Auch diese Straße in Mannheim fällt unter die Kategorie „sehr schlecht“. Unebenheit, Risse, Spurrinnen und Flickstellen sind die Kriterien für die Zustandsbewertung. Foto: dpa

Das Bauchgefühl der Autofahrer trügt nicht, die jüngste Zustandserfassung liefert es Schwarz auf Weiß: Der Zustand der Bundes- und Landesstraßen in Baden-Württemberg hat sich dramatisch verschlechtert.

Stuttgart - Die schlechteste aller Landstraßen liegt im Kreis Heilbronn. Die L 1066 hat es in der Dringlichkeitsliste des Landesverkehrsministeriums auf den unrühmlichen ersten Rang geschafft. Das heißt, das betroffene Teilstück wird bei den anstehenden Sanierungsarbeiten vor allen anderen berücksichtigt.

Und davon gibt es viele. Die Liste mit den Erhaltungsmaßnahmen ist lang. Nach der veröffentlichten Straßenzustandserfassung befindet sich mehr als ein Viertel des 9450 Kilometer langen Landesstraßennetzes mit einem Notenschnitt zwischen 4,5 und 5 (mit der 5 als schlechtester Note) in einem „sehr schlechten Zustand“. Bei der letzten Erhebung vor vier Jahren fielen nur 17 Prozent der Landesstraßen unter diese Kategorie.

Bei den Bundesstraßen im Südwesten gilt ein Fünftel als sehr schlecht. Insgesamt verschlechterte sich der Notenschnitt binnen vier Jahren von 2,5 auf 2,7; bei den Landesstraßen von 2,9 auf 3,1. Der Zustand der Autobahnen in Baden-Württemberg wird gerade erst erfasst.

Besonders schlimm sieht es bei den Brücken aus. Sie sind im Schnitt 42 Jahre alt. 28 der insgesamt 7200 Bauwerke im Land wurden in die schlechteste Zustandsklasse eingestuft. Einige von ihnen mussten auch schon ganz oder teilweise gesperrt werden. Bedenklich: Bis eine kaputte Brücke saniert werden kann, vergehen zwischen drei und fünf Jahren. Die Erkundungs-, Planungs-, und Genehmigungsverfahren sind sehr aufwendig.

Wachsende (Schwerlast-)Verkehr setzt Asphalt zu

Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) macht mehrere Gründe für den Niedergang der Verkehrsinfrastruktur verantwortlich. Vor allem der wachsende (Schwerlast-)Verkehr setzt dem Asphalt zu. Das zulässige Gesamtgewicht für Lkw liegt heute bei 44 Tonnen; in den 50er Jahren, als viele Straßen auf die Höchstlast hin gebaut wurden, waren es 24 Tonnen. Auch nehmen die Zahl der anmeldepflichtigen Schwerlasttransporte sowie der Güterverkehr insgesamt immer mehr zu. Schwere Lkw sind in erster Linie für die vielen Spurrinnen im Asphalt verantwortlich.

Als weiteren Grund führt Hermann häufige Frost-Tau-Wechsel in den vergangenen Wintern an. Der diesjährige verlaufe in dieser Hinsicht dagegen eher durchschnittlich, wobei eine abschließende Bewertung erst in vier bis sechs Wochen möglich sei, wenn „der Frost endgültig aus dem Boden raus ist“.

Dritter und wohl wichtigster Grund: die stete Unterfinanzierung der vergangenen Jahre. Viel zu lange sei der Neubau von Straßen auf Kosten der Substanz finanziert worden, kritisierte Hermann die schwarz-gelbe Vorgängerregierung. Grün-Rot steuert um und räumt dem Erhalt Vorrang vor Neu- und Ausbauten ein. Künftig soll der jährliche Bedarf für die Sanierung von Landesstraßen von 80 Millionen Euro mit 76,7 Millionen nahezu gedeckt werden.

Hermann: „Die Sanierung muss nicht immer First Class sein“

Und auch der Bund schwenkt um und gibt künftig mehr Geld für die Instandhaltung. Die jährlichen Zuwendungen in Höhe von derzeit 286 Millionen Euro sollen bis zum Jahr 2015 auf 350 Millionen erhöht werden – damit ließe sich der vom Land errechnete Bedarf für Autobahnen und Bundesstraßen vollständig decken.

Hermann verspricht, das vorhandene Geld künftig effizienter einzusetzen. Statt die Millionen gleichmäßig auf die vier Regierungsbezirke zu verteilen, soll das Geld in Zukunft verstärkt nach Dringlichkeit eingesetzt werden. Der Zustand der Straße und die Verkehrsbelastung sollen die Hauptkriterien sein.

„Die Sanierung muss nicht immer First Class sein“, sagt Hermann. Er strebt an, Ausbesserungsarbeiten „baulich solide, aber so einfach wie möglich zu gestalten“, um möglichst viele Streckenabschnitte instand setzen zu können. Das bedeute nicht Pfusch oder Flickschusterei, betont Hermann. Vielmehr sollen neuartige Bauverfahren erprobt werden. Dazu zählt auch die Methode, den kaputten Asphalt an Ort und Stelle zu recyceln und neu aufzutragen. Das spart nach Auskunft von Fachleuten des Ministeriums bis zu einem Drittel der Kosten.

Die Sanierung einer Straße kostet zwischen 20 und 30 Euro pro Quadratmeter – bei einer Grundaufsanierung zwischen 120 und 150 Euro. Ein Kilometer neuer Autobahnbelag beläuft sich schnell auf bis zu eine Million Euro.

Mehr in gesonderte Überholspuren investieren

Nach Berechnungen des Auto Club Europa (ACE) befinden sich mehr als 40 Prozent der Straßen im Land in einem „mehr oder weniger maroden Zustand“. Ein Sprecher des Clubs ermahnte den Verkehrsminister nicht nur zur dringenden Sanierung, sondern auch zu mehr Sicherheitsvorkehrungen. So müsse auf Landstraßen mehr in gesonderte Überholspuren investiert werden. Dafür ist laut Hermann aber kein Geld da.

CDU und FDP kritisierten die Straßenbaupolitik Hermanns als „ideologisch“ – vor allem den Umstand, dass Geld aus dem kommunalen Straßenbau für den Radverkehr umgeschichtet wurde.

Auf der Internetseite des Verkehrsministeriums ist der Zustand jeder Straße im Land auf einer Karte ersichtlich. Die Liste wird ständig aktualisiert.