Hello und Goodbye – Barack Obama und Angela Merkel. Foto: dpa

Kein Bad in der Menge, keine große Rede – still verabschiedet sich US-Präsident Obama von Berlin. Viel Zeit verbringt er in Gesprächen mit der Kanzlerin. Nach Trumps Wahlsieg geht wohl darum, ein politisches Vermächtnis zu sichern.

Berlin - Amis mit Coffee to go in der Hand sieht man übers Jahr viele hier am Pariser Platz, aber der Mann, der am Donnerstag mittag grinsend über Berlins beste Präsentierfläche schlendert, kommt einem irgendwie bekannt vor. Barack Obama wirkt fast ein bisschen wie ein normaler Tourist, als er mit staunenden Augen und Pappbecher das historische Carrée überquert – wäre der Platz um ihn herum nicht so wüstenhaft entvölkert, würden nicht Absperrungen alle normalen Menschen hunderte Meter fernhalten.

Es ist der Abschiedsbesuch des scheidenden US-Präsidenten in Berlin, und man hätte sich da eine Menge an Inszenierung und Glamourfaktor denken können. Auch die Berliner wären Barack Obama sicher gerne nahe gekommen – schließlich ist er ihnen der liebste US-Präsident seit langem – und vermutlich auch auf längere Sicht.

Stattdessen: Null. Absperrungen, Scharfschützen, gestoppte U-Bahnen. Leer gefegte Straßen im Regen. Kein Besuchsprogramm, nur ein privates Dinner und ein offizielles Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und am Freitag der Gipfel mit europäischen Staatschefs.

Keine Motive für den Obama-Starschnitt

Keine Bilder für den Obama-Starschnitt, keine Galadiners, keine großen Rede. Und kein Bad in der Menge. Kein Präsident, nirgends. Das kann es doch nicht gewesen sein? Seit Tagen rätselt man in der Stadt: wo könnte es doch noch einen Überraschungsauftritt geben? Vielleicht, so wird spekuliert, am Abend bei der Bambi-Verleihung? Oder ein Zug durch den Prenzlauer Berg wie einst Bill Clinton?

Grundsätzlich haben die Berliner es nicht so mit der Obrigkeit. Allerdings kann es geschehen, dass sie eine Ausnahme machen. Die besten Chancen darauf hat man nach wie vor, wenn man Präsident der Vereinigten Staaten ist. Dann besteht die Möglichkeit, dass diese Stadt einem ihr Herz zu Füßen legt. Das geht beileibe nicht jedem „Leader of the free world“ so.

„I live in a bubble“

George W. Bush zum Beispiel hat nicht umsonst gerade hier vor 14 Jahren den traurigen Satz geprägt: „I live in a bubble.“ Ein Journalist hatte damals ihn gefragt, wie ihm die deutsche Hauptstadt gefalle – aber Bush hatte vor lauter Sicherheit und Gegendemonstrationen gar keine Chance Berlin zu sehen. Berlin und die USA, das ist ein Beziehung mit vielen Emotionen und gewaltiger Amplitude: Da ist die Liebe der einstigen Frontstädter, die sich aus der Gewissheit speist, der von den Amerikanern stets wie ein Augapfel gehütete Vorposten der freien Welt gewesen zu sein. Und da ist am anderen Ende der Skala, die Abneigung der „lieber-rot-als-tot“-Gesellschaft des Kalten Krieges und heutzutage das Misstrauen gegen einen sehr seltsamen Freund, der einen ausspioniert bis aufs Mark.

Berlin als weltpolitische Superkulisse

Berlin hat US-Präsidenten oft als weltpolitische Superkulisse gedient, vor der sich wunderbar platt die Geschichte von Freiheit und Weltgeist inszenieren lässt. Jackie Kennedy schrieb einmal an Willy Brandt, es sei schon eigenartig: von ihrem Mann John F. Kennedy werde womöglich am ehesten eine Botschaft in Erinnerung bleiben, die er nicht in Amerika und nicht in seiner eigenen Sprache losgeworden sei: „Ich bin ein Berliner.“

Barack Obama schaffte etwas, was keiner seiner Vorgänger vermocht hatte: die Berliner haben ihn schon geliebt, bevor der Präsident war. Eine leicht rauschhafte Euphorie lag 2008 über der Stadt – etwas, das in Berlin schon wegen der unseligen Geschichte politischer Heilsbringerbotschaften auch einen unangenehmen Schauder erzeugen kann. Sechs Stunden lang warteten die Menschen im Tiergarten darauf, den „Yes-we-can“-Mann reden zu hören. Angela Merkel dagegen lies ihren Sprecher Sätze sagen wie, „Obama ist weder Regierungs- noch Staatsgast.“ Was ja stimmte. Und so verhinderte sie persönlich bei diesem Besuch, dass der Noch-Nicht-Präsident vor dem Brandenburger Tor sprach. Nun, zum Ende der Amtszeit Barack Obamas, ist der Ort derselbe, aber die Beziehung eine andere.

Merkel begegnete dem Präsidentschaftskandidaten Obama anfangs mit Skepsis. Zu verschieden schienen die beiden , er der pathetische junge Mann mit dem begnadeten Talent, zur richtigen Zeit den richtigen Ton zu treffen und Menschen anzurühren – sie die Frau, die das glatte Gegenteil zu verkörpern scheint, sachlich, nüchtern, häufig hölzern in der Ausdrucksweise, im öffentlichen Auftritt nicht halb so cool.

Drei Stunden Dinner mit Angela

Beim Abschiedsbesuch Barack Obamas haben die beiden sich zu einem sehr privaten Abendessen getroffen. Die Kanzlerin hat den Präsidenten in seinem Hotel in Sichtweite des Brandenburger Tores besucht, man speiste Currywurst, die Berater saßen fernab in einem Nebenzimmer. Fast drei Stunden haben die beiden miteinander diniert, was die Vermutung nahelegt, dass mehr als eine Currywurst im Spiel war. Es ist aber auch Ausdruck einer Vertrautheit, die über die Jahre entstanden ist.

Es war kurz vor dem Höhepunkt der NSA-Affäre im Juni 2013, als Obama zum zweiten Mal Berlin besuchte. Diesmal sprach er – vor 4000 ausgesuchten Gästen und hinter Sicherheitsglas – am Brandenburger Tor. Merkel stand fest an seiner Seite – und auch als später bekannt wurde, dass der Geheimdienst das Handy der Kanzlerin abgehört hatte, beschädigte das das Verhältnis nicht nachhaltig.

Ihr Denken beeindruckt ihn

Er hat „ihre Verlässlichkeit und Standhaftigkeit“ schätzen gelernt, im Umgang mit Wladimir Putin etwa, obwohl trotz des russischen Vorgehens auf der Krim und in der Ostukraine nicht wenige in Deutschland einen weicheren Kurs gegenüber Moskau wünschen. Das Freihandelsabkommen TTIP ist genauso wenig populär. „Ihr Denken“, bekennt Obama im April in Hannover „hat mich über alle Jahre meiner Präsidentschaft begleitet.“

Sie wiederum hat erkannt, dass hinter dem Mann der großen Worte ein kühler Denker steckt, der allen Emotionen zum Trotz seine Wort genauso wägt wie sie. Schon im 2009 bekannte sie, dass ihre ausgiebigen Diskussionen sehr häufig zu denselben Urteilen führten.

„Sie ist bereit für ihre Werte zu kämpfen.“

Er ließ sie vor dem Kongress reden, wo sie als ehemalige DDR-Bürgerin ihrer Amerika-Begeisterung freien Lauf ließ und von ihrer ersten Reise nach dem Mauerfall und dem Blick auf den Pazifik schwärmte: „Er war einfach grandios.“ Obama schätzt, dass Merkel das, was einst als „freie Welt“ bezeichnet wurde, so viel bedeutet – auch wenn andere nur noch von Doppelmoral reden und sich für die Putins, Erdogans oder Trumps dieser Welt erwärmen.

Werbung ist deshalb angesagt für Merkel und das wofür die Kanzlerin steht. „Sie ist bereit für Ihre Werte zu kämpfen“, wird Obama später am Abend in einem Interview mit der ARD sagen, das am Vormittag aufgezeichnet worden ist: „Die Deutschen sollten sie wertschätzen.“

Die Pressekonferenz am späten Nachmittag verläuft ganz in diesem Sinne. Der Präsident wird gefragt, ob er sich Merkels erneute Kanzlerkandidatur wünsche. „Wenn ich Deutscher wäre, würde ich sie wählen“, sagt er, und fügt keck hinzu: „Ich weiß natürlich nicht, ob ihr das jetzt nutzt oder eher schadet, wenn ich das sage.“

Offiziell ist es bei dem Gespräch zuvor um das weitere Vorgehen in Syrien, Libyen oder der Ukraine und den Kampf gegen den Terror gegangen, auch um TTIP. Aber natürlich hat Merkel Obama auch gefragt, wie sein Eindruck aus den ersten Gesprächen mit Trump ist und wie sie mit ihm umgehen soll. „Das würde doch jeder von uns so machen“, heißt es im Kanzleramt dazu.

Obama versucht, den Deutschen Mut zu machen, sie zu überzeugen, dass mit Trump nicht alles kaputt geht im transatlantischen Verhältnis. Der lange Auftritt vor den Journalisten gerät zur Beschwörung gemeinsamer Überzeugungen, die Obamas Oval-Office-Zeit überdauern sollen. Er betont, dass die Nato und Europas Sicherheit auch künftig für die USA von elementarer Bedeutung sein werden. Auch der Nachfolger würde „Russland etwas entgegensetzen, wenn es internationale Normen verletzt“. Er sei „vorsichtig optimistisch“, dass Trump, einmal im Amt, die Verantwortung erkenne, die es mit sich bringt, und das leichtfertige Gerede einstelle, das so vielen Zukunftssorgen bereitet.

Kanzlerin Merkel scheint nach den Gesprächen mit Obama ebenfalls zuversichtlicher gestimmt. Sie werde mit „großer Offenheit und großer Überzeugung“ die Zusammenarbeit suchen – aber eben auf der Grundlage all der Werte, über die sie und Obama jetzt ausführlich sprechen.

Grundwerte, Demokratie, Zivilgesellschaft – dieses Signal soll auch vom Abendessen ausgehen, das Merkel für Obama am Abend ausrichtet. 20 Gäste hat sie dazu eingeladen, deren Namen vorab geheim gehalten geworden sind. Es waren aber, wie aus Merkels Umfeld zu hören gewesen ist, nicht die üblichen Verdächtigen aus Politik oder Wirtschaft, sondern verdiente Transatlantiker sozusagen: Der auch in Hollywood erfolgreiche Regisseur Tom Tykwer, der von der Nasa ins All geschossene Astronaut Alexander Gerst und Jürgen Klinsmann etwa, der schwäbische Trainer der US-Fußballnationalmannschaft.

Es ist trotz der versiegelten Mitte Berlins nicht wirklich ein Deutschlandbesuch, sondern einer bei Merkel. Schon im April in Hannover bekannte Obama, er freue sich, dass wenigstens sie der Weltpolitik erst einmal erhalten bleiben wird. Die Wahl Trumps wird dieses Gefühl noch verstärkt haben. Obama würde das vermutlich nie so sagen wie andere, die die Kanzlerin schon zur neuen Anführerin der freien Welt erkoren haben. Denken dürfte er genauso – und der Besuch eine Art Staffelübergabe sein.