Foto: Piechowski

Nach dem Mord in München-Solln haben Polizei, Stadt und Bahn in Stuttgart eine neue Initiative gegen Gewalt im Nahverkehr angekündigt. Nach Übergriffen auf einen couragierten Zeugen zeigen sich Lücken in Überwachung und Kommunikation.

Stuttgart - Nach dem Mord in München-Solln haben Polizei, Stadt und Bahn in Stuttgart eine neue Initiative gegen Gewalt im Nahverkehr angekündigt. Nach Übergriffen auf einen couragierten Zeugen zeigen sich Lücken in Überwachung und Kommunikation.

Warum meldet sich die betroffene Frau nicht, für die ein 39-jähriger couragierter Zeuge buchstäblich den Kopf hingehalten hat? Wo sind die anderen Zeugen? Bei den jüngsten Übergriffen im S-Bahn-Netz in Stuttgart und Böblingen suchen die Ermittler weiter nach Hinweisen - und kämpfen gleichzeitig gegen interne Kommunikationslücken. Und das, obwohl erst eine Woche zuvor Vertreter von Polizei, Stadt und Verkehrsunternehmen bei einer eigens einberufenen Pressekonferenz eine verbesserte Überwachung und Zusammenarbeit angekündigt hatten.

Der Fall vom S-Bahn-Halt Stadtmitte in Stuttgart offenbart Mängel und Grenzen bei den Ermittlungen. Am Samstag um 4.20 Uhr wurde ein 39-Jähriger von einem Duo in der unterirdischen S-Bahn-Haltestelle Stadtmitte niedergeschlagen, als er sich schützend vor eine Frau gestellt hatte, die von den Tätern belästigt worden war. Der couragierte Zeuge bezahlte seinen Einsatz mit einem Nasenbeinbruch. Die Suche nach den etwa 23 Jahre alten Tätern gestaltet sich umständlich - nicht nur wegen fehlender Zeugenmeldungen.

Peinlich dabei: Bis Montagnachmittag ging die - für die S-Bahn zuständige - Bundespolizei noch davon aus, dass sich der Vorfall gar nicht in ihrem Bereich abgespielt habe. Kontakte unter den Sachbearbeitern hatte es bis dato nicht gegeben. Erst auf Nachfrage unserer Zeitung klärten die Behörden untereinander, dass sich der Vorfall nicht am SSB-Halt Rotebühlplatz/Stadtmitte zugetragen hatte. Mögliche Aufzeichnungen aus Überwachungskameras wären inzwischen schon wieder gelöscht gewesen.

Polizeisprecher Stefan Keilbach betont, dass die Fahndung vorbildlich abgelaufen sei: "Eine Streife der Einsatzhundertschaft war wegen einer anderen Sache in der Nähe", sagt er, "und nach dem Notruf im Lagezentrum binnen einer Minute unten auf dem Bahnsteig." Zwei weitere Streifen seien wenig später dazugekommen. In der Fahndungsphase sei eine Alarmierung der Bundespolizei nicht notwendig gewesen. Zwei Stunden später habe man aber einen Diensthabenden der Bundespolizei mündlich informiert, weil es um die Frage möglicher Videobilder gegangen sei.

Eine Information, die offenbar verloren gegangen ist. Steffen Zaiser, Sprecher der Bundespolizeidirektion Stuttgart, erklärt, dass der eigene Ermittlungsdienst erst seit Montagnachmittag mit der Stuttgarter Polizei im Kontakt sei. "Für die Ermittlungen ist aber nichts verrutscht", sagt Zaiser.

Videobilder gibt es nicht. Dies war bereits im April 1999 beklagt worden, als Täter und Zeugen einer ähnlichen Gewalttat vergebens gesucht wurden. Ein 52-Jähriger hatte eine Jugendliche schützen wollen, wurde verprügelt und erlitt einen Kieferbruch.

Schwerer verletzt als bisher angenommen ist der 40-Jährige aus der Schweiz, der am Sonntag um 0.50 Uhr am Bahnhof Böblingen von einer Gruppe Jugendlicher grundlos zusammengeschlagen worden war. Er liegt mit einer Gehirnblutung in einer Schweizer Klinik. Seine 38-jährige Frau erlitt leichtere Blessuren.

Wie die Bundespolizei ermittelte, hatten die Täter ihre Opfer bereits in der S-Bahn S1 von Bad Cannstatt bis Böblingen angepöbelt. Während der Fahrt soll aber ein Ehepaar schlichtend eingegriffen haben. Dieses bis heute unbekannte Paar soll dann aber an der Haltestelle Goldberg ausgestiegen sein. Für die Ermittler sind die beiden wichtige Zeugen auf der Suche nach den etwa vier bis fünf Schlägern. Hinweise an die Bundespolizei werden unter 0711/22550200 oder an jede andere Polizeidienststelle erbeten.