Vor vier Jahren war es noch ein großer politischer Aufreger – der Zielbeschluss der ökosozialen Ratsmehrheit für eine weitgehend autofreie Innenstadt. Das nun vorgelegte Konzept stößt jetzt auf einhellige Zustimmung. Was hat sich verändert?
Stuttgart - Vor vier Jahren war das Konzept für eine lebenswerte Innenstadt im Rathaus noch hochumstritten. Mit knapper Mehrheit setzte die ökosoziale Ratsmehrheit 2017 damals einen entsprechenden Zielbeschluss durch, der unter anderem den Wegfall von rund 350 oberirdischen Parkplätzen innerhalb des Stuttgarter Cityrings und die Einrichtung von Flaniermeilen, Fußgängerzonen und Fahrradwegen beinhaltet.
Zu Wochenbeginn nun hat der Stadtentwicklungsausschuss das vom Dortmunder Planungsbüro Planersocietät entwickelte und präsentierte Umsetzungskonzept nebst Zeitplan ohne Widerspruch zur Kenntnis genommen. Noch vor vier Jahren hatte das von der CDU-Fraktion angeführte bürgerliche Lager im Rathaus fast den Untergang des Abendlandes heraufbeschworen, falls die Innenstadt zu einem riesigen Shared Space nach dem Muster der Tübinger Straße werden sollte. Der angestrebte Wegfall der oberirdischen Stellplätze, versenkbare Poller an einzelnen Straßenabschnitten, die dann nur noch von Anwohnern, Handwerkern und Lieferanten passiert werden können, erschienen vielen Stadträten der Unionsfraktion als Unding. Auch der Handel, etwa einzelne Händler der Markthalle, lief Sturm gegen das Konzept und sammelte Unterschriften bei verärgerten Kunden ein.
Parkhäuser entlang des Cityrings haben genügend freie Kapazitäten
Vier Jahre und eine Kommunalwahl später scheint sich sich die Aufregung zumindest bei CDU, Freien Wählern und FDP, ja sogar bei der AfD gelegt zu haben. Zwar sieht CDU-Fraktionschef Alexander Kotz nach wie vor Probleme im Detail – etwa beim Wegfall der oberirdischen Parkplätze rund um die Markthalle: „Das ist ein Spagat.“ Zugleich erkennt er in dem vorgelegten Konzept „viele sinnhafte Vorschläge“. Kotz weist den Vorwurf, seine Fraktion habe 2017 blockiert, zurück: „Wir waren damals in den Zielbeschluss leider gar nicht involviert, sonst wäre vielleicht manches anders gelaufen. Uns hat vor allem die Überschrift ‚Autofreie Innenstadt‘ gestört.“ Erleichtert haben dürfte die Verteidiger des Automobils im bürgerlichen Lager, dass die Parkhäuser und Tiefgaragen entlang des Cityrings weiterhin Bestand haben sollen. Aktuelle Zahlen des Planungsbüros zeigen, dass deren Kapazität sowohl werktags als auch am Wochenende bei Weitem nicht ausgeschöpft wird. Im Schnitt liegt deren Auslastung unter 50 Prozent. Der Wegfall oberirdischer Stellplätze kann so leicht kompensiert werden.
Die Parkhäuser sollen künftig über fünf Zufahrtsschleifen angefahren werden können, auf denen die oberirdischen Parkplätze ebenfalls entfallen. Lediglich Behindertenparkplätze, Taxistellplätze und Anlieferbereiche sollen erhalten bleiben. Noch offen ist, wo künftig jene Reisebusse parken, die bisher am Alten Schloss Besucher und Touristen abladen. Auch ein Parkierungskonzept für die Anwohner des Cityrings muss sich die Verwaltung noch einfallen lassen.
Innerhalb des Cityrings wird zeitnah Tempo 20 eingeführt
Das Konzept beinhaltet auch, dass innerhalb der City – mit Ausnahme der Planie – zügig ein Tempolimit von 20 Stundenkilometern eingeführt wird. Weite Teile der Innenstadt werden stufenweise zur Fußgängerzone umgestaltet, trennende Elemente wie Fahrspuren und Bürgersteige entfallen.
Schrittweise neu gestaltet werden sollen 14 einzelne Straßenzüge – von der Lautenschlagerstraße und Bolzstraße über die Dorotheenstraße, Gerber- und Christophstraße bis zur Gymnasiumstraße. Entlang dieser Straßen soll der öffentliche Raum massiv aufgewertet, wegfallende Stellplätze durch Sitzmöbel, Bäume, Radspuren oder Außengastronomie ersetzt werden. Darauf drängt auch die CDU. „Durch Provisorien wie Betonklötze oder gelbe Kreuze auf der bisherigen Stellfläche kann man die Leute nicht von den Vorteilen der Umgestaltung überzeugen“, so Alexander Kotz.
Weil man nicht die ganze City gleichzeitig zur Baustelle erklären kann, wird aber wohl mindestens noch ein Jahrzehnt vergehen, bis die City wirklich lebenswert geworden ist.