Es bleibt ein magisches Werk, das bis heute mobilisiert. „Ausverkauft“ hieß es für Oskar Schlemmers „Triadisches Ballett“ auch in der Staatsgalerie: Innerhalb von zwei Stunden waren die Karten für die Aufführung im Kammertheater weg, zuvor hatte sich vor dem Museum eine lange Schlange gebildet.
Stuttgart - Schon in den 1970er Jahren, als der Choreograf Gerhard Bohner sich an eine Neufassung von Oskar Schlemmers „Triadischem Ballett“ gewagt hatte, wurden die Beteiligten von der Begeisterung, die diese Produktion weltweit auslöste, regelrecht überrannt. Ivan Liska, jetzt Direktor des Bayerischen Staatsballetts, tanzte damals mit seiner Frau Colleen Scott, heute Ballettmeisterin in München, in der choreografischen Neufassung, die Gerhard Bohner 1977 im Auftrag der Berliner Akademie der Künste unternahm. Bis 1989 brachten sie das „Triadische Ballett“ in mehr als 80 Aufführungen bis nach Japan und in die USA.
Derzeit versetzen die beiden mit Hilfe der Juniorkompanie des Bayerischen Staatsballetts Schlemmers Figurinen wieder in Bewegung. Und wieder erleben sie den bekannten großen Ansturm. Erst nach der Neueinstudierung in diesem Sommer in München und Berlin, wo trotz Zusatzvorstellungen viele Interessierte Schlemmers Tänze nicht sehen konnten. Und nun in Stuttgart. Hier zeigte Schlemmer sein Bühnenexperiment am 30. September 1922 am Kleinen Haus der Württembergischen Staatstheater erstmals, hier sind Teile der Originalkostüme, Schlemmers berühmte Figurinen, in der Staatsgalerie präsent.
Entsprechend groß ist das Interesse an der Neuproduktion des Bayerischen Staatsballetts, die für drei Aufführungen am 24. und 25. November nach Stuttgart kommt. Das Gastspiel im Kammertheater flankiert den Auftakt zur großen Schlemmer-Retrospektive in der Staatsgalerie auf der Bühne. Und lange, bevor an diesem Montag der Vorverkauf für das „Triadische Ballett“ an der Museumskasse begann, formierte sich eine lange Schlange der Wartenden auf der Terrasse des Stirlingbaus.
Man ahnt, dass trotz der anspruchsvollen Ticketpreise von 95 Euro (immerhin ist darin ein Besuch der Ausstellung enthalten) so mancher leer ausging oder sich mit einem Platz im Vortragssaal der Staatsgalerie, in den die Vorführungen übertragen werden, begnügen musste. Doch trüben sollte das auf keinen Fall die Vorfreude auf die Große Landesausstellung, die unter dem Titel „Oskar Schlemmer. Visionen einer neuen Welt“ endlich wieder eine umfassende Begegnung mit dem Werk des 1921 ans Bauhaus berufenen Künstlers ermöglicht.
Denn vieles, was gestern noch an den schwierigen Erben Schlemmers gescheitert war, ist heute, nachdem die Urheberrechte 70 Jahre nach dem Tod des Stuttgarter Künstlers erloschen sind, wieder denkbar. Oskar Schlemmers berühmtes Bild „Die Bauhaustreppe“ aus dem Jahr 1932 wird das Museum of Modern Art in New York zwar nicht verlassen, nachdem Schlemmers Erben nach einer Ausstellung in Berlin im Jahr 2000 per einstweiliger Verfügung wegen ungeklärter Eigentumsfragen seinen Rücktransport verhindern wollten.
Dafür erwartet die Staatsgalerie andere Hauptwerke Schlemmers aus den USA, die seit Jahrzehnten nicht mehr in Europa zu sehen waren. Aus einer amerikanischen Privatsammlung reist zum Beispiel das Gemälde „Fünf Akte“ (1929) an, das am Anfang einer Reihe von großformatigen „Menschenarchitekturen“ steht. Den nackten Körper stellte Schlemmer nicht naturalistisch, sondern in Anlehnung an antike Vorbilder idealisiert und in lichten Räumen dar.
Auch das Bild „Wettlauf“ (1930), das aus dem amerikanischen Wadsworth Atheneum Museum in Hartford anreist, gibt Schlemmers Interesse an Sport und körperlicher Ertüchtigung wieder, die am Bauhaus Bestandteil der Menschenbildung war. Bei dem großformatigen Ölgemälde handelt es sich übrigens wie bei der „Bauhaustreppe“ um eine Schenkung des amerikanischen Architekten Philip Johnson, dem die Schlemmer-Erben vorwerfen, Rechnungen des Künstlers nicht beglichen zu haben.
Während dieser Geldfluss 80 Jahre später schwer nachzuprüfen ist, ist das Interesse eines Architekten an den Bildern Schlemmers bis heute offensichtlich. Der Raum spielt eine wichtige Rolle nicht nur in Schlemmers Malerei, die typisierte Körper in Wechselwirkung mit architektonischen Grundprinzipien zeigt. Auch Schlemmers Bühnenvisionen, die er nicht erst mit der Übernahme der Bauhaus-Bühnenklasse 1925 entwickelte, erzählen vom Interesse ihres Urhebers für die Bewegung von Menschen im Raum. So arbeitete Oskar Schlemmer seit 1912 in Stuttgart immer wieder mit Albert Burger und Elsa Hötzel, beide Tänzer an der Königlichen Hofoper, an einem modernen Tanzstück, das schließlich 1922 mit dem „Triadischen Ballett“ gefunden war.
„Gerhard Bohner war es wichtig, dass seine Neufassung die Reduktion auf das Wesentliche, die dem Bauhaus eigen war, auf der Bühne zeigt“, sagt Colleen Scott über die Neueinstudierung des „Triadischen Balletts“. Schon zur Entstehungszeit scheint Schlemmers Botschaft gut angekommen zu sein, wie der Künstler drei Jahre nach der Uraufführung notierte: „Der Erfolg des Balletts war rauschend, weil es etwas Derartiges nicht gab, in der Erfindung nicht und nicht in der Präzision der Arbeit . . . Es ist so weit entfernt von dem Körpertanz der Seelentänzerinnen wie von dem immer entblößteren Dekorationskitsch der Revuen.“
Das nachzuprüfen: darauf hat das Stuttgarter Publikum so lange gewartet, dass die Schlange vor der Staatsgalerie nicht der Rede wert ist. Und dass Schlemmers Bauhaus-Experimente bis heute nachwirken, sollen weitere Tanzereignisse im Rahmen der Ausstellung unter Beweis stellen. So wird Eric Gauthier auf Einladung der Staatsgalerie sich mit einem von Schlemmers Bauhaus-Tänzen beschäftigen, dem „Metalltanz“. „Stil Stahl Schlemmer“ nennt Gauthier seine Annäherung, die keine Rekonstruktion sein will, sondern augenzwinkernde Hommage an den Künstler Schlemmer und die von ihm beschriebene Wechselwirkung von Figur und Raum. Zu sehen ist sie im Rahmen des Bauhausfests während der Schlemmer-Retrospektive am 14. Februar in der Staatsgalerie Stuttgart.