Eine 74-Jährige hat ihren Ex-Mann, dem sie den Missbrauch der gemeinsamen Tochter unterstellt, mit Briefen terrorisiert. Foto: dpa

Eine 74-Jährige bezichtigt ihren Ex-Mann des Missbrauchs ihrer gemeinsamen Tochter und handelt sich damit eine Anklage wegen Nachstellung ein.

Esslingen - Die Angeklagte ist bis heute davon überzeugt, dass der längst von ihr geschiedene Ehemann einst die gemeinsame Tochter sexuell missbraucht hat. Die Tatsache, dass sich ihr Verdacht nie bestätigte, hat die heute 74-Jährige selbst zu einer Straftat getrieben. Sie quälte ihren Ex-Mann und dessen neue Frau im vergangenen und in diesem Jahr mit Zeitungsartikeln über Missbrauchsfälle, garniert mit persönlichen Notizen. Sie hat sich deshalb am Mittwoch wegen des Vorwurfs der Nachstellung vor dem Amtsgericht Esslingen verantworten müssen.

Das Verfahren wird eingestellt

Das Verfahren wird gegen eine Geldauflage eingestellt, aber es zeichnet das Bild einer Frau, die bis heute unter dem Scheitern ihrer Ehe und der verblendeten mütterlichen Sorge um ihr längst erwachsenes Kind leidet. Die Vorsitzende Richterin kann verstehen, dass die Angeklagte im Jahr 2014 „aus Angst um die Tochter“ zur Polizei ging, nachdem sie von ihrem Mann geknipste Fotos gefunden hatte, die ihre Tochter und ein Nachbarskind nackt zeigen. Die Staatsanwaltschaft sah allerdings keine Veranlassung, wegen unverfänglicher Fotos von badenden Kleinkindern gegen den Mann vorzugehen, für den die 74-Jährige laut der Anklageschrift seit der Scheidung im Jahr 2000 eine „starke Antipathie“ empfindet.

Doch die Rentnerin ist bis heute felsenfest davon überzeugt, dass er die Kinder „für solche Aufnahmen benutzt hat“, wie sie vor Gericht betont. Selbst die Tatsache, dass ihre Tochter den Vorwurf vehement bestreitet und den Ermittlern gegenüber beteuerte, nie vom Vater missbraucht worden zu sein – „es tut weh, dass meine Mutter das behauptet“ –, überzeugte die 74-Jährige nicht. Sie wollte ihren Ex-Mann dazu bringen, sich dem einzig von ihr erhobenen und als Wahrheit empfundenen Verdacht des Missbrauchs der eigenen Tochter zu stellen. Letztere hat den Kontakt zu ihrer Mutter abgebrochen.

In der Wahl ihrer Druckmittel zeigte sich die Angeklagte nicht zimperlich. Sie bombardierte den seit 18 Jahren von ihr geschiedenen Mann und dessen neue Ehefrau mit zahlreichen aus der Zeitung ausgeschnittenen Artikeln über diverse Missbrauchsfälle, die sie mit eigenen handschriftlichen Notizen und Vorwürfen ergänzte. Diese schriftlichen Anschuldigungen warf sie in den Briefkasten der Eheleute oder drapierte sie an deren Auto.

Die Angeklagte wähnt sich im Recht

Dass sie dafür schließlich wegen Nachstellung angezeigt wurde, kann die Vorsitzende Richterin ebenfalls verstehen: „Keiner freut sich, wenn er solche Dinge im Briefkasten oder am Auto hat, und da sagt auch keiner ,weiter so’.“ Sie empfiehlt der Angeklagten, einer Einstellung des Verfahrens gegen eine Geldauflage zuzustimmen. „Sie werden hier nicht mit einem Freispruch rausgehen. Es wird mit einer Verurteilung nicht besser und sie fühlen sich danach auch nicht besser“, legt sie der Frau ans Herz, sich einsichtig zu zeigen und damit einer Vorstrafe zu entgehen.

Die 74-Jährige sträubt sich dagegen, denn sie wähnt sich nach wie vor im Recht. Sie hadert damit, dass sich ihr inzwischen an beginnender Demenz erkrankter Ex-Mann nie zu den Vorwürfen geäußert hat. „Er hat Angst vor mir“, mutmaßt sie. Doch die Richterin betont, sie könne „nicht erwirken, dass ihr Mann zu Ihnen kommt und das mit Ihnen bespricht“. Letztlich stimmt die Angeklagte der Einstellung gegen eine Geldauflage von 1400 Euro zähneknirschend zu. Die 74-Jährige lässt über ihre Verteidigerin aber noch ausrichten, dass bei ihr „ein ungutes Gefühl bleibt“.