Die Crew macht ihre H145 startklar. Foto: Phillip Weingand/StZ

Rund 80 Kilometer von Stuttgart entfernt liegt der Heeresflugplatz Niederstetten. Ein Pilot aus dem Kreis Ludwigsburg fliegt von dort aus Rettungseinsätze in der ganzen Region – Einblicke in einen filmreifen Alltag.

Noch fünfzehn Fuß, zwei links“, sagt die Frauenstimme über das Intercom-System in den Helmen der beiden Piloten. Immer weiter senkt sich der Helikopter in Richtung eines großen Betonquaders. Außerhalb der Kabine kauert Stabsfeldwebel Tina in verrenkter Pose auf der rechten Kufe, um den Bereich unterhalb der Maschine im Blick zu halten. Sie dirigiert die Piloten, bis der Hubschrauber mit nur einer Kufe auf dem Quader aufsetzt. Dann verharrt die Maschine im Schwebeflug – ein anspruchsvolles Manöver, wie es etwa nötig wäre, um einen Verletzten von einem Flachdach zu retten. Dafür sind Zentimeterarbeit und viel Feingefühl nötig. Und absolutes Vertrauen der Besatzung zueinander.

 

80 Kilometer nach Stuttgart sind für die Hubschrauber ein Katzensprung

Das Manöver ist Präzisionsarbeit. Foto: StZ

Die Crew macht an diesem Nachmittag einen Übungsflug. Auf dem Heckausleger des Hubschraubers prangt das Eiserne Kreuz, das Erkennungszeichen der Bundeswehr. Doch die Overalls der Besatzung sind nicht olivgrün, sondern signalfarben. Auch der H145, ein Helikopter der Airbus-Gruppe, trägt auf seinem Tarnkleid auffällige Markierungen in grellem Orange sowie den Schriftzug „SAR“. Das steht für Search and Rescue – Suchen und Retten. Der Helikopter gehört zum Transporthubschrauberregiment 30 „Tauberfranken“ der Heeresflieger, ist aber ein Rettungshubschrauber.

Der Flugplatz Niederstetten ist der einzige im Land verbliebene Stützpunkt der Heeresflieger. Aufgabe des Regiments mit seinen rund 1100 Soldaten ist es, die Rettungshubschrauber sowie die größeren NH90-Transporthubschrauber instand zu halten und zu fliegen. Die rund 80 Kilometer bis nach Stuttgart sind für die Helikopter, die mit bis zu 300 Stundenkilometern unterwegs sind, ein Kurztrip. Immer wieder sorgen vor allem die NH90 für Aufhorchen, wenn sie über der Region unterwegs sind – etwa, um den Instrumentenflug zu üben und dabei den Stuttgarter Airport zu überfliegen. Auch die SAR-Hubschrauber sind hier immer wieder unterwegs. Als beispielsweise Ende August 2023 während eines Sturms ein Rentner in einem Wald bei Backnang verunglückte, flog ein SAR-Hubschrauber an.

Vorne im Cockpit, an diesem Nachmittag ausnahmsweise auf dem linken Platz des Copiloten, sitzt Hauptmann Marc. Die Bundeswehr legt Wert darauf, dass keine Nachnamen öffentlich genannt werden – zum Schutz der Soldaten und ihrer Angehörigen. Marc, ein hagerer Typ mit Pfälzer Zungenschlag lebt in Freiberg bei Ludwigsburg, wenn er nicht, wie in dieser Woche, Dienst in der Kaserne schiebt und dort übernachtet.

Der 48-Jährige hat sich schon immer am Steuer eines Luftfahrzeugs gesehen: „Als Bub bin ich immer aufgesprungen und ans Fenster gelaufen, wenn ich einen Hubschrauber gehört habe. Na ja, eigentlich mache ich das heute noch“, sagt er. Auf den Segelfliegerschein, den er als Jugendlicher machte, folgte die Ausbildung zum Hubschrauberpiloten bei der Bundeswehr. Einen Plan B gab es für ihn nie: „Ich habe damals nur eine einzige Bewerbung geschrieben.“ Seine Augen leuchten, wenn er beschreibt, wie es ist, sich fernab aller Hürden durch die Luft zu bewegen. „Und das auch noch mit dem sinnvollen Auftrag, Menschen helfen zu können – besser geht es nicht.“

Ein Mitflug im Rettungshubschrauber der Bundeswehr

Die Aussicht gibt es bei den Job gratis dazu. Foto: StZ

Neben Marc sitzt an diesem Morgen sein 33-jähriger Kollege Marco als verantwortlicher Pilot. Nach dem Abheben bricht die Nachmittagssonne durch den leichten Dunst und die Wolken über dem Main-Tauber-Kreis. Sie taucht den Helikopter und die Landschaft in ein sanftes, warmes Licht. So spektakulär die Aussicht auch sein mag: Wichtiger ist für die Männer am Steuerknüppel, was sich auf den digitalen Displays im Cockpit abspielt. Denn heute wird das Navigieren im Instrumentenflug geübt.

Erstes Ziel ist der Truppenübungsplatz Külsheim. Nach einer kurzen Zwischenlandung geht es an diesem Tag weiter über Hohenlohe, zum Stuttgarter Airport und wieder zurück nach Niederstetten. Was bei gutem Wetter funktioniert, muss im Ernstfall auch bei widrigen Bedingungen klappen – wenn Wind und Wetter der Besatzung die Sicht nehmen und zugleich Menschenleben auf dem Spiel stehen.

Luftrettungsmeister sind echte Alleskönner

Hinter den Piloten befindet sich der dritte Arbeitsplatz. Er gehört der Luftrettungsmeisterin Tina. Die 41-Jährige ist Notfallsanitäterin und Bordmechanikerin. Sie bedient die Seilwinde sowie die Infrarot- und Wärmebildkamera. Falls der Hubschrauber mit einem „Bambi Bucket“ Flächenbrände löschen muss, ist es ihr Job, die Piloten vor dem Abwurf auf das Ziel einzuweisen. Stabsfeldwebel Tina ist eine von rund 100 Frauen im Regiment.

Die militärischen SAR-Hubschrauber sind neben Niederstetten auch in Nörvenich (Nordrhein-Westfalen), Holzdorf (Brandenburg) und bei der Marine in Nordholz bei Cuxhaven stationiert. Ihre Hauptaufgabe ist die Suche nach vermissten Luftfahrzeugen. Kehrt etwa ein Ultraleichtflieger nicht zu seinem Flugplatz zurück oder steigt ein Kampfjetpilot mit dem Schleudersitz aus, werden die SAR-Helikopter über ihre Leitstelle in Münster alarmiert.

Das Team übernimmt aber auch klassische Luftrettungsjobs. Wenn die zivilen Rettungsflieger ausgelastet sind oder das Wetter zu schlecht ist, schlägt die Stunde der militärischen SAR-Besatzungen und ihrer hochmodernen Maschinen. Informationen werden ihnen auf riesigen Farbdisplays präsentiert, notfalls fliegen sie mit Nachtsichtgeräten. Bordcomputer und Autopilot entlasten sie beim Fliegen und beim Planen von Einsätzen. Mit speziellen Antennen am Helikopter können sie Notsender und sogar Handys orten – letzteres braucht allerdings den Segen eines Staatsanwalts.

Bei diesen Rettungsflügen gilt das sogenannte Subsidiaritätsprinzip: Die Hubschrauber im olivgrün-signalorangenen Anstrich dürfen den kommerziellen, gelben und rot-weißen Engeln keine Konkurrenz machen. Dies führt manchmal zu geradezu absurden Situationen: SAR-Piloten berichten etwa von einem Flug, bei dem sie einen Patienten aus einem unzugänglichen Steinbruch geborgen hatten – um ihn dann auf der nächsten Wiese in einen zivilen Rettungshubschrauber umzuladen. „Allerdings ist bei den zivilen immer ein Arzt mit an Bord, und sie fliegen auch als Notarztzubringer“, erklärt Hauptmann Marc.

Rettungsflieger waren einst echte Fernsehstars

Schlechtes Wetter hält einen H145 LUH SAR nicht am Boden. Foto: Weingand/StZ

Um die Jahrtausendwende wurde ein SAR-Hubschrauber sogar zum Fernsehstar – bei der ZDF-Vorabendserie „Rettungsflieger“. Weniger actionreich als „Airwolf“ und realistischer als „Medicopter 117“ fand die Serie lange Zeit ein treues Publikum. Die Bundeswehr stellte ihre Piloten und Helikopter zur Verfügung. Die Serie dürfte mit dazu beigetragen haben, dass der Hubschraubertyp Bell UH-1D mit seinem Teppichklopfer-Sound damals im ganzen Land bekannt war. Nur Hauptmann Marc schaute lieber Airwolf – „der flog mit Überschall“. Natürlich weiß Marc, dass das mit einem Hubschrauber physikalisch unmöglich ist. Aber unterhaltsam war es allemal.

Dramatische Rettungsaktion für frühgeborenes Kind

Dabei bietet der Alltag der echten Rettungsflieger durchaus echte Dramen. Marc erinnert sich an einen Einsatz vor zwei Jahren: „Ein Frühchen im Inkubator, bei Nebel und Schneefall.“ An Bord ein Arzt und eine Krankenschwester. Das Wetter verschlechterte sich immer mehr, der Arzt hatte sich schon übergeben. „Die mussten das Kind reanimieren. Herzdruckmassage mit einem Finger, weil es noch so klein war.“

Beim Landeanflug auf die Uniklinik Köln musste für den SAR-Helikopter ein gerade anfliegender Hubschrauber des Innenministeriums durchstarten. Der Arzt, der dort zusteigen sollte, half stattdessen, den winzigen Menschen aus dem Bundeswehr-Hubschrauber am Leben zu halten. „Der Kleine hat es an dem Tag geschafft, weil wir nicht ganz so schlecht sind, wie wir oft dargestellt werden“, sagt Hauptmann Marc.

Der Flugplatz Niederstetten kommt wieder in Sicht. Marco versetzt den Helikopter wieder in den Schwebeflug, Tina stellt sich wieder auf die Kufe und weist die Piloten ein. Diesmal landet der H145 auf dem sogenannten Cookie, einem Landepad, das sich per Fernsteuerung in den Hangar und wieder hinaus fahren lässt. Der nächste, echte Einsatz kommt bestimmt. Dann zählt jede Sekunde.