„Mit mir können Sie nicht streiten, wenn ich nicht will“ – der Bürgermeister Jürgen Olma gibt sich unbeeindruckt von Völkers Sticheleien. Foto: Stadt Widdern

Dem Rücktritt vom Rücktritt folgt ein juristischer Streit. Er wird zur Posse, die vor Ort niemand lustig findet.

Widdern - Dirk Völker geht es um nicht weniger als um die Demokratie in Widdern. Um die ist es in dem insgesamt 1800 Einwohner zählenden Städtchen im Landkreis Heilbronn nämlich nicht gut bestellt, davon ist der selbstständige Unternehmensberater überzeugt. Angeblich aus Protest gegen die anhaltende Missachtung von Recht und Ordnung in der drittkleinsten Stadt im Land hat der 47-Jährige als Gemeinderat die Verwaltung, diverse Anwälte und Richter von Stuttgart bis Mannheim auf Trab gehalten. Sie alle beschäftigten sich ein Jahr lang mit der Frage, ob Dirk Völker noch Gemeinderat sein will, sein darf und sein muss (siehe Artikel rechts oben) .

Die Antwort darauf ist so komplex, dass selbst gestandene Verwaltungsjuristen das kalte Grausen packt. Mit Müh’ und Not hat das Stuttgarter Verwaltungsgericht nun einen Vergleich gezimmert, über den der Widderner Gemeinderat am Montag, 19. Dezember, entscheiden muss. Dirk Völker darf demnach im Kommunalparlament bleiben. Er verzichtet aber seinerseits darauf, die Entscheidungen, die das Gremium ohne ihn getroffen hat, wieder auf die Agenda zu lupfen, weil sie womöglich unrechtmäßig, weil ohne ihn, zustande gekommen sind – was Völker in zehn Fällen durchaus vorhatte.

Den Rücktritt? Hat er nicht so gemeint

Eskaliert ist der Krach zwischen dem Gemeinderat Dirk Völker, seinen Miträten und dem Bürgermeister Jürgen Olma genau vor einem Jahr. Am 17. Dezember 2015 verlas der Physiker, seit Juli 2014 für die Freien Wähler im Gemeinderat, eine achtseitige Erklärung. Damals erklärte er seinen Rücktritt als Ortsvorsteher von Unterkessach. Auch sein Amt als Gemeinderat lege er nieder, weil „in diesem Gremium eine demokratische, an rechtsstaatlichen Prinzipien orientierte Zusammenarbeit nicht möglich ist“.

Der Bürgermeister schrieb Völker daraufhin, er habe die Erklärung als Antrag auf Ausscheiden aus dem Gemeinderat verstanden und werde diesen in der nächsten Sitzung einbringen. Völker widersprach nicht, hielt aber im Januar eine seiner gefürchteten Reden: „Es ist nicht mein Wunsch, in jedem Fall aus diesem Gremium auszuscheiden“, erklärte er da. Sollten „Demokratie, Recht und Gesetz respektiert werden“, bleibe er „selbstverständlich“ ein Teil des Rats. Daraufhin war die Verwirrung komplett. Der Gemeinderat diskutierte sich die Köpfe heiß und votierte knapp für Völkers Ausscheiden. Völker widersprach der Entscheidung beim Landratsamt als zuständiger Rechtsaufsichtsbehörde. Als sie seinen Widerspruch ablehnte, zog er vor Gericht.

Machtbewusster Schultes, schwacher Rat, willfährige Presse

Das Demokratiedefizit in Widdern macht der 47-Jährige vor allem am Verhältnis der Kernstadt Widdern (1500 Einwohner) zum einzigen Stadtteil Unterkessach (300 Einwohner) fest. „Unterkessach wird systematisch benachteiligt“, findet Dirk Völker, der dort vor neun Jahren heimisch geworden ist. Er hat nachgerechnet: Seit der Eingemeindung im Jahr 1971 habe die Stadt, relativ betrachtet, zu wenig in Unterkessach investiert. Das gilt zwar nicht in Relation zur Bevölkerung. Aber weil Unterkessach 40 Prozent der Gesamtfläche habe und die Hälfte der Feuerwehrleute im Flecken wohne, stehe dem Teilort mehr Geld zu – meint Völker.

Am liebsten wäre dem Physiker ohnehin, Unterkessach bekäme einen eigenen Haushaltsplan und der Ortschaftsrat die Kompetenz, die eigenen Angelegenheiten selbst zu regeln. In Widdern steure „ein machtbewusster Bürgermeister“, unkontrolliert von einer willfährigen Presse, einen „schwachen Gemeinderat“. Er, Völker, der eigenen Angaben zufolge stets den Konsens sucht, löckt seiner Wahrnehmung in Widdern als einziger wider den Stachel.

Beim Einstecken ist Völker nicht ganz so robust

Dabei ist er nicht zimperlich, jedenfalls, was das Austeilen angeht. Ein Karikaturist würde den Widderner Gemeinderat „vermutlich eher als jämmerlichen Esel darstellen, der sich vor den Karren der Verwaltung spannen lässt, denn als stolzen Kutscher, der die Pferde der Verwaltung vorantreibt“, schrieb er seinen Kollegen ins Stammbuch. Der Bürgermeister? Trickse, taktiere, zensiere, handle illegal – und wolle nur ihn, den lästigen Kritiker, loswerden. Beim Landratsamt sind schon so viele Beschwerden von Völker über Jürgen Olma eingegangen, dass man sich dort weigert nachzuzählen. Wenn es ans Einstecken geht, ist der kunstsinnige Mann nicht ganz so robust. Das nennt er dann Mobbing.

Bürgermeister Jürgen Olma sagt nicht viel zu dem Konflikt. Öffentlich äußere er sich nicht über Gemeinderäte. „Mir ist es egal, wer am Ratstisch sitzt“, sagt er. „Mit mir können Sie nicht streiten, wenn ich nicht will.“ Dass der Widderner Gemeinderat sich seit geraumer Zeit im Wesentlichen mit sich selbst beschäftigt, zehrt aber auch an ihm – „lange Rede, gar kein Sinn“ – erkennbar an den Nerven.

„Nach jeder Sitzung wird nachgetreten“

Ratskollegen, die nicht namentlich genannt werden wollen, bescheinigen Dirk Völker zwar, er habe schnell eine ganze Menge auf den Weg gebracht und sich dabei viel Sympathien erworben. „Der Fanclub ist heute aber nicht mehr so groß“, sagt einer von ihnen. Der Unternehmensberater akzeptiere nicht, wenn Entscheidungen nicht in seinem Sinne ausfielen: „Nach jeder Sitzung wird nachgetreten.“ Die Ratskollegen attestieren Völker einen Sturschädel, der dem Widderner Wappentier alle Ehre mache. „Er will mit dem Kopf durch die Wand“, sagt Stefan Kummer, der dienstälteste Gemeinderat.

Das Verwaltungsgericht hat ihm die Hörner gestutzt. „Das ist nicht die beste Art, mit Auseinandersetzungen umzugehen“, gab die Richterin dem Kläger mit. Ob die Botschaft angekommen ist? Eher nicht. „Mit Vergnügen“ nehme er die Rolle des kritischen Gemeinderates wahr, verspricht Völker. Seine Kollegen werden sich freuen.