Wegen blasphemischer Sprüche auf seinem Auto muss ein pensionierter Lehrer 500 Euro an eine karitative Einrichtung zahlen. Da stellt sich die Frage: Warum ist Gotteslästerung in Deutschland heute immer noch strafbar?
Stuttgart/Lüdinghausen - Albert V. lebt im beschaulichen Lüdinghausen, rund 40 Kilometer nördlich von Dortmund im südlichen Münsterland. Hier ist die katholische Welt noch in Ordnung. Der sonntägliche Kirchbesuch ist noch recht hoch, die Wasserburgen sind idyllisch und das westfälische Pumpernickel das beste weit und breit. Wäre da nicht dieser pensionierte Lehrer Albert V.
Ex-Lehrer Albert V. und sein „Spruchtaxi“
Der 67-Jährige betreibt ein eigenes Taxi-Unternehmen. Na ja, Unternehmen ist zu viel gesagt. Eigentlich befördert er keine zahlenden Kunden, sondern Sprüche. Seit August 2014 beklebt Albert V. nach Angaben des Humanistischen Pressedienstes die Heckscheibe seines silberfarbenen Kleinwagens mit wechselndem Sprüchen. 17 von ihnen hat er auf seiner Webseite www.spruchtaxi.de abgelichtet. Hier drei Kostproben:
„HERR, du brichst den Gegnern den Kiefer. Nun schlag ihnen auch die Zähne raus! Gebet nach Psalm 58 und Psalm 3.“
„Allergiker und Gläubige mit Sodbrennen. Testen Sie unsere vegetarischen Hostien. Kein Heiland drin.“
„Herr, unser Bello schleckt so gerne Blut von Ungläubigen. Nun erschlag wieder einen.“
Über ein Jahr war der Pensionär mit seinem „Spruchtaxi“ unterwegs, als ein Lüdinghausener Passant ein Heck-Spruch ins Auge fiel. „Wir pilgern mit Martin Luther. Auf nach Rom! Die Papstsau Franz umbringen. Reformation ist geil!“
Anleihen bei Luther
Mit diesem provozierenden Spruch wollte Albert V. auf den Reformator Martin Luther (1483–1546) anspielen, der in seinem berühmt-berüchtigten „Sendbrief an den Papst Leo den Zehnten“ von 1520 schrieb: „Warum greifen wir nicht viel mehr diese Magister des Verderbens, diese Kardinäle, diese Päpste und diese ganze Dreckansammlung des römischen Sodom, die die Kirche Gottes ohne Ende zerstört, mit allen Waffen an und waschen unsere Hände in ihrem Blut, so wie wir uns und die unsern von einem allgemeinen und für alle höchst gefährlichen Brand befreien?“
Als der erboste Lüdinghausener den Heck-Spruch las, erstattete Anzeige. Dasselbe tat auch die herbeigeeilte Polizeistreife, als sie die Heckscheibe des „Spruchtaxi“ genauer unter die Lupe nahm. Derweil hatte Albert V. dort schon einen neuen, nicht minder provokanten Spruch aufgeklebt. „Kirche sucht moderne Werbeideen. Ich helfe. Unser Lieblingskünstler: Jesus – 2000 Jahre rumhängen und immer noch kein Krampf.“
„Das ist eine Beschimpfung der christlichen Kirchen“
Am Donnerstag (24. Februar) um 8. 30 Uhr erschien der Angeklagte im Saal 118 des Amtsgerichts Lüdinghausen zur Hauptverhandlung (AZ: 9Ds 174/15). Richterin Ira Schwefer fand Albert V.’s Sprüche überhaupt nicht witzig („Das ist eine Beschimpfung der christlichen Kirchen“) und verwarnte den rüstigen Rentner. Wegen eines Vergehens gegen Paragraf 166 des Strafgesetzbuches (StGB), den sogenannten „Gotteslästerungs-Paragrafen“, muss er eine Geldstrafe von 500 Euro an eine karitative Einrichtung zahlen und erhielt zusätzlich noch eine Geldstrafe von 3000 Euro auf Bewährung.
Dass Albert V. den Urteilspruch anfechten und die nächste Instanz anrufen will, ist klar. So viel öffentliche Aufmerksamkeit ist fast schon ein „Gottesgeschenk“. „Gotteslästerung ist für mich ein Menschenrecht“, sagte der ehemalige Pädagoge nach der Verhandlung. „Das muss sein, damit man alles diskutieren kann. Also Gotteslästerung so verstanden, dass man in der Gesellschaft offen über alles reden kann.“
§ 166 StGB –„Gotteslästerungsparagraf“
Anklagen wegen Blasphemie sind in Deutschland selten
Anklagen wegen des „Gotteslästerungsparagrafen“ sind so selten, dass man lange recherchieren muss, um in den Archiven fündig zu werden. Einer der letzten Fälle spielte ebenfalls in Lüdinghausen. Im Februar 2006 wurde dort ein vorbestrafter Frührentner vom Amtsgericht zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr auf Bewährung verurteilt. Der damals 61-Jährige Mann hatte die Worte „Koran, der heilige Koran“ auf Toilettenpapier gestempelt und das Pamphlet an mehrere Fernsehsender, Moscheen und islamische Kulturvereine verschickt.
Im sogenannten Blasphemie-Paragrafen des Strafgesetzbuches heißt es: „Wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“
Blasphemie nicht durch Meinungsfreiheit gedeckt
In der rund einstündigen Verhandlung berief sich Albert V. auf die Meinungs- und Kunstfreiheit. Das Gericht sah dagegen eine Störung des öffentlichen Friedens gegeben. Gläubige müssten auf die gesellschaftliche Toleranz vertrauen können und darauf, dass sie in ihrem Bekenntnis respektiert würden, sagt ein Gerichtssprecher.
Damit ist der Fall juristisch fürs erste erledigt. Vielleicht wird sich aber mancher jetzt fragen, ob ein Blasphemie-Paragraf heute noch vonnöten ist oder ob nicht „jeder nach seiner Fasson selig werden“ soll. Dieses geflügelte Wort geht auf den Preußenkönig Friedrich II. (1712-1786) zurück, der auf eine Anfrage, ob die römisch-katholischen Schulen wegen ihrer Unzuträglichkeit wieder abgeschafft werden sollten, dies an den Rand der Eingabe schrieb: „Die Religionen Müsen alle Tolleriret werden und Mus der Fiscal nuhr das Auge darauf haben, das keine der andern abrug Tuhe, den hier mus ein jeder nach seiner Fasson Selich werden.“
Kann man Gott lästern?