Vier junge Männer müssen sich seit Mitte März vor dem Landgericht Stuttgart wegen einer möglichen Beteiligung an der Schießerei in Esslingen-Mettingen verantworten. Nun wurden Briefe abgefangen, die Straftaten während der Haft belegen sollen.
Sie berichten von Langeweile, vom Trainieren, vom „Chillen“ und dem täglichen Gefängnisfrust. Sie benutzen aber auch Codewörter, die auf Straftaten schließen lassen. Im Rahmen des Prozesses vor dem Landgericht Stuttgart wegen der Schießerei in Esslingen-Mettingen Anfang September vergangenen Jahres wurden abgefangene und beschlagnahmte Briefe der vier zum Tatzeitpunkt 20 und 21 Jahre alten Angeklagten verlesen.
„Hallo Bruder“, so beginnen die meisten der Schreiben. Andere Teile des Inhalts und die benutzte Jugendsprache brachten den Vorsitzenden Richter aber ins Stocken – was den vier in Untersuchungshaft befindlichen Angeklagten ein breites Grinsen entlockte. Einer von ihnen war von einem Mithäftling beschuldigt worden, gegen das Betäubungsmittelgesetz verstoßen zu haben. Außerdem hatte er in mehreren Briefen von „Bonnies“ geschrieben: „Kümmerst du dich um Bonnie?“. Oder: „Ich brauche 300 bis 400 Bonnies.“ Nach Ansicht der Verantwortlichen in der Justizvollzugsanstalt könnte es sich dabei um ein Codewort für illegale Drogen handeln. Eine Durchsuchung der Zelle des jungen Mannes habe kein Ergebnis gebracht. Doch eine Urinprobe habe den Gebrauch von unerlaubten Substanzen nachgewiesen. Es bestehe der Verdacht, er habe mit illegalen Betäubungsmitteln gehandelt. Auch in den Schreiben eines weiteren Angeklagten seien mögliche Hinweise darauf entdeckt worden.
Herausgeschmuggelte Briefe
Ein dritter Beschuldigter hatte unter Umgehung der Briefzensur im Gefängnis einem Mithäftling eine Notiz gegeben, die dieser hinausschmuggeln sollte. Wortlaut und Inhalt des Briefes lassen laut dem Vorsitzenden Richter darauf schließen, dass mehrere Schreiben auf diese Art auf den Weg gebracht worden seien. Auch die beiden anderen Angeklagten hatten auf ähnliche Weise versucht, unerlaubt Kontakt mit der Außenwelt aufzunehmen. Hinweise auf die den jungen Männern zur Last gelegte Beteiligung an der Schießerei im Esslinger Stadtteil Mettingen haben laut Gericht aber bisher nicht in den Schreiben entdeckt werden können.
Die während des Prozesses verlesenen Briefe gaben auch Einblick in das Leben der Angeklagten in den Justizvollzugsanstalten: „Das war’s mit BMW fahren – jetzt fahren sie mich mit dem Transporter ins Gericht.“ – „Aus Langeweile fängt man in der Haft das Rauchen an.“ – „Nach dem Regen kommt die Sonne“. – „Hier geht gar nichts außer essen und trainieren.“ – „Ich habe schon neun Kilogramm abgenommen.“ Erzählt wird in den Briefen auch von Besuchen, vom Befinden der Familienmitglieder, dem Bekenntnis, dass es den Absendern gut gehe.
Angebliche Fehler bei den Ermittlungen
Der Verteidiger eines der Angeklagten stellte Beweisanträge, die den ermittelnden Behörden Fehler bei ihrer Arbeit attestieren sollen. So sei auf während der Durchsuchung der Wohnung seines Mandanten gemachten Fotos ein prozessrelevantes Kleidungsstück unterschiedlich abgebildet: Einmal liege es achtlos über einen Bettkasten hingeworfen, ein anderes Mal befinde es sich ordentlich zusammen gelegt in dem Möbelstück. Auch könne dem Angeklagten das Kleidungsstück nicht einwandfrei zugeordnet werden, da er das Zimmer mit seinem Bruder teile.
Zudem forderte der Rechtsanwalt die Einholung eines anthropologischen Gutachtens. Auf einer während der Tatnacht gemachten Videoaufnahme vor einem Restaurant in der Obertürkheimer Straße habe eine „Super-Recognizerin“ Ähnlichkeiten mit seinem Angeklagten zu erkennen geglaubt. Dabei wirke der auf der Filmsequenz Dargestellte schmächtig und schlank, während sein Mandant durchtrainiert, muskulös und 1,80 Meter groß sei. Ein weiteres Gutachten könne Klarheit bringen.
Der Prozess wird fortgesetzt. Ursprünglich sollte Mitte September ein Urteil gesprochen werden. Doch nun wurde die Verhandlung bis in den November verlängert.