Mit Handschellen und Fußfesseln werden die Angeklagten in den Karlsruher Gerichtssaal geführt. Foto: dpa

In Karlsruhe stehen neun mutmaßliche Mitglieder der Mafia vor Gericht, die bandenmäßig mit kiloweise Drogen gehandelt haben sollen. Die Verteidiger geben sich durchweg verwundert: Ihre Mandanten hätten angeblich keinerlei Mafiabezüge.

Karlsruhe - Mit einem Lächeln auf den Lippen, das er für Stunden kaum mehr ablegt, dreht sich Placido A. den Fotografen im Karlsruher Gerichtssaal zu. Der einstige Pizzabäcker aus Rottweil genießt es, im Mittelpunkt zu stehen, er wirkt gut gelaunt. Doch sagen will der 53-Jährige mit der getönten Sonnenbrille, die er an diesem Freitagmorgen bald absetzt, nichts. Seine Anwälte versichern, ihr Mandant habe nichts mit der Mafia zu tun, auch wenn Vorverurteilungen kursierten und verweisen auf ein sizilianisches Sprichwort: „Wer nichts sieht, nichts hört und nichts redet, wird in Ruhe 100 Jahre alt.“

Es ist ein Prozess der Superlative, dessen Auftakt von einem gewaltigen Sicherheitsaufgebot begleitet wird – mit dutzenden Beamten und einer Schleuse, durch die jeder hindurch muss. Verhandelt wird einer der aufwendigsten Ermittlungsfälle gegen mutmaßliche Mafia-Mitglieder in Baden-Württemberg. Patrones gibt es nicht nur in Palermo, auch im Schwarzwald wickeln kriminelle Clans ihre Geschäfte ab.

In dem Mammutprozess wird den Angeklagten bandenmäßiger Handel mit Drogen, Erpressung, versuchter Mord und Waffenschmuggel vorgeworfen, die mutmaßlichen Täter im Alter von 26 bis 53 Jahren waren von Oktober 2013 bis zu ihrer Verhaftung im Juni 2017 in Rottweil und im Schwarzwald-Baar-Kreis zugange. 67 Tage soll das Verfahren dauern. Weil das Konstanzer Gericht für so ein Aufgebot zu klein ist, muss für zwei Tage nach Karlsruhe ausgewichen werden. Danach wird in Konstanz in einer umgebauten Kantine weiterverhandelt. Allein die Verlesung der Anklageschrift dauert eineinhalb Stunden.

Einer der Hauptverdächtigen ist der frühere Pächter der Stadiongaststätte in Rottweil

Im Zentrum der mutmaßlichen Bande vermuten die Ermittler ein Duo, das Verbindungen zur sizilianischen Cosa Nostra und zur kalabrischen ’Ndrangheta haben soll. Da ist der dauerlächelnde Placido A., sieben Jahre lang Pächter der Vereinsgaststätte des FV08 in Rottweil, ein Lokal mit weißen Tischdecken und gehobener italienischer Küche. Der Italiener stand selbst am Herd, die Pizza sei gut gewesen, das Restaurant angesehen, sagt Peter Weiß, der Vorsitzende des Fußballvereins. „Keiner von uns hatte eine Ahnung von den kriminellen Machenschaften, wir waren unter Schock“, erinnert sich Weiß an die Festnahme. Er beschreibt den Pächter als einen typischen Südländer. Ein bisschen heißblütig, aber einer, der immer seine Pacht gezahlt, der kein bisschen geprotzt habe. „Er fuhr einen VW Tiguan und war ganz normal“, sagt Weiß. Verwundert hat er sich ein Video der italienischen Polizei angeschaut, das im Internet veröffentlicht wurde und die Durchsuchung von Wohnhäusern in Tuningen und Italien zeigte. In dem Film wird bündelweise Geld aus einer Matratze gezogen, die Polizei entdeckt im Boden ein Geheimversteck und beschlagnahmt Waffen.

Der zweite Hauptverdächtige, Nicolo M., 49 Jahre alt, war Gastronom und Boutiquebesitzer aus Donaueschingen. Mit dunklen Augenringen sitzt er auf der Anklagebank, reibt sich die Schläfen, klagt über Kopfschmerzen. Auch er soll den schwunghaften Deal mit kiloweise Marihuana sowie Haschisch und Kokain mitorganisiert haben. Auch versuchter Mord wird ihm zur Last gelegt: Er soll im Mai 2017 auf zwei Menschen in einem Restaurant in Hüfingen geschossen haben, um so Unstimmigkeiten bei einem Drogengeschäft zu regeln. Verletzt wurde niemand.

Die italienische Finanzpolizei brachte die deutschen Ermittler auf die Spur der Bande. Monatelang haben Behörden zusammengearbeitet, schlossen sich Staatsanwälte und Polizeibeamten kurz, wurden Verdächtige überwacht, Telefone abgehört, Autos verwanzt, bis im Juni 2017 der Zugriff erfolgte. Erst schlugen die Italiener zu, wohl um einen Raubüberfall auf einen Juwelier in Verona zu verhindern, den Placido A. und Nicolo M. angeblich geplant hatten. Dann folgten die Deutschen.

Mal haben die LKA-Beamten die Nase vorn, oft jedoch die Kriminellen

Der Kampf gegen die Mafia ist oft aussichtslos. Und doch schaffen es die Behörden immer wieder, Erfolge zu verzeichnen. „Wir haben vor Kurzem nachjustiert, wir haben unser italienischsprachiges Personal verstärkt“, sagt Martin Lang, Leiter der Inspektion Organisierte Kriminalität im baden-württembergischen Landeskriminalamt. Seine Behörde liegt mitten in einem Wohngebiet in Stuttgart-Cannstatt, sie ist seit Jahren eine Dauerbaustelle – fast so wie die Versuche, die Mafia einzudämmen. Mal haben die Beamten die Nase vorn, oft jedoch die Kriminellen. Alles sei extrem schnelllebig geworden, das Tempo der Kommunikation hoch, weiß der Kriminaloberrat und beschreibt die Mafia als eine lernende Struktur. „Die versuchen, wenn jemand aufgeflogen ist, eine rasche Fehleranalyse zu betreiben.“

Nirgendwo in der Republik sind so viele mutmaßliche Mafiosi zu finden wie in Baden-Württemberg. Deutschlandweit geht das Innenministerium von 560 Personen aus, davon leben rund 150 im Südwesten. „Die Mafia ist bei uns präsent “, sagt Lang, die Gründe dafür seien naheliegend. Der wirtschaftsstarke Südwesten war attraktiv für die Gastarbeiter, die in den 60er Jahren ins Land kamen. Bis heute sei die Dichte an italienischstämmigen Familien im Südwesten überproportional hoch – rund jeder dritte Italiener wohnt in Baden-Württemberg. Zudem lässt sich im Südwesten gut Geld verdienen, in allen Bereichen, davon profitieren auch Kriminelle. „Die Mafia erwirtschaftet hier immense Gewinne“, betont Lang, „vor allem der Kokainhandel in Baden-Württemberg ist unglaublich aktiv.“