Rinnat Moriah als Meeresgöttin, Jeanine de Bique als Climene. Foto: Annemone Taake

Für sein erstes Handlungsballett „Krabat“ wurde Demis Volpi mit dem Tanzpreis Zukunft 2014 ausgezeichnet. Am Freitag hat der 28.jährige Argentinier mit Niccolò Jommellis „Fetonte“ in Schwetzingen seine erste Oper inszeniert.

Schwetzingen - Das kann nicht gutgehen. Am Ende des ersten Teils von Niccolò Jommellis 1753 in Stuttgart uraufgeführtem „Fetonte“ sind alle Figuren der traurigen Oper über das Scheitern eines von Liebe, Leben und Leistungsdruck überforderten Sohns auf der Bühne. Orcane und Epafo, die beiden Freier der nubischen Königin Climene, tragen die Begehrte erst nach hinten, dann nach vorne. Die junge Libia fasst nach ihrer Schwiegermutter in spe, aber der eine Freier, Epafo, dreht Libias Kopf hin zu Orcane, der sie zum Schein bezirzt, um Climene eifersüchtig zu machen. Vorne auf der Bühne liegt derweil der Titelheld, Climenes Sohn Fetonte, verwickelt und versponnen in das lange Stromkabel, mit dem er, der verklemmte Tüftler mit dunkler Brille und Rautenpulli, seinen kleinen Globus zum Leuchten bringen will.

Die Verwirrung ist groß, diesseits wie jenseits der Bühne. So bewegt, wie sich das Chaos hier gibt, denkt man, muss sie ein Choreograf arrangiert haben. Die Gesten, die Zuordnung der Personen, die Schritte, die Bewegungen im Raum: All das bietet jenen, die endlich das Klischee des Oper inszenierenden Ballettmenschen in dieser Inszenierung bestätigt wissen wollten, erstmals an diesem Abend Grund zu eitler Freude.

Viel mehr Gründe finden sie allerdings nicht, denn diese erste Annäherung des Stuttgarter Hauschoreografen an das Musiktheater ist erstaunlich untänzerisch ausgefallen. Und erstaunlich unbarock. Zwar lässt Demis Volpi im ersten Akt in wirkungsvoll wallendem blauem Gewand die Meeresgöttin so lange aus dem Bühnenboden hochfahren, bis sie ihre ratsuchende Tochter Climene weit überragt, und er lässt die Überirdische ihr Singen mit jenen stilisierten Gesten unterstreichen, die man von historischen Barockopern-Inszenierungen kennt. Außerdem darf Proteo, dessen Nebenrolle Volpi zu der eines Strippenziehers aufgewertet hat, immer wieder die reale oder auch mal eine imaginäre Bühnenmaschinerie bedienen.

Das war’s dann aber auch mit dem barocken Wirkungs- und Maschinentheater. Den württembergischen König Karl Eugen, der 1753 sowohl Niccolò Jommelli als Hofkomponisten als auch Jean-Georges Noverre als Ballettmeister engagiert hatte, brachte die zweite, besonders aufwendige Aufführung von „Fetonte“ 1778 an den Rand des Bankrotts: Das Orchester wurde auf fünfzig Musiker erweitert, 200 Statisten standen auf der Bühne, und die finale Himmelfahrt Fetontes wurde von 86 Reitern gesäumt. Im Rokokotheater des Schwetzinger Schlosses, dem Spielort des vom Heidelberger Theater verantworteten Barockmusik-Festivals Winter in Schwetzingen, ist ähnlich Prunkvolles nicht zu sehen. Auf Katharina Schlipfs Bühne werden lediglich ein Sofa, Regale und eine nette Hausbar hin- und hergeschoben. Und die finale Todesfahrt des Titelhelden wird gar reduziert auf dessen schüchternes Schreiten hin zu einem Sonnengott, von dem man nicht mehr sieht als einen Kreis grell leuchtender Glühbirnen. Fetonte selbst hat sich wie sein Geistesverwandter Ikarus ein simples Flügelgestell auf den Rücken geschnallt. Am Ende sinkt er, obwohl er sich zuvor doch so gründlich mit Sonnenmilch eingecremt hatte, tot zu Boden, und vom Weltenbrand, den die Oper anschließend vorsieht, bleibt nur eine müde flackernde Kerze übrig. Proteo, der Narr, der Ironische, pustet sie so beiläufig aus, wie er sie anfangs angezündet hat.

Man hätte erklären können, warum das so ist. Man hätte danach fragen können, was der Junge hier wem warum beweisen will. Man hätte die komplexen Beziehungen zwischen Eltern und Kindern in dieser Oper beleuchten können. Und man hätte nach psychologischen Nuancen in der Beziehung zwischen zwei jungen Liebenden suchen können, die über ihrer Angst vor der Zukunft oft vergessen, in der Gegenwart zu leben.

Das alles hat Demis Volpi nicht gemacht. Nur die Reibung zwischen einem fernen, künstlichen Göttlichen und einem völlig orientierungslos gewordenen Haufen Alltagsmenschen: Diese Reibung reizt er aus, sie treibt ihn in ähnlicher Weise um wie die Begegnung mit der fernen, künstlichen Gattung der Barockoper. Nicht ohne Hintersinn singt der Darsteller des Proteo, der hier auch ein Zwitterwesen zwischen Himmel und Erde ist, am Ende auch die Sätze des Sonnengottes aus dem Off. Diesen Gott, darf und soll man wohl annehmen, gibt es nicht wirklich, denn es kann ihn nicht geben. Vertieft wird dieser Gedanke aber auch nicht.

Der Rest ist Spiel: munter, ideenreich, bei langen Arien- und Ensemblestrecken auch mal mit der Unsicherheit eines noch (Barock-)Opern-Unerfahrenen belastet, der der Gefahr szenischen Stillstands unbedingt vorbeugen will. Dann wird auf der Bühne gerobbt und geschoben, gerannt, geklettert und gewühlt, und das müsste, weil die Musik stark ist, überhaupt nicht sein.

Mit dem Philharmonischen Orchester Heidelberg hat Felice Venanzoni bis hin zu charakterisierend wechselnden Einsätzen von Cembalo und Hammerflügel erfolgreich an schönen und präzisen Klängen gearbeitet. Nur manchmal hapert es ein wenig an der letzten Sauberkeit bei der Intonation. Unter den Sängern gefällt der Countertenor Antonio Giovannini, der einen ausdrucks- und verzierungsstarken Fetonte singt. Einen sehr guten Abend hat auch die mit schöner Tiefe grundierte Sopranistin Jeanine De Bique (Climene), die sehr genau und mit weitem Farbspektrum singt – was nicht verhindert, dass sie am Ende der Oper ihrem klangschönen Leben durch einen Sprung in ebenjenes Bühnenloch ein Ende bereitet, in dem schon ihre Mutter, die Meeresgöttin, verschwand. Freud hätte daran seine Freude gehabt. Aber auf einen „Fetonte“ in seinem Geist müssen wir wohl noch ein wenig warten.

Nochmals am 8., 11., 19., 21. und 27. 12. Karten: 0 62 21 / 5 83 50 00