Die Südwestgemeinden wollen den Rechtsanspruch auf Betreuung an Grundschulen aussetzen. Alleine stehen sie damit nicht. Wer mehr Einsatz für das Projekt fordert.
Mit seinem Plädoyer, der Digitalisierung an Schulen Vorrang vor dem Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung an Grundschulen einzuräumen, hat der Präsident des Gemeindetags, Steffen Jäger, ein gemischtes Echo ausgelöst. Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) teilt Jägers Zweifel an der Realisierbarkeit des Betreuungsausbaus. „Die Politik muss sich ehrlich machen und sagen, ob und wie der Rechtsanspruch umgesetzt werden kann“, betonte VBE-Chef Gerhard Brand. „Es nützt nichts, da weiter auf Zeit zu spielen, die Schulen brauchen einen realistischen Fahrplan.“
Jäger hat im Interview mit unserer Redaktion erklärt, niemand wisse, wie der Rechtsanspruch auf umfangreiche Ganztagsbetreuung für Grundschüler umgesetzt werden solle, und wegen der sich verschärfenden Personalnot für die Rücknahme des Beschlusses plädiert. Laut VBE-Chef Brand muss nicht jede Schule zwingend Ganztagsschule werden. „Ganztag sollte nicht von oben verpflichtend verordnet werden.“
Wirtschaft kritisiert falsche Priorisierung
Stefan Küpper, Geschäftsführer Politik bei den Unternehmern Baden-Württemberg (UBW), nennt Jägers Einschätzung „leider realistisch“ und „sehr ernüchternd“. Fehlende Ganztagsangebote drohten den Fachkräftemangel zu verschärfen. „Es zeigt sich einmal mehr, dass es immer schlechter gelingt, den öffentlichen Ressourceneinsatz richtig zu priorisieren.“
Opposition sieht Landesregierung in der Pflicht
Dagegen verwahrte sich die SPD-Bildungspolitikerin Katrin Steinhülb-Joos dagegen, beschlossene Maßnahmen infrage zu stellen. „Der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung an den Grundschulen ist ein Meilenstein, für dessen Umsetzung jetzt alle an einem Strang ziehen müssen.“ Sie forderte das Land zur Rückendeckung für die Kommunen auf. Der FDP-Abgeordnete Dennis Birnstock nannte es „erschreckend, dass die Kommunen so alleine gelassen werden“. Er wertete Jägers Äußerungen als mangelndes Vertrauen der Kommunen in die Landesregierung. Der Ganztagsanspruch müsse auch in Baden-Württemberg umgesetzt werden.
75 000 Plätze fehlen
Der Paritätische Wohlfahrtsverband im Südwesten forderte einheitliche Qualitätsstandards für die Betreuungsangebote und eine verbindliche Kooperation von Schule und Jugendhilfe. Für die Umsetzung des Rechtsanspruchs brauche es eine Gesamtstrategie, so Vorstandschef Ulf Hartmann. In Baden-Württemberg müssen nach seiner Rechnung 75 000 Betreuungsplätze für Grundschüler geschaffen werden.