Zählt jede Stimme, fordert eine Demonstrantin in Harrisburg (Pennsylvania). Foto: dpa/Sean Simmers

Ein Blick in internationale Zeitungskommentare Welt zeigt: Trump hat mit seinen Attacken auf die Wahlauszählung in den USA eine Grenze überschritten, und die Sorge um die Spaltung des Landes ist groß.

Stuttgart - Das Verhalten von US-Präsident Donald Trump noch in der Wahlnacht hat bei den meisten Kommentatoren der Weltpresse ein überaus kritisches Echo gefunden. Von Missachtung der Demokratie aber auch der tiefen Spaltung der USA ist die Rede, die sich nun noch verschlimmert habe.

Frankreich – „Le Monde“: Eine Strategie des Chaos

Die französische Zeitung „Le Monde“ schreibt, dass Donald Trump eine Drohung in die Tat umgesetzt habe: „Er hatte während seiner Wahlkampagne davor gewarnt, dass die Demokraten „die Wahl stehlen“ wollten und dass die Präsidentenwahl (...) davon bedroht sei, „manipuliert“ zu werden. Hinter diesen Bedrohungen versteckte sich eine Strategie des Chaos. Und genau diese hat der Präsident der USA am Mittwoch, dem 4. November, wenige Stunden nach Schließung der Wahllokale, angefangen in die Tat umzusetzen.“

Eine der ältesten Demokratien der Welt befinde sich nun in einer „nie da gewesenen Situation“, schreibt „Le Monde“: „Ein amtierender Präsident stört absichtlich einen föderalen Wahlprozess, beansprucht den Sieg noch während der Auszählungen für sich und droht damit, diese durch einen unabhängigen Rechtsspruch zu unterbrechen.“ Dies sei eine Missachtung des allgemeinen Wahlrechts, die Funktion der Wahl, die ein wesentlicher Bestandteil des demokratischen Systems sei, werde geleugnet.

Dänemark – „Politiken“: USA blicken in den Abgrund

Die liberale dänische Tageszeitung „Politiken“ aus Kopenhagen kommentiert: „Niemand hielt es für möglich, aber die USA sind aus der Präsidentenwahl noch gespaltener hervorgegangen, als sie es vorher waren. Ob Joe Biden oder Donald Trump - die amerikanische Demokratie befindet sich mitten in einer Schicksalsstunde, die - so unglaublich es auch klingen mag - in allem enden könnte, von einem Drama um das Wahlergebnis im Gerichtssaal bis zu sozialen Unruhen mit Straßenkämpfen. Oder beides. Die USA haben noch nie in einen breiteren und tieferen Abgrund von Spaltung, Wut und Hass geblickt. Das kann verhängnisvoll sein.“

Schweiz – „Neue Zürcher Zeitung: Warnung vor Spekulationen

Die „Neue Zürcher Zeitung“ aus der Schweiz plädiert für etwas Geduld im Blick auf die USA: „Die Wahl hat die Spaltung des Landes, von der im Vorfeld so oft die Rede gewesen war, in ihrem ganzen Ausmaß vor Augen geführt. Fast die Hälfte der Wähler haben dem Präsidenten trotz all seinen Lügen und Pöbeleien ihre Stimme gegeben, während die andere Hälfte in ihm einen gefährlichen Potentaten sieht. Wie dieser Graben überwunden werden soll, ist offen. Immerhin verlief der Wahltag ruhig, die von manchen befürchtete Gewalt blieb zum Glück aus. Umso mehr ist zu hoffen, dass die nächsten Tage eindeutige Ergebnisse bringen werden, die beide Lager und auch die Medien vorsichtig interpretieren und schlüssig erklären. Ein Befeuern von Spekulationen könnte gravierende Folgen haben. Die Wahl ist erst entschieden, wenn alle Stimmen gezählt sind.“

Russland – „Kommersant“: Wildeste Wahlen der Geschichte

Die in Moskau erscheinende Tageszeitung „Kommersant“ schreibt von den „wildesten Wahlen in der Geschichte der USA“. Sie hält einen Sieg des Demokraten Joe Biden für wahrscheinlich, sieht aber als einziges fest stehendes Ergebnis bisher die Spaltung des Landes: „Der wackelige Sieg des Demokraten Biden zeigt, dass die Ideologie des Trumpismus – das Aufkommen eines bürgerlichen Nationalismus, der soziale Konservatismus und der Populismus – die Geisteshaltung der Hälfte Amerikas ist. Und es ist nicht ausgeschlossen, dass Trump weiter versuchen wird, auf die Politik Einfluss zu nehmen. Immerhin ist Donald Trumps Hotel gerade einmal 15 Minuten Fußweg vom Weißen Haus entfernt.“

Polen – „Rzeczpospolita“: Ein Usurpator an der Spitze

Die konservative Zeitung „Rzeczpospolita“ aus Polen schreibt: „Donald Trump hat am Mittwoch dazu aufgerufen, die Stimmauszählung abzubrechen und per Post eingeschickte Stimmzettel abzulehnen. Kein US-Präsident hat es bisher gewagt, dermaßen spektakulär die Grundregel der Demokratie zu untergraben, wonach jede unter festgelegten Bedingungen abgegebene Stimme gleich viel zählt.“ Die Zeitung befürchtet nun, dass Trumps Anhänger und seine Gegner bei einer gerichtlichen Klärung des Wahlausgangs nicht viele Wochen auf das Urteil warten werden, sondern versuchen, „die Sache auf der Straße zu entscheiden“. „Das könnte fatale Folgen für den Zusammenhalt der amerikanischen Gesellschaft haben, die schon jetzt stark polarisiert ist. Zum ersten Mal könnte die Hälfte der Bevölkerung annehmen, dass ein Usurpator an der Spitze ihres Lande steht.“

Niederlande – „De Volkskrant“: Es fehlt der empörte Aufschrei

Die niederländische Zeitung „de Volkskrant“ ist der Ansicht, dass Präsident Trump erneut seine Verachtung für die Demokratie gezeigt habe. In seiner Siegesrede um 2.30 Uhr seien mindestens neun erwiesene Unwahrheiten gezählt worden. „Bemerkenswerterweise führte Trumps beispiellose Brüskierung der amerikanischen Wähler und des Wahlsystems kaum zu internationalem Wirbel. Zwar äußerten die Demokratische Partei und die amerikanischen Mainstream-Medien (wie das von Trump gehasste CNN) ihre Wut, und sogar Fox News reagierte empört. Doch wo die Welt gewöhnlich lauthals von Schande spricht, wenn sich einige afrikanische Präsidenten mit Einschüchterungen und unbegründeten Wahlbetrugs-Anschuldigungen an die Macht klammern, herrschte jetzt ohrenbetäubende Stille.“

Großbritannien – „The Guardian“: Trump hinterlässt Wut und Hass

Die Londoner Tageszeitung „The Guardian“ fragt sich, wie die Spaltung der USA jetzt zu kitten sei: „Sollte Donald Trump gehen – und es gibt kaum Anzeichen dafür, dass er dies ohne einen Kampf tun würde – , wird seine Hinterlassenschaft eine Politik der Wut und des Hasses sein. Für Amerika ist es eine Tragödie, dass eine gefährliche Spaltung zur Norm wird, statt eine Ausnahme zu bleiben. In den USA besteht die Sorge, dass die kulturellen Spaltungen nicht mehr rückgängig zu machen sind. Für die Amerikaner sollte es vor allem darum gehen, möglichst zu verhindern, dass die politische Kluft so weit aufreißt, dass die beiden verfeindeten - und teils bewaffneten - Lager nicht mehr miteinander reden können.“

Australien – „Sydney Morning Herald“: Amerika wird anders sein

Die australische Zeitung „Sydney Morning Herald“ schreibt über Trumps USA im Verhältnis zum Rest der Welt: „Wenn Trump sich gegen alle Widrigkeiten durchsetzt, ist es unwahrscheinlich, dass sich der Verlauf der letzten vier Jahre ändern wird. Amerika wird für immer anders sein als früher und der Bruch seiner traditionellen Beziehungen zum Rest der Welt wird lange dauern oder sogar permanent sein.“