An Ostern steht der Tod Jesu am Kreuz und die Auferstehung im Mittelpunkt Foto: FACTUM-WEISE

Der Tod Jesu am Kreuz gilt als Opfer für die Menschheit? Aber wie gehen Christen und Nichtchristen mit dem Opferbegriff um. Was verstehen Menschen unterschiedlicher Couleur und Alters unter dem Opferbegriff?

Stuttgart - Tod und Auferstehung Jesu sind der Mittelpunkt christlichen Glaubens. Seit Beginn des Christentums wird auch um die Auslegung des Opfertodes Jesu am Kreuz gestritten. Ist Jesus Christus für die Sünden der Menschen gestorben? Oder widerspricht der Tod am Kreuz als grausames Sühneopfer der Lehre Jesu?

Eine Antwort darauf gibt nun die Evangelische Kirche in Deutschland in einem 194-seitigen Grundlagenpapier mit dem Titel „Für uns gestorben – Die Bedeutung von Leiden und Sterben Jesu Christi“. Man kann es als Kompromiss-Vorschlag in der theologischen Debatte deuten. Aber wie gehen Christen und Nichtchristen mit dem Opferbegriff um. Was verstehen Menschen unterschiedlicher Couleur und Alters heute unter dem Opferbegriff? Wir haben uns umgehört:

Die Sportlerin

Anke Gallist, 15: Neulich nach der Schule werde ich gefragt : „Kommst du heute Abend mit in die Stadt?“ Ich antworte: „Nein, ich kann nicht, habe Schwimmtraining.“ Die übliche Reaktion lautet: „Schon wieder ? Du Opfer!“ Solche Sprüche höre ich täglich in meinem Freundeskreis. Doch warum bin ich ein Opfer, wenn ich mich für den Sport entscheide, anstatt in die Stadt zu gehen? Und warum wird das dicke Mädchen aus der Parallelklasse mit den uncoolen Klamotten als Opfer bezeichnet? Wir kennen sie doch gar nicht richtig. Meiner Meinung nach trägt das Wort Opfer seinen eigentlichen Sinn nicht mehr, wenn es in so einer Form verwendet wird. Zwar ist es nur so daher geredet, dennoch empfinde ich es als Beleidigung. Es rückt einen in ein negatives Licht, obwohl man sich und sein Handeln als positiv empfindet. Außerdem will niemand gerne als Opfer bezeichnet werden. Wenn ich allerdings jedes Mal als Opfer dargestellt werde, nur weil ich nicht das mache was andere gerne hätten, dann prägt und beeinflusst mich das mein Verhalten. Und es ärgert mich, weil durch das Training sowieso Opfer bringe.

Die Tochter

Adina Wahl, 52: Die Pflege meiner dementen Mutter kostet nach einem harten Acht-Stunden-Job viel Kraft. Ich verzichte auf viel. Aber ist es für mich ein Opfer, ihr zu helfen? Opfere ich mich für sie auf? Opfere ich mein Leben? Tatsächlich verhindere ich derzeit, dass sie ins Heim kommt. Es ist ein großer Aufwand, aber ich bewältige ihn. Man fragt in solchen Momenten nicht nach. Man tut. Man funktioniert. Wie auch mein Vater, der 24 Stunden für sie da ist. Mir ist daher klar: Ich werde gebraucht. Ohne mich schaffen es beide nicht. Vater und Mutter. Und selbst wenn ich nachdenke, komme ich zu keinem anderen Ergebnis. Schließlich hat auch Mutter alles für mich gegeben. Wenn man so will, hat auch sie sich aufgeopfert. Ich kann also jetzt etwas zurückgeben. Mehr noch: Es gibt mir auch das Gefühl gebraucht zu werden. Geben zu können – und nicht nur zu nehmen. Es ist also ein bewusstes Opfer – aber ein freiwilliges. Aus Dankbarkeit und Respekt. Und doch ist es so, dass ich in manchen Stunden denke, ich kann die Last nicht mehr tragen. Und ich frage dann: Wie hat Jesus nur die Last des Kreuzes getragen? Was hat er für uns geopfert? Sein Leben! Dagegen ist mein Dienst nichts. Schon gar kein Opfer.

Der Theologe

Professor Siegfried Zimmer (68): Das deutsche Wort „Opfer“ ist mehrdeutig. Im Englischen unterscheidet man zwischen „victim“ und „sacrifice“. Als „victim“ bin ich selbst, unfreiwillig das Opfer von Gewalt, Verbrechen, Folter oder Verkehrsunfällen. Als „sacrifice“ opfere ich freiwillig etwas, oder mich selbst für eine bestimmte Überzeugung. Der Tod Jesu darf nicht zuerst und einseitig als „sacrifice“ interpretiert, sondern muss zunächst als „victim“ ernst genommen werden. Jesus wurde das Opfer der römischen Besatzungsmacht in Palästina, die mit den führenden Priestern des Jerusalemer Tempels und des Hohen Rats zusammengearbeitet hat. Jesus ist nicht „an Gott“ gestorben, sondern am römischen Militär. Besonders verfehlt ist es, den Tod Jesu als ein Opfer (sacrifice) zu deuten, das der Sohn seinem Vater bringt. Als ob Gott ein Menschenopfer gebraucht oder verlangt hätte als Ausgleich für die Sünden der Menschheit. Als ob der „Zorn Gottes“ nur durch das unschuldige Opfer seines Sohnes besänftigt werden könnte. Die angemessene Würdigung des Todes Jesu ist in folgender Richtung zu suchen: Jesus starb einen sehr spezifischen Tod. Er starb nicht friedlich im Bett, nicht an einer Krankheit oder einem Unfall. Er starb einen unehrenhaften Tod, keinen Heldentod. Die Entstehung des christlichen Glaubens hängt mit der Art seines Todes zusammen, vor allem aber mit der Nachricht seiner Auferweckung durch Gott: Gott hat den Gekreuzigten zu einer neuen Art von Leben erweckt, sich so mit ihm identifiziert und seine Richter ins Unrecht gesetzt. In dieser österlichen Gewissheit liegt das Geheimnis des christlichen Glaubens.

Der Spender

Jürgen L. (Name geändert), 36: Man schiebt unangenehme Dinge gerne vor sich her. Und daher verschwendete ich 2008, als ich meine hutige Frau kennen lernte, wenig Gedanken daran.Okay, sie hatte eine erblich bedingte schwere Nierenerkrankung, von der beide Nieren sind betroffen waren. Aber Dialyse? Nein, soweit dachten wir beide nicht. Plötzlich verschlechterten sich jedoch die Werte. Jetzt meinten die Ärzte, es drohe dreimal die Woche eine Dialyse. Oder aber eine Nierentransplantation. Ich musste nicht lange überlegen. Mir war klar, ich kann meiner Frau viel ersparen, wenn ich ihr eine Niere spende. Ehrlich gesagt: Mir war bewusst, dass damit auch unsere gemeinsame Lebensqualität steigt. Und so ist es nach der OP im November 2014 gekommen. Meiner Frau und mir geht es gut. Wir haben den Eingriff beide gut überstanden. Manchmal hauen mich heute Leute an und sagen: Mensch Jürgen, du hast aber ein wahnsinnig großes Opfer gebracht. Denk mal, was los ist, wenn deine Niere schlapp macht. Das stimmt, dann habe ich keine Reserve mehr. Dann droht mir ebenfalls die Dialyse. Dennoch würde ich es jederzeit wieder tun. Für mich war es kein Opfer. Für mich ist es ein Liebesbeweis.