Javier Milei will per Dekret bis 2025 den Notstand erklären. Foto: dpa/Natacha Pisarenko

Radikale Reformankündigungen und umstrittene Einschränkungen des Demonstrationsrechtes: Argentiniens neuer Präsident Javier Milei spielt mit dem Feuer.

Für die einen ist er ein Heilsbringer, für die anderen der Zerstörer der argentinischen Demokratie: Javier Milei, der erste libertäre Ökonom im Amt des Staatspräsidenten, versucht in Rekordzeit, das krisengeschüttelte Land zu reformieren. Seine Radikalität macht der einen Hälfte des Volkes Angst, während die andere voller Hoffnung auf einen Neuanfang setzt.

Milei, der die Stichwahl im November mit elf Prozent Vorsprung gegen den Vertreter des linksperonistischen Regierungslagers Sergio Massa gewann, baut dabei auf die eigene noch frische Popularität und das Wahlergebnis. Die fehlenden Mehrheiten im Kongress und Senat will er notfalls mit einem Referendum umgehen, obwohl das verfassungsrechtlich umstritten ist.

Seine „Schocktherapie“ ist eine Radikalkur gegen die Wirtschaftskrise, die Argentinien im Griff hat: Per Dekret will Milei bis 2025 den Notstand verhängen, um 350 Gesetze zu ändern oder abzuschaffen. Diese Deregulierung des Marktes würde das Miet- und Arbeitsrecht, das Finanz- sowie das Rentensystem reformieren. Rund 7000 Angestellte im öffentlichen Dienst, deren Vertrag ausläuft, werden nicht übernommen. Das libertär-konservative Lager wirft der Vorgängerregierung vor, Verwandte und Parteifreunde mit protegiert zu haben.

Kritik am Umgang mit Streiks und Protesten

Besonders laut ist die Kritik am Umgang mit Streiks und Protesten. Die neue Regierung droht Demonstranten, die an Straßenblockaden teilnehmen, den Entzug der Sozialhilfe. Über eine Telefonhotline können sich Bürger oder Anwohner beschweren, wenn sie sich durch die Demos in ihrer Mobilität beeinträchtigt fühlen. Laut offiziellen Angaben gingen nach den ersten Demonstrationen mehr als 20 000 Anrufe ein.

„Die neue Regelung der sozialen Proteste ignoriert eindeutig die grundlegenden verfassungsmäßigen Rechte und Garantien sowie die demokratischen Institutionen unseres Landes“, urteilten die Gewerkschaften. Die Initiative der neuen Regierung zeige eine „klare und offensichtliche Entscheidung, Protest zu kriminalisieren“.

Die bislang größten Proteste gab es in dieser Woche, nachdem die Gewerkschaften gegen die Reformpläne Mileis auf die Straße gingen. Wie gespalten das Land ist, zeigen allerdings unzählige Videos in den Netzwerken, in denen sich Arbeiter von den Gewerkschaften distanzieren, weil sie sich nicht vertreten fühlen und sich für die Reformpläne aussprechen. Für den 24. Januar kündigen die Gewerkschaften einen Generalstreik an.

Abwertung des argentinischen Peso

Mileis Maßnahmenpaket soll die Probleme der Wirtschaft an der Wurzel packen. Laut Einschätzung der Katholischen Universität (UCA) lebten zum Ende des dritten Quartals rund 44,7 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Fast zwei Drittel, 62,9 Prozent, der argentinischen Kinder und Jugendliche bis zu 17 Jahren sind von Armut betroffen. Die Jahresinflation lag bei rund 160 Prozent. Milei hat der „Inflationssucht des Gelddruckens“, die für die schwere Krise verantwortlich sei, den Kampf angesagt. Er will dies mit einer Art „kaltem Entzug“ bekämpfen, dazu zählte die Aufgabe der Preisbindung, eine Abwertung des argentinischen Peso, eine deutliche Verschlankung des öffentlichen Dienstes.

Was rein wirtschaftspolitisch richtig zu sein scheint, muss allerdings auch überzeugen und die Menschen mitnehmen. Als erste Konsequenzen steigen die Preise in den argentinischen Supermärkten. Weil auch die Subventionen für den öffentlichen Nahverkehr aufgehoben werden, wurden auch die Fahrten teurer. Die ohnehin unter der Krise leidenden Argentinier werden also erst einmal noch stärker zur Kasse gebeten. Die Zeit wird zeigen, wann sich die von Milei versprochenen Erfolge einstellen.

Ricardo Aronskind von der Nationalen Universität General Sarmiento kritisierte im Gespräch mit unserer Zeitung die Maßnahmen scharf: „Milei zählte eine Reihe von Maßnahmen zur Wirtschaftsregulierung und Privatisierung auf, hinter denen in vielen Fällen sehr spezifische private Interessen stehen, in vielen Fällen mit ausländischem Kapital, das an der Übernahme argentinischer Unternehmen oder Vermögenswerte interessiert ist.“