Oscar Pistorius während der Aussage eines Zeugen im Gericht von Pretoria Foto: Getty

Seit er wegen Mordes angeklagt ist, hält sich der südafrikanische Sportstar Oscar Pistorius meist im Haus seines Onkels auf. Seine seltenen Ausflüge protokollieren die Zeitungen ausführlich.

Pretoria - Der südafrikanische Sportstar Oscar Pistorius hat seine Karriere einst mit Hilfe von zwei PR-Agenturen akribisch geplant. Doch so wie der 27-Jährige die Öffentlichkeit geschickt für millionenschwere Sponsorendeals genutzt hat, erweist sie sich auch seit den tödlichen Schüssen auf seine Freundin Reeva Steenkamp vor knapp 18 Monaten als ständiger Begleiter. Diesmal jedoch unerwünscht. Pistorius verbringt den Großteil seiner Zeit in der von Wachpersonal abgeschirmten Villa seines Onkels Arnold in Pretoria. Verlässt er das Gelände, dann protokollieren tags darauf die Titelseiten seine Ausflüge. Sie zeigten Pistorius beim Paddeln in Mosambik und lachend in einem Restaurant und berichten ausgiebig über vermeintliche Flirts.

Die Öffentlichkeit dürstet nach Details, die den offiziellen Darstellungen von Pistorius’ Familie widersprechen. Demnach verbringt der angeblich auf Antidepressiva angewiesene, „gebrochene“ Sportler seine Zeit nämlich überwiegend mit Fernsehen und dem Lesen der Bibel. Die Familie bemüht sich, das öffentlich entstandene Bild von Pistorius so gut wie möglich zu korrigieren. An jedem der 38 Prozesstage waren rund ein Dutzend Angehörige im Gerichtssaal.

Einfach macht es Pistorius allerdings weder seinen Anwälten noch der Familie. Zuletzt nutzte er offenbar großzügig sein Recht auf Alkoholkonsum, das ihm im Zuge der Kautionsanhörungen zunächst aberkannt worden war. Pistorius hatte noch im vergangenen Jahr erfolgreich eine Lockerung der Auflagen beantragt. Im Juli besuchte er einen Johannesburger Nachtclub, wo er in ein Handgemenge mit einem Geschäftsmann verwickelt war. Der Angeklagte habe alkoholisiert die Familie von Südafrikas Präsident Jacob Zuma beleidigt, behauptete der Unternehmer. Pistorius ließ dagegen über eine Sprecherin verlautbaren, er sei aggressiv mit Fragen zu dem Prozess bedrängt worden. Ein Onkel von Pistorius führte dessen „zunehmendes Gefühl von Einsamkeit und Entfremdung“ auf „sein selbstschädigendes Verhalten“ zurück.

„Ich habe Verantwortung übernommen, indem ich mein Leben nicht gelebt habe und stattdessen gewartet habe, vor Gericht meine Geschichte zu erzählen“, hatte Pistorius während des Kreuzverhörs gesagt. Es entstand der Eindruck, als sehe er das einjährige Warten auf den Prozess und die Einschränkungen seines Privatlebens als ausreichende Strafe an. In der öffentlichen Wahrnehmung droht Pistorius eine Niederlage. Und das liegt nicht allein an der wenig plausiblen Erklärung für seine Schüsse, sondern an seiner offensichtlichen Unfähigkeit, auch nur eine Teilschuld einzugestehen.

Das Privatleben des Sportlers wird komplett ausgeleuchtet

Dabei wird nicht immer fair berichtet. Die Wochenzeitung „City Press“ hatte etwa im vergangenen Jahr behauptet, Pistorius habe in einem Autohaus ein neues Auto gekauft, in Begleitung von Bodyguards und einer neuen Freundin. Allerdings handelte es sich um Verwandte von Pistorius.

Der spektakuläre Prozess geht an diesem Donnerstag mit den Plädoyers in die entscheidende Phase. Noch im August könnte Richterin Thokozile Masipa das Urteil sprechen. Viele Südafrikaner aber bilden sich ihr Urteil selbst. Sie folgen gebannt der Enttarnung ihres einstigen Helden, der die Grenzen des paralympischen Sports gesprengt hatte. Denn der seit fünf Monaten andauernde Mordprozess dreht sich nicht um den Nachweis, ob er seine Freundin erschossen hat. Vielmehr geht es um die Frage, ob er tatsächlich einen Einbrecher hinter der Toilettentür vermutete, wo sich Steenkamp während der Schüsse aufgehalten hatte.

Entscheidend ist nun die Glaubwürdigkeit seiner Aussage und damit sein Charakter. Für Pistorius bedeutet das, dass alle Facetten seines Privatlebens ausgeleuchtet werden. Zwei seiner Freunde sowie eine Ex-Freundin beschrieben ausführlich Pistorius’ Hang zu außerordentlich rücksichtlosem und cholerischem Verhalten. Auch deshalb erhält sein aktueller Alltag so viel Aufmerksamkeit. Es wird dem Angeklagten unabhängig vom Urteil schwerfallen, je wieder einen ungestörten Rückzugsort in Südafrika zu finden. Sein Haus im Silverwoods Country Estate im noblen Osten von Pretoria, wo Steenkamp starb, wird er wohl nicht wiedersehen. Um seine hohen Anwaltskosten zu begleichen, trat Pistorius das Anwesen nun für 314 000 Euro an den Berater einer Bergbaugesellschaft ab.