Der OB Joachim Scholz (oben) tritt gegen zwei Herausforderer an: Ulrich Bertok (Mitte) und Steffen Hertwig (unten). Foto: Privat

Im Wahlkampf muss sich der Amtsinhaber gegen Kritik wegen des Lidl-Wegzugs, den Problemen beim Spaßbad Aquatoll und den stark gestiegenen Personalkosten rechtfertigen.

Neckarsulm - Über eines können sich die drei Kandidaten, die am Sonntag zum Oberbürgermeister von Neckarsulm gewählt werden wollen, nicht beklagen: über mangelndes Interesse. Die Kandidatenvorstellungen waren bisher so gut besucht, dass etliche Zuhörer mit einem Stehplatz vorliebnehmen mussten. Für den Amtsinhaber Joachim Scholz (parteilos), der von der CDU und den Freien Wählern unterstützt wird, ist seine Wiederwahl wohl kein gemähtes Wiesle.

Die SPD und die Grünen schicken mit Steffen Hertwig (SPD) einen Kandidaten ins Rennen, der im Wahlkampf bisher durchaus gepunktet hat. Der dritte Bewerber Ulrich Bertok (49), der als Kraftfahrzeugmechanikermeister seit 20 Jahren bei Audi in seiner Heimatstadt Neckarsulm arbeitet, tritt als Einzelkämpfer an; ihm werden allenfalls Außenseiterchancen eingeräumt. Falls am Sonntag keiner der drei Bewerber auf Anhieb die 50-Prozent- Hürde schafft, findet am 2. Oktober ein zweiter Wahlgang statt.

Die Stadt ist schuldenfrei, es wurde kräftig investiert

Joachim Scholz (55) war 2008 im ersten Wahlgang mit 58,8 Prozent zum neuen Rathauschef der 26 000 Einwohner zählenden Stadt gekürt worden. Überraschend deutlich hatte sich der damalige Bürgermeister von Steinheim an der Murr auf Anhieb gegen den damaligen Neckarsulmer Baubürgermeister Klaus Grabbe (SPD) durchgesetzt. „Ich bin sicher, Sie bis zur Wahl in acht Jahren von mir überzeugt zu haben“, versprach der Verwaltungswirt jenen, die ihm seine Stimme nicht gegeben hatten.

Ob ihm das in der Zwischenzeit tatsächlich gelungen ist, daran scheiden sich die Geister. Scholz, verheirateter Vater zweier Söhne, ist zuversichtlich. Seit 2009 sei die Stadt schuldenfrei, in den vergangenen acht Jahren habe man 300 Millionen Euro investiert, bilanziert der OB. Scholz sei zu wenig entscheidungsfreudig, sagen Kritiker; vieles dauere zu lange in der Stadt. Dass die Stadt die Betriebsführung des Spaßbads Aquatoll nach Heilbronn vergeben hat, weil der eigene Werkleiter die ständigen Personalquerelen nicht in Griff bekam, halten manche für ein Armutszeugnis.

Die finanziell verwöhnte Stadt muss künftig kräftig sparen

Vor allem aber muss die finanziell lange verwöhnte Stadt, die mit 36 000 Arbeitsplätzen mehr Jobs als Einwohner hat, auf einmal mit deutlich weniger Geld auskommen. Seitdem der Abgasskandal bei VW aufgeflogen ist, zahlt Audi als größter Arbeitgeber vor Ort keine Gewerbesteuern mehr. Statt 70 Millionen Euro wie in früheren Jahren sind im Haushaltsplan für 2016 nur noch 50 Millionen Euro an Gewerbesteuereinnahmen eingeplant.

Es wird noch weniger werden. Die Schwarz-Gruppe kündigte vor einem Jahr an, die Lidl Deutschland Zentrale mit 1000 Mitarbeitern nach Bad Wimpfen zu verlegen. Die benachbarte Stadt konnte die Erweiterungswünsche des Konzerns sofort mit freien Flächen bedienen und hatte deshalb die Nase vorn.

Die Schwarz-Gruppe baut bis 2019 eine neue Konzernzentrale

Neckarsulm war zu langsam – so sehen es Kritiker. Da kommt es Scholz zupass, dass die Schwarz-Gruppe, zu der Lidl Deutschland gehört, nun erklärt, bis 2019 mehr als 100 Millionen Euro in eine neue Zentrale und in die Modernisierung diverser Gebäude investieren zu wollen – falls die Verkehrsanbindung verbessert werde.

„Dass Lidl Deutschland weggeht, hätte nicht passieren dürfen, und es darf nicht noch mal passieren“, stichelt hingegen der Herausforderer Steffen Hertwig aus Igersheim (Main-Tauber-Kreis). Der Jurist, der bei der Würth Elektronik Unternehmensgruppe die Abteilung Recht & Compliance leitet, verspricht den Neckarsulmern, im Rathaus mehr als nur Verwalter zu sein: Impulsgeber, Umsetzer, Manager und „ein OB, der Rückgrat zeigt, gerade auch dann, wenn der Wind etwas rauer weht“.

Der Herausforderer Hertwig hat Klinken geputzt

Der 47-Jährige hat seit Anfang Juli das gemacht, was Scholz vor acht Jahren zum Erfolg verholfen hatte: Er hat Klinken geputzt. Mehr als 1000 Hausbesuche hat der Vater zweier Kinder seinen eigenen Angaben zufolge inzwischen absolviert. Hertwig sitzt im Igersheimer Gemeinderat, er ist in Heilbronn aufgewachsen – und just in der Gegend, in der er sich verwurzelt fühlt, Bürgermeister zu werden „ist mein Herzenswunsch“, sagt er.

Der dritte im Bunde, Ulrich Bertok, ist angetreten, um das Gemeinschafsgefühl in seiner Heimatstadt zu stärken. Der 49-Jährige verteilt handgemalte Flugblätter mit seiner Vision von Neckarsulm 2030. Auf Wahlplakate hat er verzichtet – und seinen Mitbürgern auf diese Weise schon den ersten Dienst erwiesen: „Mein Gesicht behindert nicht die Sicht im Straßenverkehr“, sagt er.