Die Bäckerei Ziegler in Murr ist ein Traditionsbetrieb. Doch seit einem halben Jahr plagen Markus Kaiser große Personalsorgen – in der Backstube, aber auch im Laden. Damit steht er nicht alleine da.
Vor ein paar Monaten im Herbst waren Markus und Birgit Kaiser kurz davor, die Reißleine zu ziehen, und die Öfen in ihrer Backstube in Murr ausgeschaltet zu lassen. Dauerhaft. Der Frust war sehr groß. Nicht, weil der Traditionsbäckerei Ziegler nach 57 Jahren die Kundschaft ausbleibt. Ganz im Gegenteil: Der Familienbetrieb läuft. Die Stammkundschaft kommt von weit über die Ortsgrenzen hinaus, um sich mit Backwaren zu versorgen. Nicht nur, aber vor allem auch der Brezeln wegen, mit denen sich Markus Kaiser einen Namen gemacht hat.
Doch die Brezeln, das Brot, die Kuchen, Torten und Törtchen müssen ja auch produziert und verkauft werden. Und sowohl in der Backstube als auch im Laden fehlt es an Personal. Immer wieder und ohne Aussicht auf Besserung.
Kündigungen und Absagen
Im vergangenen Jahr alleine musste das Unternehmerpaar fünf Kündigungen kompensieren. „Seit etwa einem halben Jahr kommen wir quasi gar nicht mehr hinterher“, sagt Markus Kaiser und schüttelt ratlos den Kopf. Am Ende entschieden sich die beiden, die den Traditionsbetrieb in zweiter Generation führen, dann nur für eine einwöchige Schließung. Zum Jahreswechsel gab es für die Kunden schließlich noch zum ersten Mal in der 57-jährigen Betriebshistorie zwischen Weihnachten und Neujahr nichts Frischgebackenes.
Und jetzt der nächste Einschnitt: Mit Beginn des Jahres hat der 51-Jährige die Öffnungszeiten weiter reduziert. Im Laden liegen Postkarten aus, auf denen die Kundschaft über den Einschnitt informiert wird. Die Reaktionen reichen von Verständnis bis Enttäuschung. „Wo soll das noch hinführen?“, fragt eine Kundin und schüttelt den Kopf. Es gebe doch so viele Arbeitssuchende, da dürfte es doch keine Probleme geben.
Doch die gibt es. Vor fünf Jahren wurde bereits der Montag als Verkaufstag gestrichen. „Damals wollten wir das eigentlich nur vorübergehend machen, aber in der Mitte der Coronapandemie fing es dann an, dass wir für den Laden nur schwer Personal fanden“, erinnert sich Kaiser. Seit dieser Woche bleibt die Bäckerei also auch mittwochs und donnerstags von 13 Uhr an zu. „Es geht nicht mehr anders. Wir tragen ja auch Verantwortung für die Mitarbeiter, die wir haben“, sagt Kaiser. Ehefrau Birgit wird im Laden von zwei Ganztags- und einer Teilzeitkraft wie auch von Tochter Lisa unterstützt.
Freizeit spielt große Rolle
Die 26-Jährige hat ursprünglich eine Ausbildung zur Malerin und Lackiererin gemacht. Doch als dann der Großvater starb, switchte die Enkelin um und begann vor fünf Jahren im elterlichen Betrieb eine Lehre. „Damals habe ich mich gefreut, aber heute möchte ich ihr das alles eigentlich nicht mehr zumuten“, sagt der Vater.
Der frühe Arbeitsbeginn in der Backstube schreckt sicher viele ab, aber warum so gut wie niemand mehr hinter der Ladentheke stehen möchte? Markus Kaiser zuckt mit den Schultern. Die eine Erklärung gibt es nicht. Es sind unterschiedliche Faktoren. Und doch werden dem Selbstständigen immer wieder dieselben Gründe bei einer Kündigung oder Absage genannt. „Den meisten ist es zu stressig. Der Laden ist voll, die Kunden stehen Schlange, die Waren müssen aufgefüllt werden. Die Belastbarkeit hat nachgelassen in den vergangenen Jahren, und die Freizeit spielt für viele eine immer größere Rolle.“
Auf die Vermittlung durch die Arbeitsagentur verzichtet der Selbstständige inzwischen. „Die meisten wollen im Grunde nur stempeln, da hat kaum einer Lust zu arbeiten“, sagt Markus Kaiser und fordert eine Reduzierung des Bürgergelds. „Anders geht es nicht.“
Mit seiner Erfahrung steht der Murrer Bäcker nicht alleine da. Martin Reinhardt, Chef des Landesinnungsverband des württembergischen Bäckerhandwerks, bestätigt die schlechten Erfahrungen mit Bewerbern und Bewerberinnen, die durch die Arbeitsagentur vermittelt werden. „80 Prozent kann man bereits vor einem Kontakt aussortieren, den Rest danach.“ Entweder fehle die Bereitschaft zu arbeiten, die Flexibilität was Arbeitszeiten angehe, die Belastbarkeit oder die Mobilität. Die zuständigen Behörden, die Agentur für Arbeit in Ludwigsburg, aber auch das fürs Bürgergeld zuständige Landratsamt, geben sich wortkarg. Die geschilderten Erfahrungen könne man nicht bestätigen, darüber hinaus gebe es inhaltlich keine Stellungnahme.
Innung startet Lehrlingskampagne
Ohne Personal bleibt den Bäckereien nur die Reduzierung der Öffnungszeiten, oder das Schließen von Filialen, weiß Reinhardt. „Wir verlieren zwei bis drei Prozent der Betriebe jedes Jahr. Den typischen Familienbetrieb, so wie früher, gibt es nur noch selten.“ Früher habe ein Bäcker, wenn ein Kollege eine Filiale aufgegeben habe, sie übernommen, das sei heute nicht zwangsläufig so.
Lösungen zu finden, sei nicht einfach, betont der Oberbäcker des Landes. Den Kopf in den Sand stecken will er aber dennoch nicht. Eine Lehrlingskampagne der Innung soll helfen, und darüber hinaus sei es Aufgabe der Betriebe neue, attraktive Arbeitszeitmodelle zu schaffen.
Weniger Betriebe mit mehr Filialen
Schließung
Insgesamt 780 Handwerksbäckereien haben bundesweit 2022 aufgegeben. Zu hoher Kostendruck, kein Nachfolger oder Verkauf an Wettbewerber – die Gründe seien vielfältig, vermeldet die Deutsche Handwerkszeitung. Vom „Bäckersterben“ könne aber nicht die Rede sein, denn es kamen auch 422 neue Bäckereien dazu. Insgesamt gingen die Betriebszahlen deshalb nur um 358 zurück(Minus 3,6 Prozent).
Konzentration
Bei sinkender Zahl der Betriebe und nahezu unveränderter Zahl der Verkaufsstellen erhöhte sich die Zahl der Filialen pro Betrieb. Konsequenterweise stieg dadurch die Betriebsgröße. 2022 gab es laut dem Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks bundesweit um die 10 700 Auszubildende, sieben Jahre zuvor sind es mit 18 800 allerdings noch deutlich mehr gewesen