Mutmaßliche somalische Piraten und ihre Anwälte sitzen in Hamburg vor Verhandlungs-beginn im Sitzungssaal des Landgerichts. Drei Piraten sind am vergangenen Freitag überraschend aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Foto: dpa

Somalische Piraten genießen ihre neue Freiheit auf Kosten des Steuerzahlers – Chancen auf Asyl in Deutschland.

Hamburg - Für die drei somalischen Piraten tut sich eine ganz neue Welt auf. Seit vergangenen Freitag dürfen sie ohne Handschellen und Bewachung in einer Stadt herumschlendern, in der man über die Straße gehen kann, ohne überfallen oder erschossen zu werden; in der es genug zu essen gibt und eine Polizei für Recht und Ordnung sorgt.

Nach fast zweijähriger Inhaftierung sind die heute 19 bis 21 Jahre alten Männer aus der Untersuchungshaft im Hamburger Jugendgefängnis Hahnöfersand entlassen worden. Jetzt leben sie in einer Jugendhilfe-Einrichtung in St. Pauli, betreut von Sozialarbeitern. Abdiwali, der Jüngste der Freibeuter-Crew, sei überglücklich, sagt sein Anwalt Rainer Pohlen. „Abdiwali ist ein freier junger Mann, er muss sich dem Verfahren weiter stellen, aber er kann ansonsten gehen, wohin er will.“

Das Hanseatische Oberlandesgericht (OLG) hatte zuvor die Freilassung der drei Angeklagten im Prozess gegen zehn somalische Piraten angeordnet. Begründung: Zwei Jahre U-Haft seien unverhältnismäßig lang für Angeklagte, die zum Zeitpunkt des Überfalls noch Heranwachsende waren.

Angriff auf den Seeverkehr und erpresserischer Menschenraub

Möglicherweise müssen die drei Piraten nicht mehr ins Gefängnis zurück, weil ihre U-Haft auf eine spätere Jugendstrafe angerechnet wird und der Strafrest zur Bewährung ausgesetzt werden kann. „Bei den anderen sieben Angeklagten gilt nicht dieser spezielle Verhältnismäßigkeitsmaßstab wie beim Jugendstrafrecht“, sagt Gerichtssprecher Conrad Müller-Horn.

Die Piraten stehen wegen Angriffs auf den Seeverkehr und erpresserischen Menschenraubs vor Gericht. Am 5. April 2010 war die Bande nach einem Überfall auf den deutschen Frachter „Taipan“ von niederländischen Marineinfanteristen überwältigt und den deutschen Behörden übergeben worden. Das Verfahren begann im November 2010 und war der erste Piratenprozess in der Hansestadt nach 400 Jahren.

Die Staatsanwaltschaft hat Freiheitsstrafen von sieben bis zu elfeinhalb Jahren beantragt, die Jüngsten sollen vier bis fünfeinhalb Jahre hinter Gitter. Für somalische Verhältnissen dürften die Haftbedingungen äußerst komfortabel sein: Es gibt genug zu essen, keine Misshandlungen, die Inhaftierten können Deutschkurse belegen und berufsfördernde Maßnahmen durchlaufen. Diese stellten kein Privileg dar, sondern würden grundsätzlich im Sinne des Erziehungsgedankens angeboten, betont Müller-Horn.

Piraten stellen möglicherweise einen Asylantrag

Dennoch sorgt der Prozessverlauf bei manchem für Unverständnis. In einem Internet-Blog heißt es: „Die drei dürfen sich der Freiheit erfreuen. Zurück nach Somalia müssen sie natürlich auch nicht. Dahingehend hat sich die Räuberei für die Piraten wenigstens gelohnt. Alles zahlt der Steuerzahler.“

Kai Voet van Vormizeele, innenpolitischer Sprecher der CDU in der Hamburger Bürgerschaft, kann den Unmut durchaus nachvollziehen. Allerdings hält er es für „etwas umständlich, sich erst als Pirat schnappen zu lassen und dann einige Jahre im Knast zu verbringen. Ob das ein großer Reiz ist, wage ich zu bezweifeln.“

Der CDU-Politiker geht davon aus, dass die Piraten nach Verbüßung ihrer Strafe einen Asylantrag stellen werden. Zwar gibt es bundesweit keinen Abschiebestopp für Somalier, aber mit einer Duldung können die Seeräuber allemal rechnen. „Sie können in ihrem Asylverfahren anführen, dass sie aufgrund ihrer Aussagen in ihrer Heimat in besonderem Maße einer Verfolgung ausgesetzt sind.“

Aufwand im Prozess ist enorm

Nach Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge haben Somalier hierzulande deutlich bessere Chancen auf Asyl als andere Volksgruppen. Die Schutzquote, die die Anerkennung als Asylberechtigter, einen Flüchtlingsschutz oder ein Abschiebeverbot beinhaltet, lag 2011 bei 58 Prozent – gegenüber 23 Prozent bei anderen Asylbewerbern. 764 von 1322 Somalier durften bleiben.

Der personelle und finanzielle Aufwand im Prozess ist enorm. Doch da Hamburg der Heimathafen der „Taipan“ ist, führte kein Weg an einem rechtsstaatlichen Verfahren vorbei. Dabei will es Vormizeele auch am liebsten belassen. „Die Justiz dürfte so viel gelernt haben, dass sie sich nicht aktiv um solche Fälle bemühen wird.“

Kritisch sieht er Bestrebungen in der Bürgerschaft, einen Seestrafgerichtshof – ähnlich dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag – in die Hansestadt zu holen. „Das eine ist das Verurteilen. Die Konsequenzen, die sich daraus ergeben, sind ungeklärt.“ In Den Haag seien die Angeklagten in der Regel so alt, dass sie nach ihrer Haftstrafe kaum noch die Gelegenheit hätten, einen Asylantrag zu stellen. „Dagegen hätten wir nachher all die Leute, die nach der Haft in Hamburg rumhängen.“