Neue Perspektiven als Mehrwert für die Ratsmitglieder: Zwei Fachleute klärten in der Vorberatung offene Fragen – Gemeinderat entscheidet nächsten Dienstag.
In der zweiten Maihälfte hat Herrenbergs Oberbürgermeister Thomas Sprißler in Absprache mit dem Ältestenrat den Beschluss über die Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme für Herrenberg-Süd von der Tagesordnung genommen. Eine Kampfabstimmung über das Projekt wäre zwar möglich gewesen, aber nicht sinnvoll. Denn ein so weitreichendes Verfahren, das die Stadt rund zwei Jahrzehnte prägen wird, brauche eine breite Basis, ist der Rathauschef überzeugt.
In Bezug auf die in unserer Zeitung publik gemachten kritischen Äußerungen des regionalen Chefplaners Thomas Kiwitt zu diesem Vorgang berichtete Thomas Sprißler von einem „relativ entspannten Telefonat“ am Freitag: „Inhaltlich sind wir uns komplett einig.“ Kiwitt habe auch die Absetzung des Tagesordnungspunktes komplett nachvollziehen können, nachdem er ihm einiges dazu erläutert hatte.
Sehr emotionale Debatte
Ein Grund: Der hohe Grad an zusätzlichem Aufklärungsbedarf, der sich unter anderem in der nicht nur auf Faktenbasis, sondern auch in der mit Unterstellungen geführten emotionalen öffentlichen Debatte offenbart hatte. Dieser Umstand, der zusätzlich durch die zahlreichen durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ausgelösten Krisen verschärft wird, soll nun durch eine zusätzliche Bürgerdialogrunde aufgearbeitet werden.
Beteiligungsverfahren von Experten begleitet
Darüber, wie diese auf Basis des in Baden-Württemberg vorhandenen Gesetzes über die Dialogische Bürgerbeteiligung mit zufällig ausgewählten Teilnehmenden in einem Bürgerforum aussehen würde, erläuterten am Montagabend in einer Sondersitzung des Technischen Ausschusses Frank Brettschneider, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Universität Hohenheim, sowie Ulrich Arndt, Leiter der Stabsstelle der Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Beteiligung des Staatsministeriums. Diese Servicestelle würde dabei die Verantwortung für das Verfahren übernehmen – kostenfrei für die Stadt. Für die Dienste eines Beteiligungs- und Kommunikationsbüros, das für die eigentliche Durchführung vor Ort zuständig wäre, rechnet die Verwaltung mit Kosten in Höhe von rund 50 000 Euro.
Durch diese professionelle Prozessbegleitung sowie eine klare Rahmensetzung sollen Fairness und Transparenz gewahrt werden – Aspekte, die laut Frank Brettschneider wichtig für eine gute dialogische Bürgerbeteiligung ist. Gestaltungsspielräume, Einbeziehung unterschiedlicher Interessen, eine aufgeschlossene und wertschätzende Grundhaltung sowie eine verständliche Kommunikation sind weitere wichtige Punkte.
Bei einer Dialogischen Bürgerbeteiligung sei das Bürgerforum nie das alleinige Format, betonte Brettschneider weiter. Zusätzlich würde es Bürgerinformation und Online-Beteiligung geben. Ziel des Bürgerforums sei es, zu einer ausgewogenen Lösung zu kommen. Diese sei jedoch keine bindende Empfehlung, sondern lediglich entscheidungsvorbereitend, betonte Brettschneider.
Dafür, ob es danach zu einem vom Gemeinderat initiierten Bürgerentscheid komme, gebe es „keine klare Faustregel“. Bürgerforen, deren Beratungen vertraulich sind, helfen aus Sicht von Ulrich Arndt den gewählten Vertretern zu erkennen, ob die lauten Stimmen auch die Mehrheit repräsentieren. Auch die Schwerpunktsetzung, die sich von der politischen Diskussion durchaus unterscheiden könne, sei interessant, so Arndt weiter. Ob das Ratsgremium diesen Weg mitgehen wird, wird sich in der Gemeinderatssitzung am kommenden Dienstag erweisen. Dann soll endgültig über das Zukunftsprojekt abgestimmt werden.