Paulita Pappel ist Pornoregisseurin und Buchautorin. Im Interview erzählt sie, warum sie auf eine sexuelle Revolution hofft, ob Frauen andere Fantasien haben als Männer – und warum man keine Pornos schauen sollte, die gratis sind.
Heute sprechen viele offen über Sex. Beim Porno hört die Toleranz dann aber oft auf, kritisiert Paulita Pappel, die als Pornoregisseurin, -darstellerin und auf Filmsets als Intimitätskoordinatorin arbeitet. Ihr Buch „Pornopositiv. Was Pornografie mit Feminismus, Selbstbestimmung und gutem Sex zu tun hat“ erscheint diese Woche bei Ullstein extra.
Frau Pappel, warum machen Sie Pornos?
Ich möchte den Menschen etwas anbieten, um ihre sexuellen Fantasien zu erforschen, frei von Scham unterschiedliche Körper und Sex sehen zu können.
Sie benutzen in Ihrem Buch das Wort pornopositiv, wie ist das gemeint?
Es ist abgeleitet vom Wort sexpositiv, viele bezeichnen sich heute so. Es bedeutet, eine positive Haltung gegenüber Sexualität zu entwickeln, sie als einen gesunden Teil des Lebens zu sehen und jedem Mensch das Recht zuzugestehen, seine eigene Sexualität entwickeln und genießen zu können. Leider hört die Sexpositivität bei vielen auf, wenn es um Pornografie oder Sexarbeit geht. Obwohl Pornografie nichts anderes ist als die Darstellung von Sex. Pornopositiv heißt wiederum nicht, dass alle Leute Pornos anschauen sollen oder dass alle Pornos toll sind.
Die Feministin Alice Schwarzer sieht Pornos als „Abgrund von Frauenerniedrigung “. Was sagen Sie dazu?
Ich bin immer Feministin gewesen. Früher habe ich gesagt, ich mache feministische Pornos. Irgendwann ist mir aber aufgefallen, dass es oft so dargestellt wird, als gäbe es guten und schlechten Porno. Der schlechte beutet Frauen aus, der gute ist feministisch. Diese Einteilung ist falsch, schaut man sich die Pornoindustrie genau an. Und es zu behaupten reproduziert die Vorurteile gegenüber Pornos. Ich mache einfach Pornos, und ihr müsst überdenken, ob das stimmt, was ihr glaubt zu wissen über Pornografie.
Wollen Frauen andere Pornos sehen als Männer?
Ich glaube, alle Menschen wollen Unterschiedliches sehen. Man kann statistisch zwar diese Gruppen ausmachen: Männer, Frauen, Jüngere, Ältere. Aber das zu kategorisieren ist zu pauschal. Viele denken, Frauen wollen Pornos, die eine romantische Geschichte erzählen, und Männer wollen Nahaufnahmen der Genitalien sehen. Das stimmt nicht. Männer wollen etwa oft auch das Gesicht sehen. Und Frauen googeln genauso oft Hardcore und Genitalaufnahmen.
Kennen Sie gute Studien zur Pornonutzung?
Das ist schwierig, es gibt Studien mit kleinen Teilnehmerzahlen, die nicht immer aussagekräftig sind. Und andere Studien von Herstellern wie Pornhub sind nicht seriös. Generell geht man davon aus, dass ein Viertel der Pornonutzer Frauen, drei Viertel Männer sind. Dass auch Frauen Pornos schauen, ist immer noch ein ziemliches Tabu.
Warum sind Pornos ein Tabu?
Weil wir lange von Religion dominiert wurden. Sexualität ist etwas, mit dem man Menschen kontrollieren kann, indem man ihnen Angst einflößt. Es hieß: Sex ist gefährlich, besonders für Frauen, sie können schwanger werden, sie gelten als Schlampen. Längst haben wir zwar ein offeneres Verhältnis zur Sexualität, aber bei Pornografie dominiert noch die alte Sexualmoral, Pornografie als Konzept ist verbunden mit sogenannter Unzucht und Unsittlichkeit. Ich schlage vor, dass wir dazu eine neue Haltung entwickeln.
In vielen Pornos ist der Fokus auf Frauenkörpern. Vielleicht ist das nicht so interessant für viele Frauen.
Das allgemeine Angebot richtet sich immer noch vorwiegend an Männer, weil sie mehr Pornos schauen und kaufen. Das kann man nur ändern, indem man mehr Frauen ermutigt, Pornos zu konsumieren. Aber es gibt längst alles, wir zeigen viele bisexuelle Männer, die knutschen, Oralsex haben. Wenn die Frage ist, wollen wir nicht alle Körper zeigen und sehen, lautet die Antwort: Ja, wollen wir.
Oft heißt es, wer Pornografie schaut, will zunehmend Härteres sehen.
Das ist ein populärer Irrtum. Die meisten Pornoschauenden verhalten sich so: Sie schauen rum, finden etwas, was sie erregt, schauen viel davon und eine Zeit lang nach Härterem. Aber sie kommen immer zurück zu dem, was sie mochten. Es ist wie mit Musik, du magst Rap, dann hörst du Rap, schaust dich um, hörst mal was Krasseres, aber am Ende kommst zurück zu dem, was du magst.
Ist es abnormal, sich Sachen vorzustellen oder im Porno anzuschauen, die man in echt gar nicht tun will?
Nein. Zur menschlichen Sexualität gehören Fantasien. Das Wichtige ist zu verstehen, wie Fantasien funktionieren, und zu erfahren, dass jeder sie hat. Wenn wir nicht offen über Fantasien sprechen, kann das dazu führen, dass Menschen sich fragen: Warum stehe ich darauf? Stimmt etwas nicht mit mir? Sehr oft geht es um gesellschaftliche Tabus.
Wenn man einen Porno schauen möchte, ohne von skurriler Werbung und anderen Zumutungen latent traumatisiert zu werden, wie geht man vor?
Erst einmal sollte man sich klarmachen: Alles kostet was – Musik, Filme, alle Unterhaltungsprodukte. Wenn man nicht dafür zahlt, dann sind sie entweder nicht professionell oder werden irgendwann gar nicht mehr gemacht. Die schreckliche Werbung ist das eine, aber im schlimmsten Fall bekommst du auch einen Virus oder lädst was runter, was illegal ist. Ich schlage vor, am besten einfach recherchieren, was für Produktionen und Leute es in der Szene gibt, was die bei Social Media machen, ob sie seriös sind. Man kann sich Trailer anschauen, dann kann man einzelne Filme kaufen oder ein Abo abschließen.
Seit Kurzem wird über Sexualität so offen gesprochen wie lange nicht. Erleben wir eine neue sexuelle Revolution?
Ich hoffe es. Ich möchte eine Revolution, weil die sexuelle Revolution der Achtundsechziger sehr viele Mängel hatte. Vor allem in Bezug auf die Definition von sexueller Selbstbestimmung und das Aushandeln von Einvernehmen. Die Revolution, die ich erkämpfen möchte, setzt sexuelle Selbstbestimmung und Einvernehmen ins Zentrum der Debatte, die wir führen sollten.
Welche Rolle spielt Sexualität bei der Gleichberechtigung der Geschlechter?
Sexualität ist ein elementarer Teil unserer Identität, als Art und Weise, wie wir mit anderen Menschen Beziehungen eingehen und aushandeln. Und sie ist lange beschränkt und kontrolliert worden. Aber nur wenn jeder Mensch das Recht auf Sexualität hat, können wir alle gleich und frei sein. Die Unterdrückung von Frauen funktioniert sehr oft über die Sexualität.
Begriffe wie ethische Nichtmonogamie oder Polyamorie sind jetzt verbreitet – muss man immer allem Namen geben?
Wörter haben Macht. Wie und ob ich die Sachen benennen kann, hat Einfluss darauf, wie ich sie erlebe – und auf die Stellung, die sie in der Gesellschaft haben. Eine Beziehung, die ich nicht benennen kann, wird weniger anerkannt, auch vor Gericht oder beim Amt. Wenn das Argument ist, diese Beziehungsformen gab es insgeheim schon immer, kann ich sagen: Ja, und sie wurden immer diskriminiert. Wenn wir anfangen, sie zu benennen, können wir auch dafür kämpfen, dass sie Anerkennung erfahren und mehr Menschen so leben können, wie es ihnen entspricht.
Sie arbeiten auch als Intimitätskoordinatorin beim Film. Was tun Sie da?
Eine Intimitätskoordinatorin betreut technisch und künstlerisch intime Szenen beim Film. Man kann das vergleichen mit einem Stuntkoordinator. Der choreografiert eine Kampfszene so, dass sich niemand wehtut und es authentisch aussieht. Das mache ich mit intimen Szenen: Sexszenen oder emotionalen Szenen oder der Darstellung einer Geburt. Die Schauspielenden machen sich dabei verletzbar. Da geht es darum, das zu benennen und zu schauen, wie wollen wir es erzählen, was sind die Absprachen und Grenzen. Es geht viel um Kommunikation.
Sie sind Expertin fürs Reden über Sex. Wie kann man beim Sex sagen, was man will, ohne zu klingen wie ein Mitarbeiter von Dr. Sommer?
Das Schlechteste ist immer keine Kommunikation. Aber wenn eine Frau noch nie über ihren Körper gesprochen hat, nicht mal Wörter hat für ihre Genitalien, tut sie sich im ersten Schritt schwer, verbal zu erklären, wie ihre Klitoris angefasst werden soll. Man kann sich fragen, wie würde ich mich fühlen, wenn jemand dies oder jenes zu mir sagt. Und anstatt zu sagen „Kannst du mich bitte schneller lecken?“, kann ich auch Zeichen geben mit der Hand. Wenn ich möchte, dass der andere langsamer macht, kann ich ihm über den Arm streicheln oder ihn kurz festhalten. Einer kann fragen: „Wie fühlt sich das an?“ Der andere kann antworten: „Das fühlt sich toll an, aber magst du langsamer machen?“
Pornoregisseurin und Autorin
Person
Paulita Pappel, geboren 1987 und aufgewachsen in Madrid, ist Pornoregisseurin, -produzentin, -darstellerin und Intimitätskoordinatorin, sie leitet zwei Pornoplattformen, kuratiert und organisiert das Pornofilmfestival Berlin. Pappel lebt in Berlin.
Buch
Am 31. August erscheint Pappels Buch „Pornopositiv. Was Pornografie mit Feminismus, Selbstbestimmung und gutem Sex zu tun hat“ bei Ullstein extra (208 Seiten, 16,99 €, ISBN 9783864932366).
Beziehungen
Ethische Nichtmonogamie beschreibt jede Form von Beziehung, freundschaftlich, romantisch oder sexuell, die keine exklusive, monogame Verbindung zwischen zwei Menschen ist. Wie bei der Polyamorie oder der offenen Beziehung sind die gleichzeitigen Beziehungen in diesen Fällen allen bekannt.