Elisabeth Fries und Doris Trabelsi helfen im Stuttgarter Süden traumatisierten Flüchtlingen aus ganz Baden-Württemberg Foto: Achim Zweygarth

In der Weißenburgstraße finden traumatisierte Flüchtlinge ärztliche und psychologische Hilfe. Der Verein Refugio Stuttgart finanziert die Kontakt- und Beratungsstelle über Spenden mit. Doch die Zahl der Namen auf der Warteliste wächst.

S-Süd - Die Zahl der Namen auf der Warteliste von Refugio steigt. Hinter jedem Namen verbirgt sich die traumatische Geschichte eines Flüchtlings. Geschichten wie die des Jungen, der im Alter von 16 Jahren aus Afghanistan nach Deutschland geflüchtet ist. Der Jugendliche hat nicht nur ansehen müssen, wie sein Vater von amerikanischen Soldaten erschossen worden ist, er wurde auch von Taliban-Kämpfern entführt, die ihn zum Selbstmordattentäter ausbilden wollten. Dem Jungen gelang die Flucht. Doch in Stuttgart angekommen, war sein Leidensweg längst nicht beendet.

Die Mitarbeiter der Kontakt- und Beratungsstelle von Refugio im Stuttgarter Süden können unzählige solcher Schicksale schildern. In der Weißenburgstraße versuchen sie, traumatisierten Flüchtlingen sowohl medizinisch als auch psychologisch zu helfen. Finanziert wird die Arbeit der Beratungsstelle über Spenden, vom Verein Refugio Stuttgart und seit Kurzem auch mit Landesmitteln. Den Großteil des Geldes stellt aber der Europäische Flüchtlingsfonds EFF bereit. Trotzdem können die Mitarbeiter von Refugio längst nicht allen traumatisierten Flüchtlingen helfen. Dazu gibt es einfach zu viele. „Von 5000 Flüchtlingen, die jedes Jahr nach Baden-Württemberg kommen, sind 2000 traumatisiert. Alle Beratungszentren im Land können jährlich nur etwa 600 Menschen davon helfen“, sagt Elisabeth Fries. Die Doktorin hat die ärztliche Leitung der Beratungsstelle in der Weißenburgstraße inne. Sie weiß, dass Refugio vielen Flüchtlingen weitaus besser helfen könnte, wenn diese wüssten, ob sie überhaupt langfristig in Deutschland bleiben können.

„Es wird versucht, das Problem schön zu reden“

Es ist die Unsicherheit, die eine Duldung mit sich bringt, die einer Therapie hinderlich ist. „Sie müssen sich das vorstellen, wie ständiges Bungee-Jumping, bei dem man nicht weiß, ob das Seil reißt“, beschreibt Fries die Situation. Fries plädiert ebenso wie Trabelsi dafür, dass die Flüchtlinge innerhalb von zwölf Monaten nach ihrer Ankunft in Deutschland wissen, ob sie bleiben dürfen oder nicht. Menschen könnten nicht gesund werden, wenn sie ihre Vergangenheit nicht hinter sich lassen könnten. Depressionen entwickelten sich dann oft zu chronischen Schmerzen. Zumal es ja oft die Krankheit sei, die eine Duldung sichere. „Das ist dramatisch“, sagt Trabelsi. „Es ist ein Widerspruch, mit dem wir ständig zu kämpfen haben“, sagt Elisabeth Fries. Einerseits spreche sich Deutschland dafür aus, dass Menschen Asyl bekämen, andererseits diktiere die Tagespolitik etwas anderes. „Es wird versucht, das Problem schön zu reden“, sagt Fries. Vor diesem Hintergrund sei die Arbeit von Refugio umso notwendiger.

Refugio versucht zu helfen, bevor Leiden chronisch werden und sichert Flüchtlingen so die Möglichkeit, sich eine Zukunft aufzubauen. Im Fall des afghanischen Jugendlichen ist das nicht einfach. Er leidet unter ständigen Ohnmachtsanfällen, die dadurch verstärkt wurden, dass er in Stuttgart von Landsleuten zusammengeschlagen worden ist. Er braucht die Hilfe von Refugio wohl noch einige Zeit. Dass diese ein Leben verändern kann, zeigt das Beispiel einer iranischen Künstlerin. Sie arbeitet in Stuttgart wieder in ihrer alten Profession und konnte so die schweren körperlichen Misshandlungen, die ihr in ihrem Heimatland zugefügt wurden, besser verarbeiten. Schicksale wie dieses bestärken die Mitarbeiter von Refugio in der Überzeugung, dass ihre Arbeit sinnvoll ist.