Der selbst ernannte König von Wittenberg, Peter Fitzek, in seinem Reich. Foto: Steve Przybilla

Sie zahlen keine Steuern und drucken ihr eigenes Geld: die sogenannten Reichsbürger. Bisher haben die Behörden das Phänomen belächelt, doch manche sehen die nationalistisch angehauchten Esoteriker inzwischen als Gefahr.

Wittenberg - Der König von Wittenberg ist ein Fan klarer Worte. „Steuern sind nur dafür da, Sie zu steuern“, sagt Peter Fitzek und blickt selbstbewusst in die Runde. Sein Hemd ist mit einer Krone bestickt, am Revers klemmt ein Mikrofon. Es ist Tag der offenen Tür im „Königreich Deutschland“, und wie immer lässt Fitzek seine Rede filmen. Niemandem soll entgehen, was er anzubieten hat: kostenlose Gesundheitsvorsorge, sichere Rente, keine Steuern. Der einzige Haken: Das Königreich Deutschland gibt es nicht, es existiert allein in Fitzeks Kopf.

Vor zwei Jahren ließ sich der gelernte Koch zum Monarchen krönen. Die Zeremonie kann man noch heute im Internet anschauen: Fitzek trägt einen Pelzmantel, in der Hand hält er ein Schwert. Dann schwört er, Frieden in die Welt zu tragen und die „göttliche Ordnung“ zu achten, während im Hintergrund schon die Krone bereitliegt. Mehrere Hundert Zuschauer verfolgten das Spektakel, das Fitzek auf einem leerstehenden Krankenhausgelände, dem heutigen „Staatsgebiet“, inszenierte.

Anfangs werden Fitzek und seine Jünger für ihren Pseudo-Staat belächelt. Die Wittenberger schmunzeln über die „Königliche Reichsbank“, die in der Altstadt liegt und DVDs mit dem Titel „Die Kraft der Gedanken“ vertreibt. Wer die anschaut, so das Versprechen, lernt, Krankheiten durch bloße Willenskraft zu besiegen. Doch dann macht der ehemalige Videotheken-Betreiber Ernst mit seinem Staat, beginnt, eigene Ausweise, Nummernschilder und den „Engel“ zu drucken, der fortan als Währung gelten soll – wofür Fitzeks Untertanen aber erst einmal ihre echten Euro in die Reichsbank tragen müssen. Die Masche ruft den Zoll und mehrere andere Behörden auf den Plan; die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) verbietet den Betrieb der illegalen Bank.

"Neue Deutsche Garde" versteht sich als Polizei

So weit, so skurril. Gerät die verschworene Gemeinschaft jedoch in Konflikt mit dem echten Staat, wird es schnell ungemütlich. Im Oktober 2010 streitet sich Fitzek – damals noch kein König – mit einer Wittenberger Rathaus-Mitarbeiterin und verletzt sie dabei am Arm. Als ihn das Amtsgericht Wittenberg daraufhin wegen vorsätzlicher Körperverletzung verurteilt, kommt es erneut zum Eklat: Fitzeks Anhänger versuchen den Richter „festzunehmen“, da dieser gar nicht das Recht habe, ein souveränes Staatsoberhaupt zu verurteilen.

In einer Wittenberger Grundschule hat der Monarch Hausverbot, weil er dort zwei Lehrerinnen bedroht hat. Er habe den „unmoralischen Sexualkundeunterricht“ der Pädagoginnen stoppen wollen, sagt Fitzek dazu heute. Noch einmal werde er so etwas aber nicht tun, beteuerte er kürzlich in einem Interview mit dem Mitteldeutschen Rundfunk. Solche Dinge fielen in die Zuständigkeit der „Neuen Deutschen Garde“, eine Truppe aus älteren Kampfsportlern, die sich als Polizei des neu gegründeten Staates versteht.

Man könnte den König von Wittenberg als Guru abtun, als cleveren Menschenfänger, der seinen Jüngern durch warme Worte und charismatisches Auftreten das Geld aus der Tasche zieht. Doch eine solche Erklärung würde zu kurz greifen, allein schon wegen der politischen Dimension seiner Aktivitäten. Hinzu kommt, dass Fitzek mit seinen Ansichten nicht alleine ist. Überall in der Bundesrepublik organisieren sich Menschen, die sich selbst als Reichsbürger bezeichnen. Manche wollen sich persönlich bereichern, andere hängen esoterischen Vorstellungen nach oder kommen aus der rechten Szene. Gemeinsam haben sie nur eines: ihre Ablehnung der bestehenden politischen Ordnung.

Reichsbürger glauben, die Bundesrepublik sei kein legitimer Staat, sondern lediglich eine Firma der Alliierten. Sie sprechen von der „BRD GmbH“, die immer noch unter Kontrolle der Siegermächte stehe – eine absurde Vorstellung. Trotzdem boomt die Szene, der sogar einige Prominente angehören.

Xavier Naidoo tritt vor Reichsbürgern auf

Der Mannheimer Sänger Xavier Naidoo macht keinen Hehl daraus, dass für ihn Deutschland „kein richtiges Land“ ist. Besonders deutlich wird das bei einem Interview im ARD-„Frühstücksfernsehen“ vor drei Jahren. Auf die Frage, ob er sich frei fühle, antwortet der Sänger: „Nein, wir sind nicht frei, wir sind immer noch ein besetztes Land.“ Anfang Oktober 2014 tritt Naidoo bei einer Veranstaltung der Berliner Reichsbürger auf. Im Publikum: Verschwörungstheoretiker, Kapitalismus-Kritiker – und Rechtsextreme wie der Berliner NPD-Vorsitzende Sebastian Schmidtke. Inzwischen ist sogar Naidoos Heimatstadt Mannheim das Engagement ihres einstigen Vorzeigebürgers peinlich. Man werde die weitere Zusammenarbeit überprüfen, heißt es. Der Sänger, der sein Engagement bei den Reichsbürgern mit künstlerischer Freiheit rechtfertigt, kooperiert mit der Stadt seit längerem bei Werbeaktionen.

In ihren politischen Ansichten handeln die Reichsbürger nicht uneigennützig. Viele weigern sich vehement, Steuern zu zahlen, da sie sich außerhalb der bestehenden Rechtsordnung sehen. „Die Gerichte werden mit Schreiben regelrecht überfrachtet“, erzählt Roland Höhne, Vorsitzender des Verbands der Gerichtsvollzieher in Sachsen-Anhalt. Viele Anhänger der Reichsbürgerbewegung versuchten ganz gezielt, durch endlose Schriftwechsel die Behörden lahmzulegen.

In Sachsen tritt vor zwei Jahren erstmals das Deutsche Polizeihilfswerk (DPHW) in Erscheinung, ebenfalls eine Reichsbürger-Organisation. Die Bürgerwehr rückt an, als bei einem ihrer Kameraden in Bärenwalde (Kreis Meißen) eine Zwangsvollstreckung ansteht. Die Männer, die blaue Uniformen mit der Aufschrift „Deutsche Polizei“ tragen, legen dem zuständigen Gerichtsvollzieher Kabelbinder an – in ihren Augen eine gerechtfertigte Festnahme, weil der Beamte fremdes Hoheitsgebiet betreten habe. Der Mann kann erst befreit werden, als die echte Polizei anrückt. Die hat inzwischen auch die Fantasie-Uniformen beschlagnahmt und ermittelt wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung. Aufgeben wollen die selbst ernannten Ordnungshüter deswegen aber nicht: „Das DPHW ist nach wie vor existent und aktiv“, versichern sie auf ihrer Facebook-Seite.

„Besonders schlimm ist es auf dem Land“, sagt der Grünen-Politiker Andreas Vorrath, der bis Ende September ein Abgeordnetenbüro in Meißen geleitet hat. Weil er seit Jahren vor dem Erstarken der Reichsbürger warnt, hat sich Vorrath in ihren Kreisen viele Feinde gemacht. „Es gibt Dörfer, in denen diese Leute patrouillieren. Ich fahre nur noch mit einem Knüppel im Auto.“ Das Gefährliche, sagt Vorrath, ist die scheinbare Harmlosigkeit der Reichsbürger. „Sie sind eben keine Neonazis mit Stiernacken, sondern nur schwer greifbar.“ Es gebe viele harmlose Spinner, aber auch Überzeugungstäter, die extra in Sportvereine einträten, um an Waffen zu kommen. „Diese Strömung gefährdet die Demokratie, und die Behörden haben das viel zu lange unter den Tisch gekehrt.“

Die Sorge bei den Behörden hält sich in Grenzen

Noch ist unklar, wie viele Personen der Reichsbürgerbewegung tatsächlich angehören. Auf die Frage, ob der Verfassungsschutz bestimmte Gruppen beobachtet, reagiert die Pressesprecherin ausweichend. Sie verweist auf eine Kleine Anfrage der Linken, die diese im Dezember 2012 an die Bundesregierung gestellt haben. In der Antwort heißt es, man gehe „mit aller Vorsicht von einer unteren dreistelligen Zahl“ an aktiven Reichsbürgern aus. Die brisanteste Antwort kommt ganz zum Schluss: Ein Reichsbürger war laut Bundesregierung offenbar auch im Umfeld des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) aktiv. Der rechtsextremen Terrorgruppe werden zahlreiche Mord- und Sprengstoffanschläge zur Last gelegt, darunter der Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn im Jahr 2007.

Die Kleine Anfrage an die Bundesregierung liegt inzwischen fast zwei Jahre zurück. Viel getan habe sich seither nicht, klagt Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag: „Es liegt immer noch viel zu wenig Aufmerksamkeit auf dieser Gruppe“, sagt die Abgeordnete. Ihre schlimmste Befürchtung ist, dass ein Reichsbürger irgendwann Ernst macht: „Manche berufen sich in ihrer Ideologie auf den norwegischen Utøya-Attentäter Anders Breivik. Wenn so etwas Nachahmer findet, haben wir ein echtes Problem.“

In jüngster Zeit scheint sich diese Sorge auch bei den Behörden durchzusetzen. Beim DPHW hat die Polizei schon mehrere Razzien durchgeführt, in Nordrhein-Westfalen wurde im Mai ein Anführer des Fantasiestaates „Germanitien“ verhaftet. Er soll zwei Jahre lang keine Steuern bezahlt haben. In Brandenburg schult der Verfassungsschutz Staatsbedienstete im Umgang mit Reichsbürgern. Und im pfälzischen Kurort Bad Kreuznach hat der Stadtrat ein Ratsmitglied ausgeschlossen, weil der Mann die Existenz des deutschen Staates nicht anerkennt. Der AfD-Politiker war erst im Mai gewählt worden, hatte aber von Anfang an auf sich aufmerksam gemacht – unter anderem durch selbst gefertigte Nummernschilder mit der Aufschrift „Freiheit“ und einen Brief an seine Kollegen, in dem er bekanntgab, fortan unter „Selbstverwaltung“ zu stehen.

Auch für den selbst ernannten König von Wittenberg wird es zunehmend eng. Laut Bafin schuldet Fitzek dem Staat 1,9 Millionen Euro; das Krankenhausgelände soll noch nicht abbezahlt sein. Seine „Staatskarosse“ wurde deshalb schon beschlagnahmt, gefolgt von einer Razzia in der Reichsbank. Aufgeben will der wortgewandte Monarch deswegen aber noch lange nicht. „Ich bin frei, weil hier Kräfte am Werk sind, von denen keiner etwas weiß“, prahlt er beim Tag der offenen Tür. Dann vergleicht er sich mit Martin Luther und Mahatma Gandhi, die auch als Märtyrer ins Gefängnis gegangen seien. Es ist der Moment, an dem die ersten Zuhörer die Reichsbank verlassen. Eine Frau grinst, ihr Mann sagt: „Ich kann das Geschwätz nicht länger ertragen.“ Andere bleiben, um den Worten ihres Idols zu lauschen. Was der König sagt, kann doch nur der Wahrheit entsprechen – selbst wenn es kompletter Unsinn ist.