Das Sozialministerium in Stuttgart rechtfertigt das „Aus“ für die Pflegeheimförderung seit 2011. Sozialverbände widersprechen vehement.
Das Sozialministerium von Baden-Württemberg sieht der Übergabe von 100 000 Unterschriften im Rahmen der Kampagne „Arm durch Pflege“ durch den Sozialverband VdK am 4. September gelassen entgegen. Auf Anfrage unserer Zeitung widerspricht das Ressort von Minister Manfred Lucha (Grüne) der vom VdK-Chef Roland Bühler geäußerten Ansicht, dass das Land Baden-Württemberg die Kosten für Investitionen sowie den Bauunterhalt von Gebäuden in der stationären Altenpflege bezahlen müsse. Diese Meinung vertreten aber nicht nur der VdK, sondern auch der Dachverband der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) sowie die Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Claudia Moll (SPD), kürzlich in einem Interview in dieser Zeitung.
Länder tragen Verantwortung
Wenn von der „Verantwortung der Länder“ die Rede sei, so Ministeriumssprecherin Claudia Krüger, werde meist der Paragraf 9 des Sozialgesetzbuches bemüht, wonach die Länder verantwortlich seien für die Vorhaltung einer leistungsfähigen und ausreichenden pflegerischen Versorgungsstruktur. Das Nähere zur Planung und Förderung werde aber durch Landesrecht bestimmt, im übrigen verlange das Gesetz nicht, dass die Länder die Investitionskosten komplett tragen müssten. Gegen eine Pflegeheimförderung spreche, dass die Investitionskosten „in etwa der Kaltmiete bei einer Wohnraumanmietung“ entsprächen. Dabei gehe es aber nicht nur um die Kosten der bewohnten Zimmer: „Vielmehr sind in den Investitionskosten zum Beispiel auch die Mietkosten der Gemeinschaftsräume und Gemeinschaftsflächen, der Küchen, Büros und Pflegebäder sowie deren Ausstattung enthalten.“
In Baden-Württemberg, so Sprecherin Krüger, werden stationäre Pflegeheimeinrichtungen seit 2011 nicht mehr gefördert. Gegen die Pflegeheimförderung spreche auch, dass sie „sozialpolitisch“ nicht zielgenau wirke. Wenn man fördere, dann entlaste das alle Bewohner und Bewohnerinnen: die mit kleiner Rente und die Mittellosen ebenso wie die mit „großzügig bemessenen Alterseinkünften“ und Vermögen. Eine staatliche Pflegeheimförderung könne aber nicht die Mieten derjenigen subventionieren, die auf staatliche Unterstützung gar nicht angewiesen seien.
Auch die Pflegeheimförderung in Baden-Württemberg bis 2010 habe nicht den Auftrag einer „Entlastung“ gehabt, es sei in erster Linie eine strukturelle Aufgabe gewesen, um die Infrastruktur aufzubauen: „Wir haben jetzt in Baden-Württemberg eine insgesamt ausreichende Zahl von Pflegeheimplätzen.“
Keine Entlastung im ersten Jahr
Eine Pflegeheimförderung mit dem Ziel der individuellen Entlastung von Heimbewohner werde im übrigen in keinem Bundesland vorgenommen. Das Ministerium weist darauf hin, dass die Pflegeversicherung nur als „Teilleistungssystem“ ausgelegt sei: „Derzeit sind die Leistungen gedeckelt, alles darüber hinaus müssen die Pflegebedürftigen aus der eigenen Tasche bezahlen.“ Seit Januar erhalten Heimbewohner immerhin Leistungszuschläge auf den pflegebedingten Anteil, nach den ersten zwölf Monaten des Aufenthalts fünf Prozent, nach 24 Monaten 45 Prozent und nach 36 Monaten 70 Prozent. „Mit dieser Regelung werden die Betroffenen und ihre Familien insbesondere im ersten Jahr kaum vor finanzieller Überforderung geschützt“, sagt Claudia Krüger.
Baden-Württemberg setze sich beim Bund für eine Reform der Pflegeversicherung im Sinne eines „Sockel-Spitze-Tausches“ ein, der die Eigenanteile begrenzt. Der dynamische Ausgabenblock soll Sache der Pflegekassen werden, die Pflegebedürftigen sollen Fixkosten tragen. Im Koalitionsvertrag der Ampel, sei beabsichtigt, die Eigenanteile in der stationären Pflege zu begrenzen und sie „planbar“ zu machen.