Prozess am Landgericht in Mannheim Foto: dpa/Bernd Weißbrod

Ein Mann stirbt nach einem Polizeieinsatz. Mit den Hinterbliebenen protestieren viele Menschen gegen Polizeigewalt. Der Prozess gegen die Polizisten zeigt: Zwei Gutachten könnten entscheidend sein.

Unweigerlich kommt das Bild auf von George Floyd. Jenem Mann, der im Mai 2020 in den USA von einem Polizisten so lange auf den Boden gedrückt wurde, bis er keine Luft mehr bekam und starb. „I can’t breathe“ (Ich bekomme keine Luft) soll er gerufen haben, bevor er das Bewusstsein verlor. „Ich will einen Richter“, das sind zwei Jahre nach dem Fall Floyd die deutlich zu vernehmenden letzten Worte eines anderen Mannes. Auch sein Tod bei einem Polizeieinsatz in Mannheim sorgte für Aufsehen, Proteste, eine politische Debatte - und er beschäftigt seit Freitag auch das Mannheimer Landgericht.

Zwei Polizisten sollen den Tod des psychisch kranken Mannes Anfang Mai 2022 verschuldet haben. Der 47-Jährige war bei einem gewaltsamen Einsatz der beiden Beamten am Mannheimer Marktplatz zusammengebrochen und im Krankenhaus gestorben. Der Mann mit kroatischen Wurzeln litt an einer paranoiden Schizophrenie, er hatte immer wieder Wahnvorstellungen und halluzinierte. „Vorhersehbar und vermeidbar“ sei sein Tod gewesen, davon zeigt sich die Staatsanwaltschaft am ersten der bislang acht geplanten Verhandlungstage überzeugt.

Detailreich erinnert sich der ältere der Polizisten an seinen folgenschweren Einsatz. Er ist derzeit vom Dienst suspendiert und muss sich unter anderem wegen Körperverletzung im Amt mit Todesfolge verantworten.

Geht die Polizei angemessen mit psychisch kranken Menschen um?

Bei dem Einsatz habe er sich vor allem gegen Angriffe des erkrankten und aggressiven Mannes schützen wollen und mit der Faust mehrfach zugeschlagen, sagte er aus. Mit den gesundheitlichen Komplikationen des Mannes habe er nicht gerechnet, teils pöbelnde Schaulustige hätten ihn auch abgelenkt. „Wenn ich etwas falsch gemacht haben sollte, möchte ich dafür einstehen“, sagte er weiter.

Der Fall reicht deutlich über die juristische Betrachtung hinaus. Politisch diskutiert wurde nach dem Einsatz unter anderem, ob die Polizei in der Lage ist, angemessen mit psychisch kranken oder angeschlagenen Menschen umzugehen. Die folgenschwere Kontrolle löste zudem eine öffentliche Debatte über Polizeigewalt aus, eine Initiative „2. Mai 2022“ wurde gegründet und ein Gedenkzug organisiert. Im baden-württembergischen Landtag musste sich Innenminister Thomas Strobl (CDU) kritischen Fragen der Opposition stellen.

Lückenlos sind die Momente der Mannheimer Kontrolle auf Videoaufnahmen dokumentiert. Auf den auch in den sozialen Medien zahllos geteilten Clips und den Aufzeichnungen von Überwachungskameras ist sehen, wie das spätere Opfer die Straße überquert, wie einer der Polizisten ihn ergreift und wie sich der Mann losreißt, bevor er überwältigt wird. Der Beamte bringt den Mann gemeinsam mit seinem Kollegen zu Boden, er fixiert den auf dem Bauch Liegenden mit dem Knie und versetzt ihm mehrere Faustschläge ins Gesicht. Der überwältigte Mann blutet aus der Nase und bleibt einige Minuten auf dem Bauch liegen. Eine letzte Bewegung noch, dann regt er sich nicht mehr.

Mediziner bat Polizei um Hilfe

Nach Angaben der Staatsanwaltschaft hatte der Mann zuvor seinen Arzt im Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim aufgesucht, weil er seit Jahren an einer paranoiden Schizophrenie litt und sich sein Zustand verschlechtert hatte. Er verließ es allerdings wieder und konnte auch von seinem Arzt nicht zur Rückkehr bewegt werden. Der besorgte Mediziner bat schließlich die beiden Polizisten um Hilfe, weil er Angst vor einer Eigengefährdung seines Patienten hat.

Die Staatsanwaltschaft ist überzeugt: Der 137 Kilo schwere Mann starb, weil er auf dem Boden liegend wegen des Drucks auf den Oberkörper nicht mehr richtig atmen konnte und weil er Nasenbluten hatte.

Aus ihrer Sicht hat der zweite Polizist, ein wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassung angeklagter Polizeihauptmeister, nicht selbst ungerechtfertigte Gewalt angewandt. Er brachte den Mann aber auch nicht in eine Seitenlage. Damit hätte der Tod nach vorläufiger Einschätzung der Rechtsmedizin „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ vermieden werden können, hieß es. „Der 47-Jährige hätte dann freier atmen können.“

Die Verteidigung verweist hingegen auf ein von ihr in Auftrag gegebenes Gutachten, nach dem der 47-Jährige durch einen Herzstillstand nach einem Kreislaufversagen starb. „Der Prozess wird über die Gutachten entschieden“, zeigte sich die Verteidigerin des 27-jährigen Beamten überzeugt. „Die Gutachten kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen und nun kommt es darauf an, welchem die Kammer folgt.“