Der Pflegenotstand im Südwesten weitet sich immer mehr aus. Foto: dpa

Landesregierung wirbt mit Imagekampagne für den Beruf – Auszubildende klagen über zu viele Überstunden.

Stuttgart - Zu wenig Fachpersonal, immer mehr Menschen, die Hilfe benötigen, und eine Landesregierung, die händeringend nach Lösungen sucht. Der Pflegenotstand im Südwesten weitet sich immer mehr aus.

„Sejam bem-vindo na Alemanha“ (herzlich Willkommen in Deutschland) – mit diesen Worten begrüßte Bernhard Schneider, Hauptgeschäftsführer der Evangelischen Heimstiftung, kürzlich acht Pfleger aus Portugal. Die Stiftung, Trägerin von zahlreichen Pflegeeinrichtungen im Land, ist froh über die Verstärkung, Fachkräfte aus dem Südwesten sind rar gesät.

Angespannte Pflegesituation

170.000 Beschäftigte arbeiten derzeit in der Pflege im Südwesten – fast 142.000 davon sind Frauen. Im schlechtesten Fall fehlen im Jahr 2030 mehr als 60 000 ausgebildete Ärzte und Pfleger. Das sagt eine Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Pricewaterhouse Coopers, die kürzlich veröffentlicht wurde. Besonders kritisch dürfte die Situation demnach in der Altenpflege werden. In diesem Bereich fehlen derzeit 1800 Fachkräfte, in zwölf Jahren – so die Prognose – könnten es 22.900 sein. Ähnlich die Entwicklung bei den Krankenpflegern. Derzeit werden 15.000 von ihnen gesucht. Im Jahr 2030 könnte diese Zahl bei 29.000 liegen.

Frustrierte Fachkräfte

Zu viele Überstunden und Überforderung: Mit diesen Schlagwörtern lässt sich das Ergebnis einer Umfrage zusammenfassen, die vor kurzem veröffentlicht wurde. Die Gewerkschaft Verdi hatte sich unter Tausenden Auszubildenden in der Gesundheits- und Krankenpflege umgehört, die meisten von ihnen kamen aus Baden-Württemberg. Viele Auszubildende beklagen demnach, dass ihre Praxisleiter zu wenig Zeit mitbringen. In manchen Betrieben bekommen die Jungpfleger keinen Ausbildungsplan vorgelegt – in der Altenpflege waren es 37,4 Prozent der Befragten –, und in vielen Krankenhäusern müssen die Auszubildenden bei Personalmangel auf anderen Stationen aushelfen. Schlechte Noten gab es auch beim Thema Überstunden. In der Altenpflege gaben 38,2 Prozent der Befragten an, dass sie regelmäßig Überstunden machen, in der Gesundheits- und Krankenpflege waren es 17,4.

Besorgte Betreiber

„Die Arbeit ist nun mal, wie sie ist. Daran lässt sich nichts ändern“, sagt Alfons Maurer, einer der Vorsitzenden der Paul-Wilhelm-von-Keppler-Stiftung, die 22 Pflegeeinrichtungen im Südwesten betreibt. Der Gesetzgeber – also in der Hauptsache der Bund – pumpe ständig neue Vorschriften und Auflagen in das Gesundheitssystem. Das bedeute auch: Für die Pfleger fällt immer mehr Schreibarbeit an. In der Pflege habe sich mittlerweile eine Arbeitssituation entwickelt, „die viel verlangt“, sagt Maurer. Die Keppler-Stiftung investiere viel Zeit und Geld in die „Vorphase der Ausbildung“. Soll heißen: Interessierte können ein Praktikum in einer Pflegeeinrichtung absolvieren und mit etablierten Fachkräften reden. „Es nützt nichts, wenn man Azubis anlockt und die nachher ernüchtert sind.“ Deshalb würden auch immer weniger junge Menschen ihre Ausbildung bei der Keppler-Stiftung abbrechen.

Mehr als 2000 Beschäftigte arbeiten derzeit in Pflegeeinrichtungen der Keppler-Stiftung, die ihren Sitz in Sindelfingen hat. Dies sei eine ausreichende Zahl, wie Maurer meint. „Deshalb kommen unsere Azubis auch nicht in die Position, dass sie bei Personalmangel auf anderen Stationen aushelfen müssen.“

Kritische Landesregierung

Mit Gesundheitsministerin Katrin Altpeter (SPD) hat die Pflegebranche im Südwesten eine kompetente Unterstützerin. Altpeter hat eine Ausbildung als Altenpflegerin absolviert. „Jetzt sehen Sie, wohin mich meine Weiterbildungen gebracht haben“, sagte sie kürzlich auf dem Landespflegetag in Stuttgart, „plötzlich bin ich Gesundheitsministerin.“ Sie und ihre Experten aus dem Ministerium erwarten einen noch größeren Pflegenotstand als die Prüfungsgesellschaft Pricewaterhouse Coopers. Im Land steige die Zahl der Pflegebedürftigen in den nächsten 20 Jahren von etwa 250.000 auf 350.000 Menschen. Für die benötige man dann 90.000 zusätzliche Pflegekräfte.

Und um die anzulocken, startet die Landesregierung bald eine Info- und Werbekampagne. Damit will die Ministerin der Öffentlichkeit „die Leistungen und Kompetenzen der Mitarbeiter in der Pflege nahebringen und so zu einem Umdenken in der Gesellschaft beitragen“.