Greenpeace-Aktivisten schrauben bei einer Protestaktion in London einen VW auseinander. Ombudsmann Günter Hirsch schlichtete auch Streitfälle mit Volkswagen. Foto: Getty

Mehr als 19 000 Versicherte im Jahr wandten sich zuletzt an die Stelle von Versicherungs-Ombudsmann Günter Hirsch. Er hilft Verbrauchern, sich Klarheit über die Rechtslage zu verschaffen.

Stuttgart - Ombudsmann Hirsch fordert für Firmen nach verlorenen Musterprozessen die Schlichtungspflicht.

Herr Hirsch, wie sieht eigentlich der typische Arbeitstag eines Ombudsmanns aus?
Ganz ähnlich, wie es viele aus ihrem Beruf kennen. Es gibt jede Menge Schreibtischarbeit und Besprechungen. Vieles erledige ich im Arbeitszimmer daheim. Jede zweite Woche bin ich in Berlin, dann werden schwierige Fälle mit den 23 Juristen, die auf Versicherungssparten spezialisiert sind, und den 14 Versicherungskaufleuten beraten. Alle Verfahren von grundsätzlicher Bedeutung kommen auf meinen Tisch, auch weil es eine klare Linie bei den Entscheidungen des Ombudsmanns geben muss.
Nehmen die Beschwerden über Versicherungen weiter zu?
Auch 2017 gab es einen leichten Anstieg, so viel kann ich bereits sagen. Unsere Jahresbilanz werden wir Ende Mai vorstellen. Die Gesamtzahl der Beschwerden bewegt sich jedenfalls weiter auf sehr hohem Niveau, 2016 beschäftigten uns mehr als 19 000 Verfahren. In meiner Amtszeit haben wir schon rund 275 000 Fälle bearbeitet, das sind schon gewaltige Mengen und ein beachtliches Arbeitspensum.
Wie sind die Erfolgsquoten? Lohnt sich für Versicherte der Gang zum Schlichter?
In vielen Fällen schon. Bei fast der Hälfte ihrer Beschwerden haben die Versicherten zumindest teilweise Erfolg, das zeigen unsere Bilanzen. Voriges Jahr ging die Erfolgsquote allerdings von knapp 47 auf 43 Prozent zurück. Ausgenommen sind dabei die Lebensversicherungen, bei denen es oft um viel Geld geht. Hier liegt die Quote aktuell bei knapp 24 Prozent und ist leicht gestiegen. Bei diesen Verträgen wollen Verbraucher oft nur Informationsdefizite ausräumen; diese Aufklärungsarbeit bleibt in der Statistik außen vor.
Wie kann der Schlichter helfen?
Bei VW-Fällen haben wir eine faire Lösung gefunden. Da gibt es bei Versicherern ohnehin ein Umdenken. Anfangs wurde der Rechtsschutz für VW-Kunden oft abgelehnt, weil sie kaum Erfolgsaussichten hätten und ein Software-Update genüge. Nachdem aber immer mehr Gerichte für die VW-Kunden entschieden, übernehmen nun die Versicherer die Kosten. Dafür haben auch wir gesorgt. Zum einen wurden viele Versicherer mit unserem Schlichterspruch zur Kostenübernahme verpflichtet. Zum anderen gelang es, dass eine der führenden Kanzleien mit Rechtsschutz-Anbietern vereinbart hat, dass die Anwaltsgebühren bei den Massenverfahren limitiert werden.
Als Lehre aus dem VW-Skandal will die Bundesregierung nun Musterfeststellungsklagen ermöglichen. Eine gute Entscheidung?
Ja, absolut – aber zur rundum guten Lösung fehlt noch ein wichtiger Schritt, den die Politik ergänzend zum jüngsten Kabinettsbeschluss schnell tun sollte. Generell ist sehr zu begrüßen, dass Streitfälle, die viele Verbraucher betreffen, künftig dem Grunde nach durch eine Musterfeststellungsklage von Verbänden geklärt werden können. Das betrifft zum Beispiel die Frage, ob VW wegen der Manipulationen Schadenersatz an seine Kunden zahlen muss. Jeder Betroffene kann sich dann ganz einfach kostenlos diesem Feststellungsverfahren durch Registrierung beim zuständigen Gericht anschließen.
Und im Erfolgsfall gibt es Geld?
Leider nein, so einfach ist das nicht. Selbst wenn in unserem Beispiel bindend festgestellt wird, dass VW zum Schadenersatz verpflichtet ist, muss jeder Betroffene weiterhin seinen konkreten Anspruch individuell gegen den Konzern durchsetzen, mit allen Kostenrisiken. Die Bundesregierung hat selbst erkannt, dass das eine Schwachstelle ist und weist darauf hin, dass auch Schlichtungsstellen die Klärung der Schadenshöhe im Einzelfall übernehmen könnten. Aber verpflichtend ist das leider nicht – und hier liegt der Knackpunkt.
Was schlagen Sie vor?
Die außergerichtliche Schlichtung sollte per Gesetz organisatorisch und strukturell in das neue Klagesystem eingebaut werden. Konkret heißt das: Wenn ein Unternehmen, das eine Musterfeststellungsklage verloren hat, die Ansprüche ihres Kunden weiter ablehnt, kann dieser eine anerkannte und qualifizierte Schlichtungsstelle einschalten. Das Unternehmen sollte jedoch nicht mehr, wie derzeit, die Teilnahme am Schlichtungsverfahren ablehnen können. Der Gesetzgeber sollte die Unternehmen verpflichten, sich ohne Wenn und Aber einem Schlichtungsverfahren vor einer gesetzlich anerkannten Verbraucherschlichtungsstelle zu unterwerfen. Das könnte eine schnelle Klärung bringen, viele Prozesse vermeiden und die Gerichte entlasten.
Sieht das Verbraucherstreitbeilegungsgesetz von 2016 solche Schlichtungen nicht zwingend vor?
Festgelegt ist dort nur, dass es Schlichtungsstellen geben muss – nicht aber, dass sich Unternehmen am Schlichtungsverfahren beteiligen müssen, und auch nicht, dass sie den Entscheidungen zu folgen haben. Für Fachleute: Das könnte man in § 15 Abs. 2 des Gesetzes rasch nachbessern. Festgelegt werden könnte auch ein Streitwert, bis zu dem anerkannte Schlichter in den genannten Fällen verbindlich gegen Unternehmen entscheiden können.
In Deutschland ist die Schlichtung bis heute von Branche zu Branche unterschiedlich geregelt. Welches Modell ist ideal?
Die Versicherer gelten seit Jahren zu Recht als Vorbild. Fast alle Anbieter sind Mitglied in unserem Trägerverein und damit verpflichtet, meine Entscheidungen als Ombudsmann bis zum Streitwert von 10 000 Euro zu akzeptieren. In vielen anderen Wirtschaftszweigen wie der Autobranche oder bei Pauschalreisen fehlen bisher solche bewährten freiwilligen Lösungen und es gibt auch keine zwingenden gesetzlichen Verpflichtungen zur außergerichtlichen Streitbeilegung. Wie ärgerlich das für Kunden ist, zeigt der VW-Skandal.
Wie groß sind die Chancen, dass Ihr Vorschlag umgesetzt wird?
Die Schwachstelle im aktuellen Gesetzentwurf für Musterfeststellungsklagen ist offensichtlich. Die vorgeschlagene Nachbesserung wäre ein großer Fortschritt im Verbraucherschutz, gerade nach den bitteren Erfahrungen mit VW. Die Politik sollte deshalb rasch handeln und die Schwachstelle beseitigen. Ich bin durchaus optimistisch, dass vernünftige und begründete Ratschläge aus der Rechts- und Schlichtungspraxis auf offene Ohren im Bundestag stoßen.
Worauf gründet Ihr Optimismus?
Voriges Jahr haben wir die schwache Position des Bankkunden bei Restschuldversicherungen kritisiert. Es gab wegen der oft fragwürdigen Konstruktionen und hoher Kosten großes Konfliktpotenzial und deshalb viele Beschwerden. Es fehlten Beratungs- und Aufklärungspflichten im Gesetz. Nach meinen öffentlichen Hinweisen wurden innerhalb von zwei Monaten verbesserte Regelungen für die Verbraucher ins noch laufende Gesetzgebungsverfahren aufgenommen. Das war sehr erfreulich. Eine ähnlich schnelle Nachbesserung zugunsten der Verbraucher ist nun erneut geboten.