Ein Pflegekind soll mit beiden Familien groß werden. Foto: dpa/Uwe Anspach

Leibliche Eltern müssen ihr Kind im Blick behalten, auch wenn es bei einer Pflegefamilie wohnt. So will es das Gesetz. Das glückt nicht immer, aber meistens dort, wo sich Eltern und Pflegeeltern viel Mühe geben.

Zwei Zimmer, Küche, Bad im Parterre. Im Wohnzimmer steht ein Sofa, kaum persönliche Sachen. Im Regal Fotos von Manuela und ihrem Sohn Paul (alle Namen geändert). Auf einem Bilderrahmen steht: „Für Mama, in Liebe, dein Paul“. Das Kind hat nie bei Manuela gelebt, kam nach der Geburt in die Bereitschaftspflege. Aber sie sagt: „Wenn er mich in den Arm nimmt, dann merke ich, dass er Sehnsucht hat. Im Moment kann er nicht bei mir leben. Ich bin arbeitslos und habe wenig Platz. Ich will ihn keinesfalls dort rausreißen. Dort geht’s ihm gut“, sagt die 45-Jährige.

 

Mit „dort“ meint sie die Pflegefamilie, in der Paul lebt, seit er zehn Monate alt war. In einem Reiheneckhaus mit einem Garten nach hinten raus. Die Regale im Wohnzimmer sind voller Gesellschaftsspiele. An einer Stelle stecken Filzpuppen auf Rundhölzern, das gesamte Personal eines Kasperltheaters. „Die habe ich gemacht, als Paul zu uns kam. Er hat anfangs sehr viel geschlafen“, sagt Susanne, die Pflegemutter. Sie und ihr Mann seien kinderlos geblieben, doch die Zahl der Anfragen hätte die Zahl der zur Adoption freigegebenen Kindern bei Weitem überstiegen. „Also haben wir uns auf ein Pflegeverhältnis mit Paul eingelassen.“

Schmerzhafte Erfahrungen

Von Anfang an hat das Jugendamt Stuttgart die Familie mit Kursen und Wochenendworkshops auf juristische und pädagogische Herausforderungen vorbereitet. „Das hat uns viel Sicherheit gegeben“, sagt Susanne, die als Erzieherin arbeitet. Die Fachkräfte haben auch das erste Treffen zwischen Susanne, Paul und Manuela begleitet. „Wir haben uns an Pauls erstem Geburtstag im Park zu einem Picknick getroffen. Er ist immer sehr unbefangen mit seiner Mutter umgegangen“, erzählt Susanne. „Aber wenn sie sagte: ,Komm zu Mama’, ist er immer zu mir gekrabbelt. Das hat sie sich jeden Monat einmal angetan, auch das Abschiednehmen. Das rechne ich ihr hoch an.“

Denn einmal im Monat treffen sich die Eltern. Mal im Park, meistens in der Kinderbuchabteilung der Stadtbibliothek. Paul nennt seine leibliche Mutter später „Mama Ela“, von Manuela, und seine Pflegemutter „Mama“. „Damit es nicht zu Loyalitätskonflikten kommt, müssen die Beteiligten das Kind gemeinsam im Blick behalten, ihm das Aufwachsen in beiden Familien ermöglichen“, heißt es in einem Projektbericht des Jugendamts, in dem es um die fachliche Unterstützung dieser Arbeit geht. Das Amt und die Beratungszentren sind gesetzlich verpflichtet, die leiblichen Eltern einzubeziehen. Und doch werde das noch zu wenig berücksichtigt und umgesetzt, weshalb die Stadt nun entsprechende Qualitätsentwicklungsprozesse anstößt.

Fehlende Kooperationsbereitschaft

Ob das Zusammenspiel zwischen Pflegeeltern und leiblichen Eltern gelingt, hängt auch stark von der Kooperationsbereitschaft der Beteiligten ab. „Wir haben eine Zunahme an psychisch instabilen Müttern, die den Kindern das gleichzeitige Aufwachsen in den beiden Familien schwermachen“, sagt Carmen Mulfinger vom Jugendamt der Stadt Stuttgart. Marvin, der zweite Pflegesohn von Susanne, leidet unter dem sehr sporadischen Kontakt zu seiner leiblichen Mutter. „Sie hat sich oft nicht an die Absprachen gehalten, ist nicht gekommen oder hat andere Leute zu dem Treffen mitgebracht“, erzählt die Pflegemutter. Im Moment sei sie im Ausland, niemand wisse, wann sie wieder komme. „Das ist sehr traurig für ihn, auch dass wir Pauls Mama treffen, seine aber nicht. Das versteht er nicht. Er leidet, weil er den Grund dafür bei sich sucht.“

Gelegentlich beschwere sich die leibliche Mutter, man würde ihr die Treffen verwehren. „Aber damit geht das Jugendamt gut um, übernimmt auch mal den Mailwechsel mit ihr“, sagt die Pflegemutter. Auch deshalb ist sie über das Verhältnis zu Manuela froh. Dafür hat sich jeder Einsatz bisher gelohnt.

Wo Kinder Schutz finden

Pflege
Zum Stichtag 31. Dezember 2020 wurden in Stuttgart 318 Pflegekinder betreut (im Vorjahr 326). Eine Fachkraft war durchschnittlich für die Begleitung von 41 Pflegekindern zuständig. Rund ein Drittel der Kinder sind von Verwandten zur Pflege aufgenommen worden.

Adoption
In 151 Fällen (im Vorjahr 138) sind laut Geschäftsbericht des Jugendamts Beratungsgespräche mit Adoptionsfamilien geführt worden; 58 Mal waren es Gespräche mit Adoptionsbewerberpaaren. Zu Adoptionsvermittlungen kam es in sieben Fällen (im Vorjahr neun).