Plakat zum Stück im Theater Atelier Foto: Theater

Mai 1975. Angeklagt ist die erste Generation der führenden Köpfe der Roten-Armee-Fraktion (RAF), Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe, vor dem Oberlandesgericht Stuttgart. „Im Schatten von Stammheim“ heißt ein Stück im Theater Atelier über die Hintergründe der Entstehung der RAF, ihre Ziele und militanten Mittel.

Stuttgart - Tsung! Ein Geräusch, wie wenn eine starke Lichtquelle aktiviert wird. Hinter dem Vorhang, auf nackter Bühne trägt eine Männerstimme mit emotionsfreier Stimme eine stark gekürzte Anklageschrift vor. Angeklagt ist die erste Generation der führenden Köpfe der Roten-Armee-Fraktion (RAF), Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe, vor dem Oberlandesgericht Stuttgart. Das Publikum hört: „Mord in vier Fällen, Mordversuch in 54 Fällen“ und die Beschreibung der Situation in der fensterlosen Mehrzweckhalle, die aus Sicherheitsüberlegungen auf dem Gelände der Justizvollzugsanstalt Stuttgart gebaut wurde. Hört von über 400 bewaffneten Polizisten, die das Gelände hermetisch abzuriegeln haben, dem Stahlgitternetz über allem. Man schreibt den 21. Mai 1975.

Auf der Bühne entwickelt ein hoch engagiertes Schauspielerteam in der Regie von Vladimir Grakovskiy mit wachsender Spannung ein Dokustück über die Hintergründe der Entstehung der RAF, ihre Ziele und militanten Mittel zur Durchsetzung ihrer Forderung („Freiheit durch bewaffneten Kampf“), das strikte Feind-Freund-Bild in der bundesrepublikanischen Gesellschaft, das Prozessverfahren, über Tod. Dass der Rückblick auf einen heute kaum noch vorstellbaren Prozessverlauf von 192 Tagen vom Publikum nicht wie eine Aufzählung von Fakten erlebt wird, liegt am immer aktiveren Spiel der Darsteller. Stehen sie zu Beginn noch mit ihren Manuskripten in der Hand oder sitzen auf Stühlen, treibt sie eine zunehmende Unruhe, bis sie letztlich orientierungslos durcheinandereilen – auch ein treffendes Bild der aufgeheizten Stimmung in der Gesellschaft. Musikfetzen, Soundcollagen, Lichtstärkedimmen und nonverbale Kommunikation verstärken die Absicht, von einer politischen Ausnahmesituation zu erzählen.

Die RAF-Mitglieder rechtfertigen ihr terroristisches Tun

Als von Zwangsernährung der Gefangenen zu berichten ist, illustrieren zwei Schauspielerinnen den Bericht – rücklings zu den Zuschauern würgen und röcheln die Protagonisten beim Prozedere. In einem Atemzug werden die Stichworte „Auschwitz, Dresden, Hamburg, Vietnam“ als Rechtfertigung der RAF-Mitglieder für ihr terroristisches Tun vorgetragen.

„Achtundsechzig sitzt wie ein Pfahl im Fleisch der Gesellschaft“, schreibt der Soziologe Oskar Negt. Grakovskiys glaubwürdige Inszenierung ist eine vorurteilsfreie Analyse deutscher Geschichte. Wieder zu erleben am 20. November und 4. Dezember im Theater Atelier, Stöckachstraße 20.

www.theateratelier.eu