Ein noch ungewohnter Anblick: Fußgänger statt Autos auf dem Marktplatz Foto: Annina Baur

Nach gut einem Monat sind Einzelhändler und Passanter geteilter Meinung über die neue Regel. Während sich ein großer Teil der Einzelhändler über einen Rückgang der Kundschaft beklagt, sind die Passanten froh über den ausbleibenden Verkehr.

Bad Cannstatt - Mehr als 30 Jahre ist in Bad Cannstatt über das Für und Wider eines autofreien Marktplatzes diskutiert worden. Verhärtete Fronten und bekannte Argumente trafen in schöner Regelmäßigkeit aufeinander, ohne dass Gegner und Befürworter zu einem Ergebnis gelangten. Anfang dieses Jahres ist die Entscheidung gefallen. Im März hat der Gemeinderat beschlossen, die Autos von dem Platz in der Altstadt zu verbannen, seit Mitte Juli weisen Schilder den Marktplatz als Fußgängerzone aus. Nach gut einem Monat scheint die neue Regelung im Bewusstsein der Bevölkerung angekommen zu sein.

Geld für Möblierung steht zur Verfügung

„Seit Strafzettel verteilt werden, wird das Parkverbot respektiert“, sagt Edgar Riester von der Straßenverkehrsbehörde. Drei Wochen lang waren Autofahrer mit Informationszetteln auf die neue Regel hingewiesen worden, seit 5. August wird das unerlaubte Parken mit einem Knöllchen in Höhe von 30 Euro geahndet. „Tagsüber gibt es fast keine Falschparker mehr, abends schon“, sagt Riester. In Bad Cannstatt sind die Kontrolleure deshalb nicht nur zwischen neun und 18 Uhr, sondern regelmäßig auch bis 22 Uhr im Einsatz.

Gabriela Raczek freut sich darüber: „Ich fand es immer schade, dass dieser schöne, zentrale Platz zugeparkt war“, sagt die Fußgängerin. Jetzt endlich kämen die schönen Gebäude rund um den Marktplatz erst richtig zur Geltung. Was ihr fehlt sind Sitzgelegenheiten. Diese soll es aber bald geben. „Geplant ist, Sitze an den Baumringen anzubringen und weitere Fahrradbügel am Verwaltungsgebäude“, sagt der Bezirksvorsteher Thomas Jakob. Rund 10 000 Euro stünden für diese erste Möblierung zur Verfügung, alles weitere werden die kommenden Haushaltsberatungen entscheiden. „Wir hoffen in Bad Cannstatt natürlich auf die in Aussicht gestellte Einsetzung eines Altstadtmanagers und ein dynamisches Parkleitsystem.“ Von der Kombination aus Verkehrsführung und einem attraktiven Branchenmix verspricht sich der Bezirksvorsteher, dass Kunden nach Bad Cannstatt gelockt und an den Bezirk gebunden werden. Bestehende Veranstaltungen sowie neue auf dem autofreien Marktplatz könnten dazu beitragen, glaubt Jakob.

Ärger über fehlende Kundschaft

Das sieht Günther König ähnlich. „Ich freue mich darauf, dass der schöne Marktplatz künftig mehr als bisher für Veranstaltungen genutzt werden kann“, sagt der gebürtige Cannstatter, der im Kurparkviertel lebt. Ihm gefalle aber auch der leere, ruhige Platz: „Endlich muss ich mich mit meinem Fahrrad nicht mehr zwischen den Autos hindurch schlängeln.“ Dass eine solche Veränderung Zeit brauche, sei ganz natürlich: „Ich kann mich noch gut an den Aufschrei erinnern, der durch Bad Cannstatt ging als die Marktstraße für Autos gesperrt wurde.“ Wenn sich die Einzelhändler wegen zu weniger Kundschaft beschwerten, liege das seiner Meinung nach nicht an mangelnden Parkplätzen, sondern am Angebot. Das sehen viele Einzelhändler rund um den Marktplatz anders: „Ein schöner Platz bringt nichts“, sagt Cesco Asran, der Inhaber von Denny Schmuck und Uhren. Vor allem ältere Kunden, die nicht gut zu Fuß seien, beschwerten sich oder blieben gleich weg, wenn sie nicht mehr in unmittelbarer Nähe parken könnten. Auch Andreas Spee und Andrea Kirchstetter vom Cannstatter Reisebüro sind unglücklich über die neue Regelung: „Wenn sie nicht vor der Tür parken können, gehen die Leute woanders hin“, sagt Kirchstetter. Sie vermisst eine Kompensation für die fehlenden rund 50 Parkplätze und beklagt die relativ kleinen Hinweisschilder: „Die Leute erkennen die Schilder nicht. Das ist Abzocke.“

Genügend Parkhäuser in der Umgebung

Ricky Lawson versucht seine Kunden zumindest vor Strafzetteln zu bewahren: „Wenn ich jemanden draußen parken sehe, renne ich schnell aus der Küche und weise ihn auf die neue Regelung hin“, sagt der Koch des Meran. Ihm persönlich gefalle der autofreie Marktplatz gut, nichtsdestotrotz befürchte seine Chefin Umsatzeinbußen aufgrund der fehlenden Parkplätze unmittelbar vor dem Restaurant. „Letztlich müssen wir abwarten, ob wir das vielleicht durch eventuelle Zusatzgeschäfte bei mehr Veranstaltungen ausgleichen können“, sagt Lawson. Eine theoretisch mögliche Erweiterung der Außenfläche sei derzeit kein Thema: „Da drei Mal pro Woche Markt ist, müssten wir jeden zweiten Tag diese zusätzliche Bestuhlung abbauen.“

Die Fotografin Alexandra Licina hat ihr Studio in der Küblergasse und glaubt nicht an Umsatzrückgänge: „Meine besten Tage sind die Markttage, an denen ohnehin noch nie geparkt werden durfte.“ Dank dreier Parkhäuser in der Umgebung und der guten Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr gelange jeder gut in die Cannstatter Altstadt. „Was dagegen fehlte, war ein Platz, an dem die Menschen auch im Freien sitzen können, ohne etwas zu essen oder zu trinken zu bestellen.“ Die Netzwerkerin, die unter anderem an der Organisation der Tanzabende auf dem Marktplatz und dem Nachtflohmarkt beteiligt ist, hat viele Ideen, wie der Marktplatz noch attraktiver werden kann. „Toll wären eine Spielecke für Kinder und eine Multifunktionsfläche, auf der getanzt, Theater gespielt oder Yoga praktiziert werden kann.“