, beeinflusst laut Dittel auch das Konsumverhalten: „Wir haben heute einen maximalen Anspruch.“ An die Verfügbarkeit der Waren und den Service. Und damit schließt sich der Kreis. Wer all das erreichen und zukunftsfähig bleiben wolle, „steht vor der größten Herausforderung: Er muss on- und offline verbinden“.

Und tatsächlich sollte der Kunde vom Ladeneingang nicht nach links auf die Fläche geführt werden. „Das liegt nicht in der Natur der meisten Menschen“, sagt Frank Dittel, „das macht ihn unsicher, verschafft ihm kein gutes Gefühl.“ Genau darum geht es heute im Handel. Nicht um den Pragmatismus beim Einkaufen, sondern das Gefühl beim Shoppen.