Wochenlang haben die großen Paketdienste von der Corona-Krise fast nichts gespürt. Doch seit ein paar Tagen schießt die Zahl der Sendungen plötzlich auf Vorweihnachtsniveau in die Höhe. In Stuttgart hat das Folgen.
Stuttgart - Der Mann aus dem Stuttgarter Osten wundert sich. Da sitzt er seit Tagen wegen der Kontaktbeschränkungen in der Corona-Krise zu Hause. Doch obwohl niemand bei ihm klingelt, findet er eine Benachrichtigung nach der anderen in seinem Briefkasten, ein DHL-Paket habe nicht zugestellt werden können. Noch mehr erstaunt ihn aber die Adresse, an der er die Sendungen abholen soll: Ehmannstraße 80 bis 82. Das ist keine Filiale, sondern die Zustellbasis der Post am Nordbahnhof.
Der Mann stellt fest, dass die Benachrichtigungskarten nicht vom Paketzusteller gebracht werden, sondern vom Briefträger. „Bei diesem, auf die Zustellung der angeblichen Paketbenachrichtigungen angesprochen: verlegenes Achselzucken“, erzählt der Kunde. Dann habe der Briefträger einen ganzen Stapel Benachrichtigungskarten gezeigt, die er zustellen müsse. Auf Nachfrage berichten auch viele Nachbarn von ähnlichen Erlebnissen. Solche Meldungen kommen genauso aus anderen Stadtbezirken, zum Beispiel dem Stuttgarter Westen. „Offenbar liefert die Deutsche Post in Stuttgart keine Pakete mehr aus“, spricht eine Betroffene die Vermutung vieler Kunden aus.
Ganz so umfassend ist es nicht. „Wir sehen in unserem Paketbereich seit Ende März eine täglich steigende Zahl von Sendungen, deren Menge mittlerweile sehr spürbar über der des Vorjahres zu dieser Zeit liegt“, sagt DHL-Sprecher Marc Mombauer und spricht von „Vorweihnachtsniveau“. Diese Menge werde voraussichtlich mit Blick auf die aktuellen Reiseeinschränkungen und das Osterfest noch weiter ansteigen. Die Schwankungen bei einzelnen Kunden und Segmenten seien inzwischen enorm. Mode beispielsweise sei kurzfristig stark rückläufig, während Versender im Lebensmittel- und Tiernahrungsbereich teils stark gewachsen seien. Auch kleine Händler setzten jetzt immer mehr auf Warenversand per Post, um sich über Wasser halten zu können.
Hoher Krankenstand auch wegen Quarantäne
„Wir setzen jetzt alles daran, die Kapazität in der Zustellung und auch den Paketzentren weiter hochzufahren. Dazu wollen wir auch vermehrt Kollegen aus anderen Bereichen wie dem Brief- oder Landfrachtgeschäft einsetzen“, so Mombauer. Gleichzeitig habe man aber „momentan in unserer Stuttgarter Zustellbasis leider einen deutlich über dem Durchschnitt und der Planung liegenden hohen Krankenstand“. Das liege sowohl an der Quarantäne von Mitarbeitern als auch an gewöhnlichen Erkrankungen. „Trotz verschiedener personeller Maßnahmen können wir momentan nicht alle Paketzustellbezirke wie gewohnt vollständig besetzen“, räumt der Sprecher ein.
Der Großteil der Sendungen komme ohne Verzögerungen an, betont man bei DHL, ähnliche Probleme seien auch von anderen Standorten im Großraum Stuttgart nicht bekannt. Manches würde aber zu lange liegen bleiben. „Aus diesem Grund verlagern wir einen kleinen Teil der täglich eintreffenden Pakete in die Sonderausgabe in der Ehmannstraße und informieren die jeweiligen Kunden per Benachrichtigungskarte im Briefkasten“, so Mombauer.
Der Weg dorthin hat es allerdings in sich. Im Prinzip ist die Ausgabestelle am besten per Auto zu erreichen – vorbei am Schwerverkehr der umliegenden Baustellen. Und vor Ort bilden sich immer wieder lange Schlangen. „Ich finde das äußerst fragwürdig, den Kunden in Corona-Zeiten das zuzumuten“, kritisiert eine Betroffene. „Schlimm ist, dass DHL gerade in den Zeiten nicht zustellt, in denen viele Menschen aus Angst vor Corona ganz bewusst auf die Paketbestellung ausweichen“, bekräftigt ein anderer Kunde, der sich gerade ein Paket abgeholt hat und jetzt den Rückweg zu den öffentlichen Verkehrsmitteln antritt. „Da muss man schon ganz gut zu Fuß sein“, sagt er.
Erst seit kurzem gibt es einen Anstieg
Auch andere Paketdienste verzeichnen inzwischen steigende Sendungsmengen. Allerdings hat diese Entwicklung überall erst in den vergangenen Tagen eingesetzt. Lange haben die Anbieter, trotz geschlossener Geschäfte und vermuteter Zuwächse im Online-Handel, kaum Anstiege verzeichnet. „Die Folgen der Corona-Pandemie auf den Online-Handel sind derzeit nur in Umrissen erkennbar“, sagt etwa ein Hermes-Sprecher. Der Online-Handel profitiere zwar, spüre wie der gesamte Einzelhandel aber auch die sich abkühlende Konsumkonjunktur. Viele Menschen gehen in Kurzarbeit oder bangen um ihren Job – da hält sich die Kauflaune bei manchen in Grenzen. Das scheint sich erst jetzt vor Ostern kurzfristig zu ändern.
Bei den Anbietern betont man, das Infektionsrisiko sei, auch durch entsprechende Maßnahmen bei der Lieferung an die Haustür oder zum Paketshop, im Verhältnis zum stationären Handel extrem gering. „Dabei geht es aus unserer Sicht nicht darum, zusätzliche Kaufanreize zu schaffen, sondern um die Grundversorgung der Bevölkerung,“ so der Hermes-Sprecher. Die Sortimente reichten von Waren des täglichen Bedarfs bis hin zu dringend benötigten Elektrogeräten. Bei DHL hofft man, die Probleme schnell wieder im Griff zu haben.