In Deutschland zu Besuch: die Queen Elizabeth II. Foto: dpa

Vor 50 Jahren kam die Queen zum ersten Mal nach Deutschland. Jetzt ist Elizabeth II. fast 90 Jahre alt. Bei ihrem fünften Staatsbesuch hat sie ein volles Programm – und viele Aufgaben.

Berlin - Die Queen wird heute Boot fahren. Auf der Spree. Berlin vom Wasser aus als Start ihres inzwischen fünften Staatsbesuchs in Deutschland. Die Meteorologen haben Wind und dunkle Wolken angesagt.

Das ist vielleicht kein schlechtes Symbol für den Stand der deutsch-britischen Beziehungen. Im Ganzen eben eine recht wacklige Angelegenheit. Das ließe sich zwar im Prinzip auch für den gegenwärtigen Stand des Verhältnisses zu Frankreich sagen. Aber wer auch immer dort regiert, hält die EU und ein zusammenwachsendes Europa für einen Grundpfeiler der nationalen Politik. Bei den Briten kann man sich da nicht so sicher sein.

Großbritanniens konservativer Premier David Cameron will im kommenden Jahr ein Referendum über den Verbleib der Insulaner in der Union abhalten. Im Kanzleramt sieht man das mit Unbehagen. Diese Unklarheiten über den künftigen britischen außenpolitischen Kurs markieren den Hintergrund dieses königlichen Staatsbesuchs.

Die Kanzlerin lässt sich nichts anmerken. „Wir freuen uns alle sehr, dass Königin Elisabeth nach Deutschland kommt“, jubelt sie in ihrem wöchentlichen Video-Podcast. Das stimmt uneingeschränkt. Aber im medialen Schlagschatten des Königspaares kommt auch der Premier nach Deutschland. Den ließ Merkel mit durchaus reduzierterer Vorfreude wissen, dass man „an einigen Stellen Gemeinsamkeiten“ habe, wenn es um Europa gehe. „An einigen Stellen“: Das ist eine fast britisch höfliche Umschreibung für heftige Meinungsverschiedenheiten.

Nicht so unverständlich, die europäische Lustlosigkeit des Briten

Cameron ist für einen EU-Verbleib. Aber zu neuen Bedingungen. Er will einen neuen EU-Vertrag, eine Einschränkung der Arbeitnehmer-Freizügigkeit, Sonderregelungen bei der Aufnahme von Flüchtlingen. Vielleicht vertritt er das sogar gegen seine eigenen Überzeugungen – aber er glaubt, den Euro-Skeptikern etwas anbieten zu müssen, um nicht beim Referendum unterzugehen. Was Merkel von dieser Art politischer Führung hält, hat sie ziemlich deutlich gesagt. Vom Prinzip der Freizügigkeit werde sie jedenfalls „nicht abweichen“. Punkt. Cameron ist sicherlich „not amused“.

Aber irgendwie verstehen kann man die europäische Lustlosigkeit des Briten schon. Großbritannien hat in den vergangenen Jahren in rasanter Geschwindigkeit an politischem Einfluss verloren. Sein Gewicht bezog London jahrzehntelang vom Sonderverhältnis zu den Vereinigten Staaten. Dass Großbritannien auch zu Zeiten eines George W. Bush die Rolle des Musterschülers spielte und selbst dessen Irak-Abenteuer rückhaltlos unterstützte, kommt nun als Bumerang zurück.

Zumal die Nachfolgeregierung unter Barack Obama gerade in Europa viel stärker auf einen anderen Partner setzt: auf Deutschland. Von Berlin aus wird das Krisenmanagement auf dem Balkan gesteuert. Es sind – in Absprache mit Washington – Deutschland und Frankreich, die im Ukraine-Konflikt die dünnen Fäden zwischen den feindlichen Parteien zusammenhalten und Friedensfahrpläne ausarbeiten. Und in der EU fühlen sich die Briten ohnehin übergangen. Tatsächlich zeigen sich in den Dauerverhandlungen mit den Griechen selbst die Regierungen von Österreich oder den Niederlanden stärker eingebunden als Großbritannien. Das nagt am nationalen Selbstbewusstsein.

Großbritannien steht gerade recht gut da

Dabei bestünde dazu eigentlich gar kein Anlass. Die Queen vertritt eine Nation, der es gerade ziemlich gutgeht. Die britische Wirtschaft ist im vergangenem Jahr um 2,6 Prozent gewachsen. Das ist das stärkste Wachstum seit dem Beginn der Finanzkrise im Jahr 2007. Dieses Jahr sagt der Internationale Währungsfonds ein Wachstum von 2,7 Prozent voraus. Der Jobmarkt boomt. Die Arbeitslosenquote liegt bei 5,5 Prozent.

Cameron ist dennoch nicht zufrieden. Er hat ein neues Schlagwort erfunden: „Rebalancing“, was so viel heißt wie „Wieder ins richtige Verhältnis bringen“. Und dabei bekennt er sich zu einem großen Vorbild – Deutschland. Industrielle mittelständische Unternehmen sind auf der Insel eine fast schon ausgestorbene Spezies. Eine Folge der rabiaten Deregulierungspolitik einer Margaret Thatcher, die dem Bankensektor und Dienstleistungen einen rasanten Aufstieg ermöglichte, aber den industriellen Kern ausbluten ließ. Cameron dagegen wiederholt ein anderes Credo. Er sagt: „Ich möchte, dass Großbritannien seine eigene Version des deutschen Mittelstands hat.“

Deutschland als Vorbild? Der Queen wird das Gelegenheit geben, viele freundliche Worte über ihre Gastgeber zu finden. Sie steht über der Politik und ihrem tagespolitischen Klein-Klein. Und mit 89 Jahren kann man eine lange Strecke überblicken. Vielleicht erinnert sie sich auf den Wellen der Spree an ihren ersten Staatsbesuch im Jahr 1965. Er dauerte elf Tage.

Es war einmal: eine schöne 39-jährige Königin vor schöner Landschaft

Elf Tage! Heute eine unvorstellbar lange Zeit. Zwei Jahre wurde um das Protokoll gerungen. Die Königin nahm sich sehr bewusst so viel Zeit, besuchte auch kleinere Städte, Marbach zum Beispiel oder Soest. 19 Stationen, acht Bundesländer. Was dieser Besuch für die Bundesrepublik bedeutete, beschrieb der SPD-Politiker Carlo Schmidt so: „Das Ende ihres Status als geächtete Nation“.

Und genau so war es auch gemeint. Während die Queen durch Deutschland tourte und Schulklassen freibekamen, um dem Staatsgast zujubeln zu können, lief in Frankfurt seit 17 Monaten der Auschwitz-Prozess. Das alles wurde für erlösende elf Tage überblendet von schönen Bildern, einer schönen 39-jährigen Königin vor schöner Landschaft. Nur selten störten Einzelheiten aus dem Kalten Krieg die Motive der Fotografen. Für den Pflichtaufenthalt vor dem Brandenburger Tor sah das Protokoll eine Standzeit der königlichen Karosse von 20 Sekunden vor.

Es ist eine feine, geradezu britisch-feine Ironie der Geschichte, dass damals die Briten einen ganz besonderen Grund zur Charme-Offensive hatten. Sie wollten in die EWG – die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, die Vorläuferin der EU. Immer wieder war das Vereinigte Königreich bei Frankreichs Präsident Charles de Gaulle auf schroffe Ablehnung gestoßen. Konrad Adenauer sah die Sache genauso. Doch jetzt war Ludwig Erhard Bundeskanzler. Und der sicherte der Queen gerne „die volle Unterstützung der Bundesregierung“ bei ihrem Wunsch nach Aufnahme zu.

Es dauerte noch weitere acht Jahre, bis dieser Wunsch dann tatsächlich erfüllt wurde. Das aber war kein Ende, sondern ein Auftakt zu immer neuen Geschichten. Mal wollte Margaret Thatcher „my money back“, also ihr Geld von der EU zurück. Mal gab es Dauerverhandlungen über den britischen Beitrag. Das Fremdeln hörte bis heute nie auf. Ein Referendum hat es übrigens auch schon einmal gegeben. Am 5. Juni 1975. Helmut Schmidt reist nach London, um als Bundeskanzler und Sozialdemokrat der Labour Party ins Gewissen zu reden. „Ihre Genossen auf dem Kontinent möchten, dass sie bleiben“, ruft er den Delegierten zu. Vielleicht hat es ja geholfen. Die Briten stimmen mit 67,2 Prozent Ja-Stimmen für den Verbleib der Insel in der Europäischen Gemeinschaft.

Damit schien die Sache endgültig geklärt. Wie es scheint, ist sie es immer noch nicht. Gut möglich, dass sich die Kanzlerin auch hier ein Beispiel an Helmut Schmidt, den sie ja schätzt, nehmen muss. Wenn es im nächsten Jahr erneut zu einem Referendum kommt, wird sie ihre konservativen Parteifreunde überzeugen müssen.

Hintergrund zum Queen-Besuch

Das huldvolle Winken beginnt: Seit Dienstagabend weilt die Queen mit ihrem Tross in Berlin. Mit Hut und Handschuhen wird sie viele Titelseiten in Deutschland zieren. Sechs Fakten zum Mitreden:

Handtasche: Hartnäckig hält sich das Gerücht, die Queen habe eine Handtaschen-Sprache: Wechselt die Tasche im Gespräch den Arm, soll das dem Personal mitteilen: „Holt mich weg hier.“ Ob es stimmt, darüber wird genauso spekuliert wie über den Inhalt der schwarzen Ledertasche, die Elizabeth II. meist mit sich herumträgt. Ein paar Einblicke ins royale Handgepäck soll es schon gegeben haben:

Lippenstift: Ist fotografisch belegt. Die Queen hat kein Problem damit, sich in der Öffentlichkeit nachzuschminken. Dazu soll sie auch ein Spiegelchen dabeihaben. Klingt plausibel und schön normal.

Fünf-Pfund-Note, gefaltet: Für die Kollekte im Gottesdienst. Manchmal gebe sie auch zehn Pfund (etwa 14 Euro), will Queen-Biografin Sally Bedell Smith wissen.

Mobiler Haken: Wenn’s stimmt, wäre das besonders clever. Smith schreibt, die Königin trage einen Haken mit Saugnapf bei sich, den sie überall unterm Tisch befestigen könne – so müsse die teure Tasche nicht auf dem Boden stehen.

Handy: Wäre nicht überraschend, beim Simsen oder Selfie-Knipsen hat Elizabeth II. aber noch nie jemand gesehen. Biografin Penny Junor behauptet jedenfalls, die Queen spreche per Handy mit ihren Enkeln.

Glücksbringer: „Was ist in der Handtasche der Queen“ lautet übersetzt der Titel eines Buches von Journalist Phil Dampier. Seine Antwort: Fotos der Familie und Glücksbringer, die die Kinder ihr geschenkt haben. Kleine Hunde und Pferde sollen dabei sein.

Make-up: Ein Schminkdöschen soll in der Tasche sein, das Ehemann Prinz Philip seiner Elizabeth zur Hochzeit geschenkt hat. Würde ja zum Lippenstift passen.

Brille: Manchmal trägt die Queen eine Sehhilfe, manchmal keine – nicht unwahrscheinlich, dass sie die Brille in der Handtasche hat.

Salutschüsse: 21-mal schießen Soldaten am Flughafen Tegel in die Luft. Die Zahl ist kein Zufall: Früher schossen Schiffe ihre 20 Kanonen leer, bevor sie in einen Hafen einfuhren. Aus dem Hafen gab es einen Schuss als Antwort – zusammen also 21. Salutschüsse werden nur beim Empfang von Monarchen und beim ersten Empfang eines ausländischen Staatsgastes in Deutschland abgegeben.

Diplomatie: Die Queen kommt nicht, weil ihr gerade danach ist. Staatsbesuche macht sie „auf Empfehlung der britischen Regierung“. Premier David Cameron, der EU-Reformen aushandeln will, passt etwas Briten-Begeisterung gut ins Konzept.

Reiselust: Es ist der 97. Staatsbesuch der Queen insgesamt und der fünfte in Deutschland. Kein britischer Monarch ist bisher mehr gereist. Auch in den USA und in Frankreich war die Königin zu fünf Staatsbesuchen.

Sicherheit: So aufwendig wie US-Präsident Barack Obama oder der Papst wird die Queen nicht beschützt. Berichten zufolge sollen aber etwa 1000 Polizisten allein in Berlin im Einsatz sein – aus Sicherheitsgründen hält sich die Polizei bei solchen Fragen bedeckt.

Gedenken: Der Besuch in Bergen-Belsen am Freitag ist für die Queen besonders wichtig. In der KZ-Gedenkstätte will sie keinen Medienrummel, es dürfen nur wenige, ausgewählte Journalisten dabei sein. Als die Briten das Konzentrationslager 1945 befreiten, war Elizabeth II. selbst in der Frauenabteilung der britischen Armee. (dpa/StN)