Stanzen, Bohren, Fräsen: Die Mitarbeiter des Behindertenzentrums auf dem Fasanenhof zeigen den Körschtalschülern ihre Arbeit. Foto: Ott

Schüler der Körschtalschule waren zu Gast in der Werkstatt des Behindertenzentrums auf dem Fasanenhof.

Plieningen - Der Beginn seines Lebens wäre beinahe sein Tod gewesen. Das Gehirn bekam bei der Geburt nicht genügend Sauerstoff. „Die Medizintechnik war damals noch nicht so fortschrittlich, wie sie heute ist“, sagt Steffen Wannenmacher. 1974 war das, und auf dem Weg zwischen den Krankenhäusern in Esslingen und Stuttgart wurde er zum Spastiker. Seine Beine sind an dem Elektro-Rollstuhl festgebunden; auf die Plexiglasscheibe vor seinem Bauch legt er seine Arme; die Hände krümmen sich nach innen. Die Scheibe hält ihn zudem davon ab, nach vorne zu kippen. Er bewegt sich mit Daumen und Zeigefinger der linken Hand, sie fassen den Steuerknüppel. „Im Prinzip fühle ich mich mit meiner Behinderung wohl“, sagt er.

Wannenmachers Körper mag kaputt sein, sein Geist ist wach. Er ist ein Profi, heißt es im Behindertenzentrum (BHZ) auf dem Fasanenhof – ein Profi für die Öffentlichkeitsarbeit. Sein Bild ziert die Broschüre der Einrichtung. Wann immer Besuchergruppen durch die Werkstätten geführt werden, beantwortet er die Fragen.

So war es auch am vergangenen Donnerstag. Acht- und Neuntklässler der Plieninger Körschtalschule hatten ihr Kommen angekündigt. „Wir wollten im Religionsunterricht Projekte anbieten, damit man nicht nur biblische Geschichten vorliest“, sagt die Lehrerin Verena Beck.

330 Behinderte haben eine Arbeit gefunden

Die Körschtalschule nennt das den „sozialen Vormittag“. Gemischte Gruppen aus dem katholischen, dem evangelischen und dem Ethikunterricht besuchen die Vesperkirche, wo man Hungernden für wenig Geld ein warmes Mittagessen reicht. Mit Verkäufern des Trottwar, einem Obdachlosen-Magazin, gehen sie vom Marien- zum Charlottenplatz und lassen sich die Hilfsangebote für Süchtige und Obdachlose erklären. Und im BHZ treffen sie Behinderte.

Der Beamer summt und wirft eine Projektion an die Wand. Leonie Seidel klickt sich durch die Präsentation. Sie spricht vom Inklusionsprinzip und dem Normalisierungsprinzip. Die 13 Schüler sitzen im Kreis, während die Mitarbeiterin des BHZ die Struktur des Hauses erläutert. „Wir haben zehn Standorte in ganz Stuttgart“, sagt sie. 330 Menschen werden beschäftigt.

Auf dem Fasanenhof werden industrielle Kleinteile gefertigt und verpackt. Sogar medizinische Geräte werden dort hergestellt. Die Einrichtung in Feuerbach hat sich auf Catering und die Organisation von Konferenzen spezialisiert. Zudem gibt es mehrere Wohnheime und Wohngemeinschaften in Stuttgart. Das soll genug der Theorie sein. „Keine Berührungsängste haben, einfach fragen“, sagt Seidel und deutet auf Wannenmacher, der neben ihr sitzt.

Wie ist das eigentlich mit dem Sex, will der 15-jährige Niftalem wissen. Einige Schüler grinsen verschmitzt, andere schauen weg, es ist ihnen peinlich. Wannenmacher gönnt sich eine Sekunde Denkpause. „Es gibt bei uns durchaus Paare“, sagt er dann. Weil auf dem Fasanenhof nicht nur körperlich, sondern auch geistig behinderte Menschen arbeiten, gibt es sogar Aufklärungskurse, in denen die Regeln erklärt werden. „Damit nicht die ganze Zeit bei der Arbeit geknutscht wird“, sagt er.

Das BHZ ist ihr Leben

Wannenmacher sagt, es sei das schlimmste, wenn Menschen ihn nicht so behandeln, wie sie mit Nichtbehinderten umgehen. Wenn Mütter ihre Kinder wegziehen, weil die auf die Knöpfe seines Elektro-Rollstuhls drücken wollen. Wenn große, kräftige Kerle ihm die Treppe hinauf helfen wollen, aber dann wütend werden, weil er ihre Hilfe gar nicht will. Oder wenn er mit einem seiner Räder über den Fuß eines Spaziergängers fährt und der sagt: Macht nichts, Sie können ja nichts dafür. „Aber genau das ist falsch.“

Die passende Arbeit findet sich für jeden, und das macht ein gutes Gefühl. „Es gibt hier viele, für die bedeutet das BHZ ihr Leben“, sagt Wannenmacher. Sie haben eine Aufgabe, sie werden ernst genommen, und sie haben einen geregelten Tagesablauf. Von 8 bis 16 Uhr wird gearbeitet, werden Metallringe auf Gummimanschetten gesteckt, Gewinde in Scharniere für Aufzüge gedreht und Knöpfe auf den Steuerpulten von CNC-Fräsmaschinen gedrückt, die die Größe von Kleinlastern haben.

Die Wohnungen sind woanders. Das Privatleben soll von der Arbeit getrennt werden. Wannenmacher lebt in Birkach, sitzt am Wochenende gern bei den Heimspielen der Stuttgarter Kickers am Spielfeldrand oder schaut bei Handballspielen zu. „Einen Urlaub zu organisieren, ist manchmal ganz schön viel Arbeit“, sagt er. Er benötigt Hilfe auf der Toilette, aber bestimmt kein Mitleid.

Eigentlich, sagt er, ist er zufrieden. Weil er von Geburt an im Rollstuhl sitzt. Bei Menschen, die nach einem Unfall behindert wurden, sei das anders. „Die können heute die Dinge nicht mehr, die sie früher konnten“, sagt er. Das mache sie wütend, und traurig. „Aber manchmal würde ich schon ganz gern einfach nur ins Freibad gehen können.“