Die Rückseite des Alten Schauspielhauses und ein Teil der Stadtmauer Foto: Piechowski

Es gibt Orte in Stuttgart, die so versteckt sind, dass sie selbst Heimathistoriker in Verlegenheit bringen können. Wer kennt schon die Überreste der sogenannten zweiten Stadterweiterung und weiß, wo diese zu finden sind? Die Stuttgarter Stadtmauer mit ihren zehn Türmen.

Stuttgart - Es gibt Orte in Stuttgart, die so versteckt sind, dass sie selbst Heimathistoriker in Verlegenheit bringen können. Wer kennt schon die Überreste der sogenannten zweiten Stadterweiterung und weiß, wo diese zu finden sind? Eine der unscheinbarsten unserer Stuttgarter Entdeckungen hat früher die reichen Bürger der Stadt geschützt: Die Stuttgarter Stadtmauer mit ihren zehn Türmen. Heute sind ihre Überbleibsel im Zentrum Stuttgarts verschwunden – aber nicht spurlos.

Die beiden verbliebenen Reste der Mauer befinden sich nur wenige Meter voneinander entfernt. In der Krummen Straße bildet ein Teil noch die Rückseite des Alten Schauspielhauses – direkt neben der Laderampe des Theaters. In der Mauer selbst befindet sich ein großes Tor, das zu einem Lagerraum führt. Außerdem versperrt ein Privatparkplatz die Sicht auf den alten Schutzwall. Man hat sie also zugestellt, überbaut, ins Gebäude integriert und zugeparkt.

Der zweite erhaltene Teil der Mauer ist bei der ehemaligen Marienpassage zu finden, direkt hinter dem neuen Einkaufszentrum Gerber, das am 23. September eröffnen soll. An der Sophienstraße stehen lediglich noch zwei Nachkriegsgebäude, die vom Gerber umzingelt sind. Dort kann das größere erhaltene Stück der Stadtbefestigung betrachtet werden. Es soll erhalten bleiben und in einer kleinen Grünanlage öffentlich zugänglich gemacht werden. 25 Meter lang und fünf Meter hoch ist dieses Mauerstück – Schießscharten zeugen davon, dass es sich um eine Befestigungsanlage handelt. Aber auch hier muss man trotzdem gut hingucken: Die Mauer tarnt sich als Fassade eines der Nachkriegsgebäude.

Erbaut wurde die Stadtmauer im Jahre 1456. „Beide noch heute erhaltenen Mauerreste gehören zur zweiten Stadterweiterung, der sogenannten Reichen Vorstadt“, erklärt Patrick Mikolaj, Stuttgart-Kenner und Autor des Buchs „Unnützes Stuttgartwissen“. Die erste Stadterweiterung wurde Esslinger Vorstadt genannt und bildet das heutige Bohnen- und Leonhardsviertel. Auch die Esslinger Vorstadt war durch eine Mauer begrenzt, von der heute allerdings nichts mehr erhalten ist.

Die zweite Stadterweiterung wurde durch die Paulinen- und die Rotebühlstraße begrenzt. Kernbereich dieser Reichen Vorstadt war das heutige Hospitalviertel.

„Von der alten Stadtbefestigung gibt es nur noch wenige weitere Überbleibsel“, erklärt Patrick Mikolaj, „im Bohnenviertel der Schellenturm und an der Ecke Wilhelmsplatz, Hauptstätter- und Torstraße ein Teil eines Rundturmes. Er wurde zu einem Brunnen umfunktioniert.“ Das letzte Überbleibsel der zehn Türme, die einst Teil der Stadtbefestigung waren.

Wer noch gründlicher nachschaut, findet einige weitere Überbleibsel, die allerdings nicht öffentlich zugänglich sind. Im Stuttgart-Buch „Stuttgarter Grenzwanderungen – Stadtgeschichtliche Entdeckungen“ von Harald Schukraft ist vom Rest eines Mauerturms die Rede, der sich im Keller eines Gebäudes rechts neben dem Tagblattturm befindet. Es handelt sich dabei um das ehemalige Wohnhaus Friedrich Schillers.

Ein weiteres Vermächtnis der alten Festungsbauer ist noch besser versteckt: Teile des Weißenburg-Parks am Bopser. Dort, wo heute das Teehaus steht, wurden Steine aus der Stadtbefestigung für den Bau der mittlerweile ebenfalls abgerissene Weißenburg-Villa und der dortigen Gartenanlage verwendet.

Während die reichen Bürger dank ihrer Festung schon Ende des 15. Jahrhunderts ruhig schlafen konnten, haben die armen lange nur von außen eine Mauer gesehen. Obwohl die Esslinger Vorstadt die ältere Stadterweiterung ist, war diese 150 Jahre vollkommen ungeschützt. „Im heutigen Bohnen- und Leonhardsviertel lebten Anfang des 15. Jahrhunderts einfache Kaufleute, Handwerker und auch die Juden“, sagt Mikolaj. Leute, die nicht einmal Geld für Gärten hatten. „Dafür haben sie Bohnen in den Blumenkästen angepflanzt“, so Mikolaj. Womit auch die Namensherkunft des Bohnenviertels geklärt wäre.

Die besser betuchten Bewohner hatten damals schon ihre eigene Befestigung mit Wachtürmen und Wassergräben, die Reiche Vorstadt war eine eigene kleine Festung, mitten in Stuttgart. „Dort lebten Kaufleute und die Herrschaften, die im Dienste der Herzöge standen“, sagt Mikolaj.

Die Stadtmauer verschwand samt ihren Türmen Anfang des 19. Jahrhunderts nach und nach auch um das Gerberviertel herum, als Stuttgart die Hauptstadt des neuen Königreichs wurde und König Friedrich die Innenstadt auch in diesem Bereich immer weiter ausbauen ließ. „König Friedrich von Württemberg wollte Stuttgart rausholen aus dem Mittelalter und großstädtischer machen“, sagt Mikolaj. Seit 1811 sind nur noch die bis heute erhaltenen Mauerreste übrig.

Seitdem wurde das Hospitalviertel vielseitig genutzt. Um die einst stolze Stadtmauer wurde herumgebaut, bis sie in Vergessenheit geriet.