Diana Haller als Rosina (li.), Enzo Capuano als Bartolo Foto: A. T. Schaefer

An der Oper Stuttgart ist Beat Fähs Inszenierung von Gioachino Rossinis „Barbier von Sevilla“ wieder zu erleben – gut gespielt und sehr gut gesungen.

Stuttgart - Wie altert eine Inszenierung? Wo äußern sich zuerst Falten und Gebrechen? An der Oper Stuttgart ist jetzt die nur einen Monat nach Ruth Berghaus’ „La Traviata“ und fünf Jahre vor Willy Deckers „Tosca“ entstandene zweitälteste Inszenierung des Repertoires wieder zu sehen. Beat Fähs „Barbier von Sevilla“ wirkt noch ausgesprochen munter.

Zugegeben: Ein derart orangefarbenes, multiperspektivisches Bühnenbild, wie es Volker Pfüller im Juni 1993 entwarf, würde heute ebenso wenig mehr gefertigt wie die Kostüme dieser Produktion. Außerdem fehlt es – und das ist wohl das deutlichste Indiz für eine gewisse szenische Senilität – in manchen Momenten an jenem präzisen Timing, das die Komödie, auch die musikalische, unbedingt braucht. Da kommt jemand Sekunden zu spät, da sind Bewegungen nicht mehr völlig synchron, und da wirkt, was lustig sein sollte, manchmal doch ein bisschen gestellt.

Sprechendstes Beispiel dafür ist die Szene, in welcher der Titelheld – „Figaro hier, Figaro da“ – auftritt. Der Regisseur schickt ihn zusammen mit einer langen Leiter auf die Bühne, die sich von links nach rechts durchs Bild schiebt. Erst hält Figaro sie fest, dann geht er nach rechts ab, und nachdem sich das Gestänge schier endlos weitergeschoben hat, sprintet der Barbier plötzlich wieder von links herbei. André Morsch singt die Arie dann ganz toll, weil er das erstens stimmlich kann und weil er zweitens spürbar Lust am Spielen hat, aber die Zeitdisposition stimmt nicht mehr ganz.

Macht nichts, denn am Freitagabend macht David Parry, obwohl er die Lautstärkegrade mit Blick auf die Sänger wohl dosiert, den Instrumentalisten des Staatsorchesters mächtig Dampf – was einerseits die Musik sehr gelenkig und dynamisch wirken lässt, andererseits aber auch deutlich macht, wie viel utopisches Potenzial Rossinis Musik innewohnt. Deren schnelle motorische Schleifen, die vielen kleinen Verzierungen: All dies lässt sich womöglich gar nicht exakt umsetzen. Man ahnt, wie schwer es ist, das Leichte herzustellen. Man hört sich zurecht, wie es klingen müsste – und freut sich doch, weil alles Unzulängliche ja auch etwas Menschliches hat, das einem nahe sein kann.

Auch das hohe Gesangs-Zierwerk des Almaviva, das Bogdan Mihai anvertraut ist, klingt manchmal angestrengt, ist nicht immer vollständig und keineswegs perfekt. Aber Mihai hat eine feine Höhe, und zusammen mit dem Kostüm hat sich der Tenor auch den Charakter des Grafen, sein Spielerisches und das Unbedingte seiner Liebe, angezogen. Sein Gegenspieler Enzo Capuano ist, auch wenn er gerne mal chargiert, als Bartolo ebenfalls glaubhaft und sehr gut besetzt, und Gleiches kann man über Adam Palka sagen, der den Basilio mit profundem Bass als Musiklehrer-Karikatur gibt. Die junge Irma Mihelic gibt die alte Berta, die Beat Fäh an den orangefarbenen Wänden festkleben lässt, als seien deren aufgezeichnete Linien klebrige Spinnenfäden, mit exzellenter Technik und bewundernswerter Körperbeherrschung – den wenigen, die diese Inszenierung noch nicht gesehen haben, sei verraten, dass die Haushälterin zwischenzeitlich (ein laut belachter Gag des Abends) davongetragen wird wie ein Brett.

Diana Haller gibt eine Rosina, die ihre Kraft und Klarheit nicht zuletzt aus ihrer Tiefe bezieht. Die Koloraturen perlen, die Höhe strahlt, wir hören Fülle und Farbe. Und folgern: Darsteller wie diese Kroatin, die auf der Bühne ein selbstbewusstes, durchaus auch mal bissiges Mündel gibt, sind für Inszenierungen immer noch die beste Anti-Falten-Kur.