Besiegt das Böse und ist in Stuttgart nun Solist: David Moore als Krabat (li.) neben Marijn Rademaker als Meister. Foto: Stuttgarter Ballett

Auch wenn Demis Volpis „Krabat“ den Tanz keinen Schritt voranbringt, endete die Uraufführung am Freitag im Opernhaus mit zwei Beförderungen: Ballettintendant Reid Anderson machte auf seine Art den Zauber perfekt. Vom Publikum gab es zu Recht Standing Ovations für tolle Räume und Akteure.

Von der Faszination der Macht erzählt „Krabat“, aber auch davon, wie die Befreiung aus ihrem Bannkreis gelingen kann. Drei Jahre gibt Otfried Preußler dem Zauberlehrling in seinem Jugendbuchklassiker, bis Krabat die nötige Reife hat, um sich von seinem Meister zu emanzipieren und die Gesellen aus der schwarzen Mühle zu befreien. Drei Stunden, also viel zu lang für ein Jugendstück, braucht der Protagonist in Demis Volpis erstem Handlungsballett für diesen Schritt.

Doch was Krabat bewegt, kann man letztlich nur ahnen. Denn choreografisch passiert zu wenig, damit David Moore uns die Entwicklung dieses Jungen und seine Funktion im Kollektiv der Müllergesellen begreifbar machen kann. Wie dieser „Krabat“ überhaupt, reduziert man ihn auf den nackten Kern des Tanzes, ein dürftiges Bild abgibt.

Schade, denn gerade die seismografische Notation innerer Befindlichkeiten durch die Ausdrucksmöglichkeiten des bewegten Körpers gehört zu den Stärken der Stuttgarter Kompanie. Trotzdem tobt das Publikum im Opernhaus, als sich der Vorhang nach dem dritten Akt endgültig schließt. So souverän hat David Moore das Böse besiegt und Leerstellen überspielt, dass er fortan als Solist tanzen darf.

Dass Demis Volpi über dem Erzählen und der magischen Atmosphäre das Tänzerische abhandenkam, ist da fast schon vergessen. Denn im Dialog mit seiner Ausstatterin Katharina Schlipf, die schon „Karneval der Tiere“ in eine vor Ideen sprühende Zauberwelt verwandelte, und mit Hilfe des Tricktechnikers Andreas Meinhardt gelingen Demis Volpi wahre Bühnenwunder.

Die Mühle am Koselbruch ist ein herrlich düsterer Ort, dessen Wände aus Säcken aufgetürmt sind und wo Unglaubliches passiert: Das Zauberbuch scheint zu schweben, Dinge bewegen sich wie von Geisterhand, Krabat verwandelt sich vor unseren Augen in einen Raben, der Gevatter Tod wandelt auf glimmender Glut daher, am Ende löst sich der Meister in einer Wolke aus Mehl auf. Ein Zauber, dem auch Reid Anderson erliegt: „Jetzt haben wir einen zweiten Haus-Choreografen“, verkündet der Ballettintendant, nachdem er alle Bravo-Rufe mit einer prägnanten Handbewegung verstummen ließ.

Wer Preußlers Vorlage nicht kennt, bleibt manchmal ratlos

Diese Geste passt perfekt zu einem Ballett, das immer wieder die Macht des Bösen auf ein wunderbar exaktes Spiel der Hände konzentriert. Demis Volpi gelingt es tatsächlich, Manipulation sichtbar zu machen: Elf Raben, in die sich die Müllergesellen für ihre Lehrstunde der schwarzen Magie verwandeln, eröffnen jeden Akt; ein aus der Wand hinter ihnen ragendes Händepaar lockt den Neuling, den zwölften im Bunde, an. Wie Marijn Rademaker als kahlköpfiger Meister dieses Spiel der Gesten aufnimmt, verrät, welch grandiose Künstler hier am Werk sind. Es gipfelt im Handschlag, mit dem der Meister und der neue Zauberlehrling den Pakt besiegeln. Auch Sue Jin Kang nimmt als Gevatter Tod, der jedes Jahr das Leben eines Gesellen einfordert, ihrer revuehaften Zurechtmachung mit einem markanten Tanz der Hände jede falsche Leichtigkeit. Der Macht des Bösen reicht ein Wink mit dem Finger, um sich zu manifestieren – und doch hätte man gern mehr gesehen.

Der Kreislauf der drei Jahre spielt mit Wiederholungen und Veränderungen, in denen sich die Erschütterung der Macht spiegelt. Wer Preußlers Vorlage nicht kennt, bleibt manchmal ratlos. Doch meist ist sein Buch auf der Ballettbühne dramaturgisch klug zusammengefasst, Anekdoten und Ausflüge werden in stimmigen Bildern verdichtet, höchst lebendig aus dem Orchestergraben von den dramatischen, bedrohlich sirrenden Klangwelten Peteris Vasks’, Philip Glass’ und Krzysztof Pendereckis untermalt. Vieles hält so einem zweiten, dritten Wiedersehen locker stand. Wie der Meister in Nosferatu-Diabolik die Neuankömmlinge beschnuppert zum Beispiel – erst den schüchternen Krabat, später den frechen Lobosch, der ihm verwegen die Augenklappe lüpft.

Sterben in einem zuckenden Tanz

Oder der Chor der Mädchen, dem Demis Volpi mehr Bedeutung zumisst und für den er tänzerisch schöne Bilder findet. Ihre Kleider sind aus demselben Stoff wie die baumbestandene Landschaft auf dem Prospekt im Hintergrund, ein schönes Freiheitsmotiv. Alicia Amatriain ist die Erste, die sich löst. Doch die in innigen Küssen und einem zarten Duett mit Alexander Jones aufkeimende Liebe zwischen Worschula und Tonda vernichtet der Meister mit einem Handstreich, sie stirbt in einem zuckenden Tanz.

Die Kantorka der Elisa Badenes, die Krabat am Ende befreien wird, scheint in ihre Spuren zu treten – und wächst dann doch, sicher getragen von David Moore, über sich hinaus. Choreografisch fast ein bisschen zu vorhersehbar sind diese Begegnung und ihre erhebenden Momente. Als Symbol der Hoffnung taucht die Kantorka im Roman auf, dafür findet der Tanz keine Entsprechung.

Anderes ist so grob gelöst, dass es bereits eine zweite Konfrontation nicht erträgt. Der Tanz der Gesellen mit den Mehlsäcken zum Beispiel ist ein in jeder Hinsicht ermüdender Turnakt, eher Step-Aerobic als Kunst. Schade um das viele Talent, das hier auf der Stelle tritt. Dafür kommen andere groß heraus wie Angelina Zuccarini als punkiger Rebell, der in tollkühnen Kampfkunst-Sprüngen den Meister zusammenfaltet. Das hinterlässt bleibende Eindrücke. Und so darf man sicher sein, dass Demis Volpi beim nächsten Streich als Haus-Choreograf des Stuttgarter Balletts das Zaubern nicht verlernt – und auch dem Tanz das Wort erteilt.

Hier geht es zu „Krabat“

Nochmals am 29. März (18 Uhr), 31. März (14 und 19.30 Uhr), 3. und 6. April (jeweils um 19 Uhr). Karten: 07 11 / 20 20 90. www.stuttgarter-ballett.de